Im BlickfeldBankensystem

Zweifel am Einlagenschutz der Schweizer Banken

Das Scheitern der Credit Suisse wirft ein Schlaglicht auf die Einlagensicherung in der Schweiz. Die Schutzgrenze ist niedrig und das System nicht bekannt genug.

Zweifel am Einlagenschutz der Schweizer Banken

Zweifel am Einlagenschutz der Schweizer Banken

Das Scheitern der Credit Suisse wirft ein Schlaglicht auf die Sicherung – Die Schutzgrenze ist womöglich zu niedrig, das System kaum bekannt

Von Daniel Zulauf, Zürich

Das Versagen der Credit Suisse hat einigen größeren Gläubigern und ganz vielen Aktionären der Bank Verluste in einer Gesamthöhe von einigen Dutzend Milliarden Franken eingebrockt. Immerhin sieht es aber danach aus, als blieben die Kunden des abgestürzten Traditionsinstituts unbeschadet. Viele haben in den vergangenen Tagen und Wochen vor der Zwangsübernahme durch die UBS trotzdem ihr Konto bei der Credit Suisse geräumt, obwohl die Kunden doch eigentlich keinen Grund zur Panik haben sollten.

Das kollektive System der Einlagensicherung der Schweizer Banken schützt im Pleitefall Guthaben von bis zu 100.000 sfr pro Kunde vor dem Verlust. Die Idee der Einlagensicherung wurde in den USA in der Zeit der Großen Depression vor fast 100 Jahren geboren. Zwischen 1929 und 1933 verschwanden dort fast 40% aller Banken, weil sie pleitegingen, sich selbst auflösten oder von Mitbewerbern übernommen wurden. Eine Vertrauenskrise erschütterte das damalige US-Bankensystem. Kunden stürmten die Schalterhallen, um ihr Geld in Sicherheit zu bringen. Auch in Deutschland führte der Ansturm auf Banken damals zu einer schweren Wirtschaftskrise. Erst als sich der Kongress zur Schaffung einer Einlagenversicherung entschloss, kehrte Ruhe ein.

Warum hat die Einlagensicherung nicht auch den Sturm der Credit-Suisse-Kunden auf ihre Bankkonten verhindert? Nur rund 36% der im Geltungsbereich des Einlagensicherungssystems der Schweizer Banken liegenden Kundenguthaben seien effektiv gesichert, sagt ein Sprecher des Trägervereins Esisuisse auf Anfrage. In der Mehrheit bewegten sich die Bankguthaben weit über der Sicherungsgrenze, weil sie Geschäftskunden oder sehr vermögenden Privatkunden gehörten.

Im Jahr 2014 einige sich die Staatengemeinschaft unter dem Dach der Internationalen Vereinigung der Einlagenversicherer (IADI) auf Standards für einen wirksamen Schutz. Prinzip Nr. 8 hält fest: „Die Höhe und der Geltungsbereich der Deckung ist so ausgestaltet, dass die große Mehrheit aller Bankkunden vollständig geschützt ist, während ein substanzieller Teil der Guthaben ungeschützt bleibt.“ Bis heute unterscheiden sich die Grenzen von Land zu Land allerdings stark (siehe Grafik). Nach den Bankenpleiten in den USA und der Schweiz werden Stimmen laut, die Sicherungsgrenzen zu erhöhen, darunter auch aus Deutschland.

Niedriges Schutzniveau

Dass die Sicherungsgrenze des Schweizer Systems auch im internationalen Vergleich besonders niedrig ist, wird erst nach einer genaueren Analyse deutlich. In den EU-Ländern liegt die Sicherungsgrenze bei mindestens 100.000 Euro, in Großbritannien bei 85.000 Pfund und in den USA sogar bei 250.000 Dollar pro Kunde und Fall. Um mit dem Schutzniveau der genannten Länder mithalten zu können, müsste das Schweizer System eine deutlich höhere Sicherungsgrenze haben.

Denn die Schweizer sind im Vergleich zu den Europäern oder zu den Amerikanern vermögender. Während in der Schweiz 64% der im Prinzip versicherbaren Bankguthaben effektiv nicht gesichert sind, beläuft sich der Wert der von der US-amerikanischen Federal Deposit Insurance nicht gedeckten Bankguthaben auf rund 43%.

Eine höhere Sicherheitsobergrenze ist in der Schweiz aber auch aufgrund der höheren Lebenshaltungskosten angezeigt. Einlagensicherungssysteme haben mitunter den Zweck, existenzielle Härtefälle zu vermeiden. Ein Schweizer Haushalt, der von der Einlagensicherung das Maximum von 100.000 sfr erhält, gerät schneller in Existenznot als ein Haushalt in Litauen, dem nach der Bankenpleite noch 100.000 Euro verbleiben.

Kaum bekannt

Auch der Bekanntheitsgrad der Schweizer Einlagensicherung gerät in den Blick. Unter Punkt 10 der internationalen Kernprinzipien heißt es: „Damit ein Einlagensicherungssystem die Bankkunden schützen und zur Finanzstabilität beitragen kann, ist es essenziell, dass das Publikum laufend über dessen Vorteile und Begrenzungen informiert wird.“ In einer internationalen Umfrage fanden Forscher mit Unterstützung der Vereinigung IADI zuletzt heraus, dass Privatleute ihr Geld viel eher auf dem Konto belassen, wenn sie über den Schutz informiert sind. Allerdings zögen erklärtermaßen einige Menschen ihr Geld auch dann von ihrem Konto ab, wenn der Betrag doch eigentlich durch ein System gesichert ist. Seit Jahren moniert zudem der Internationale Währungsfonds in den regelmäßigen Länderexamen einen ungenügenden Bekanntheitsgrad des Schweizer Einlagensicherungssystems.

Wenig Kommunikation

In der Gesetzesreform von 2021 verzichtete das Parlament darauf, die Kreditwirtschaft gesetzlich auf eine intensivere Öffentlichkeitsarbeit zu verpflichten. „Internationale Erfahrungen zeigen, dass die Kommunikation in Form von Werbung verpufft, wenn das Thema nicht aktuell ist“, sagt der Esisuisse-Sprecher und erklärt, die Bearbeitung einzelner Medien oder Bankkundenberater mittels Interviews, Hintergrundgesprächen oder der Beantwortung von Anfragen sei der effizientere Weg. Das Budget des Bankenvereins von 3,4 Mill. sfr lässt derweil kaum Spielraum für andere Strategien. 

Wie viele besorgte Credit-Suisse-Kunden in den Schicksalstagen der Bank die Webseite von Esisuisse konsultierten, um sich präzise über die Einzelheiten der Einlagensicherung zu informieren, vermochte der Sprecher nicht zu sagen. Stattdessen verweist er auf eine noch unveröffentlichte Untersuchung der Universität Basel in der bezüglich eines Bankkonkurses gefragt wurde: „Was würde mit dem Geld geschehen, das Sie auf ihrem Privat- und Sparkonto haben?“ 44% der Befragten sollen geantwortet haben: „Ich erhalte Geld zurück.“

Dieser im eigenen Urteil von Esisuisse gute Wert sagt allerdings wenig über den Bekanntheitsgrad des Systems und über das Verständnis des Publikums zur Funktionsweise aus. Gut möglich, dass die Befragten ihren Optimismus für den Fall einer Bankpleite viel mehr aus den Erfahrungen staatlich organisierter Rettungsaktionen als aus dem Wissen über die Einlagensicherung schöpfen. Die IADI-Kernprinzipien besagen schließlich, dass das Publikum den Geltungsbereich einer Einlagensicherung und dessen Grenzen kennen muss und dass es in der Lage sein sollte, die dem System angeschlossenen Banken zu identifizieren. Von diesem Standard ist das Schweizer System womöglich noch entfernt.

Grenzen der Selbstregulierung

Noch sind die 2021 beschlossenen Reformen der Einlagensicherung der Schweizer Banken nicht vollständig umgesetzt und schon bahnt sich die nächste Diskussion über nötige Nachbesserungen an. Wieder werden die Banken auf der politischen Bühne die Kosten solcher Anpassungen und deren Verhältnismäßigkeit ins Feld führen, um kurzfristig die eigene Profitabilität zu schützen. Auf der Strecke bleibt die Frage, was ein wirkungsvolleres und deshalb vielleicht auch teureres System für die Stabilität der Bankwirtschaft und für die Krisenresistenz der Schweizer Volkswirtschaft leisten kann.

Das unvollendete Werk der Schweizer Einlagensicherung zeigt beispielhaft auf, wo die Grenzen der Selbstregulierung im Schweizer Finanzmarkt liegen: Die Schweizer Banken sehen offenbar keinen Vorteil darin, den Wert ihrer eigenen Einlagensicherung bekannter zu machen.

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