Unterm Strich

Wehe, wenn die Tesla-Blase platzt

Die Bewertungsblase ist nicht nur ein hohes Risiko für Tesla-Aktionäre, sondern aufgrund ihrer Größe eine Stabilitätsgefahr für den Finanzmarkt.

Wehe, wenn die Tesla-Blase platzt

Der Siemens-Konzern, so ein Bonmot früherer Jahre, sei eine Bank mit angeschlossener Elektroabteilung. Der Spruch hatte vor 20 Jahren seine Berechtigung, weil die riesigen Kapitalreserven hinter den Pensionsrückstellungen und deren erfolgreiche Bewirtschaftung oftmals einen größeren Beitrag zum Konzerngewinn lieferten als das operative Geschäft. Ganz in diesem Sinne könnte man heute Tesla als Subventionssammelstelle mit angeschlossener Autoproduktion betiteln. Denn der vor wenigen Tagen ausgewiesene Quartalsgewinn stammte nicht etwa aus dem Bau von Elektroautos und Stromspeicheranlagen, sondern aus dem Verkauf von Abgaszertifikaten und aus Währungsspekulation (vgl. BZ vom 28. April).

Ausweislich der vorgelegten Zahlen fürs erste Quartal hätte Tesla ohne die Sondereffekte einen Verlust ausweisen müssen. Denn in den vor Steuern gezeigten 594 Mill. Dollar Ergebnis stecken 518 Mill. Dollar aus dem Verkauf von nicht benötigten CO2-Zertifikaten an andere Autohersteller, die damit ihren klimaregulatorisch zu hohen Flottenverbrauch an CO2 kompensieren konnten, sowie 101 Mill. Dollar aus dem Verkauf von Bitcoins. Tesla hatte erst im Februar öffentlichkeitswirksam 1,5 Mrd. Dollar seines hohen Cash-Bestandes in die Kryptowährung Bitcoin investiert und offensichtlich die – nicht zuletzt dadurch verstärkten – Kurssteigerungen wenig später genutzt, um für 272 Mill. Dollar Bitcoins zu verkaufen und den Spekulationsgewinn zu realisieren.

So weit, so gut, all dies ist weder unrechtmäßig noch ehrenrührig. Aber es ist geeignet, Anleger in die Irre zu führen. Denn Tesla ist längst nicht mehr ein Nischenwert, in den nur das verständige Publikum oder abgebrühte Zocker investieren, sondern mit einer Marktkapitalisierung von rund 670 Mrd. Dollar der sechstschwerste amerikanische Börsenwert überhaupt und zeitweise damit „wertvoller“ als alle amerikanischen, europäischen und asiatischen Autohersteller zusammen. Wenn also das Unternehmen nun das siebte Gewinnquartal in Folge berichtete und über deutliche Sprünge in Produktion und Absatz sowie über eine gute Nachfrage in China, dann ist die Gefahr groß, dass die Kluft zwischen Equity Story und Wirklichkeit weiter wächst und der Realitätsschock eines Tages umso heftiger sein wird. Denn die Bewertung ist dem operativen Geschäft um Dekaden voraus, und der in der Vergangenheit die Fantasie wie auch den Aktienkurs beflügelnde Vorsprung Teslas in Sachen Elektromobilität vor den anderen Autobauern schmilzt in diesem und im nächsten Jahr wie das Eis in der kalifornischen Sonne.

Anstatt den PR-Sprüchen von Elon Musk auf den Leim zu gehen und zu titeln „China treibt den Gewinn von Tesla“, wie dieser Tage in einer großen deutschen Wirtschaftszeitung geschehen, sollte man den im Quartalsvergleich um 109% von 88500 auf 184880 gesteigerten Fahrzeugabsatz am Markt der E-Autos insgesamt und den Verkäufen der Konkurrenten messen. Dann wird man schnell feststellen, dass Tesla im E-Auto-Markt Anteile verliert und selbst nach Inbetriebnahme der im Bau befindlichen Werke in Texas und im brandenburgischen Grünheide den großen Autokonzernen hinterherfahren wird.

Die Kursrücksetzer der Tesla-Aktie an den Tagen nach den Q1-Zahlen mögen signalisieren, dass mancher Anleger ins Grübeln gekommen ist, ob denn ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von immer noch über 800 mit den Perspektiven Teslas zu rechtfertigen ist, zumal die Gewinne aus dem Verkauf von CO2-Zertifikaten mit zunehmender elektrischer Flottennachrüstung der Wettbewerber endlich sein dürften und die Bitcoin-Spekulation ebenfalls nicht als nachhaltige Geschäftsstrategie gelten kann.

Sollte eines Tages die mit mehr als einer halben Billion Dollar anzusetzende Luft aus der Tesla-Bewertung weichen, wäre dies ein Thema nicht nur für die direkt betroffenen Aktionäre, sondern für die Finanzmarktstabilität schlechthin. Da haben schon wesentlich kleinere Unfälle zu Beben in der Finanzwelt geführt. Umso unverständlicher, dass beim Geschäftsgebaren von Elon Musk so viele Investoren- und Aufsichtsaugen zugedrückt werden. Bei jedem anderen Industrieunternehmen würde die Zockerei mit Kryptowährungen in Milliardenhöhe, selbst wenn sie erfolgreich war, einen Aufschrei auslösen. Nicht so bei Tesla – da wird sie als Ausdruck von Elon Musks Genialität gefeiert. Manchmal fühlt man sich an den Kult um einen gewissen Markus Braun erinnert. Wirecard und deren inhaftierter CEO wurden zeitweise ähnlich bewundert wie Tesla und deren CEO. Eine funktionierende Corporate Governance gab und gibt es in beiden Fällen augenscheinlich nicht. Elon Musk ist im Tesla-Reich der König, dem alle huldigen – und der dies geschickt ausnutzt.

Im Jahr 2018 hat sich Musk in seinem Zehn-Jahres-Vertrag (!) als CEO eine erfolgsabhängige Vergütung sichern lassen, die ihn vor wenigen Tagen an Amazon-Gründer Jeff Bezos als reichstem Menschen der Welt hat vorbeiziehen lassen, jedenfalls nach dem Bloomberg-Milliardärsindex. Musks über die Amtszeit verteiltes Vergütungspaket besteht aus zwölf Tranchen, die jeweils das Recht zum Erwerb von 8,4 Millionen Telsa-Aktien zum Preis von 70 Dollar je Aktie enthalten – also etwa einem Zehntel des aktuellen Marktpreises. Nach den jüngsten Q-Zahlen waren die fünfte und sechste Tranche fällig. Auf Basis des Tesla-Kurses am Tag der Veröffentlichung der Zahlen war jede Tranche 6,2 Mrd. Dollar wert, die (Zwischen-)Vergütung also mehr als 12 Mrd. Dollar. Über die Anreizwirkung und die damit verbundenen Risiken einer solchen Incentivierung eines CEO muss man nicht lange nachdenken.

Wenn Blasen platzen, wird unter großem Geschrei jener, die bis dahin vor lauter Gier in den Augen die Risiken nicht sehen konnten oder wollten, nach den Schuldigen gesucht. Fürs Platzen von Blasen braucht es nicht zwingend Aufdeckung von Betrug. Manchmal reicht auch sich entlarvender Größenwahn.

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