CEO-Wechsel bei Siemens

„Mit Ihrem Abschied geht eine Ära zu Ende“

Wie geht es einem Vorstandschef an seinem letzten Arbeitstag? „Das Befinden ist sehr gut, außer dass ich sehr früh aufstehen musste.“ So pariert Siemens-CEO Joe Kaeser die Journalistenfrage am Mittwoch um 8 Uhr morgens mit einer Prise Ironie....

„Mit Ihrem Abschied geht eine Ära zu Ende“

Von Michael Flämig, München

Wie geht es einem Vorstandschef an seinem letzten Arbeitstag? „Das Befinden ist sehr gut, außer dass ich sehr früh aufstehen musste.“ So pariert Siemens-CEO Joe Kaeser die Journalistenfrage am Mittwoch um 8 Uhr morgens mit einer Prise Ironie. Abends nach der Hauptversammlung wird er aus seinem Amt als Vorstandschef ausscheiden.

Die Dinge hätten sich alle so entwickelt, wie „wir uns das gewünscht haben“, ordnet er seine Emotionen anschließend ernsthafter ein, nicht ohne einen der typischen Kaeser-Halbsätze hinterherlaufen zu lassen: teilweise sogar ein bisschen besser. „Insofern freue ich mich auf den heutigen Tag – und auch auf morgen“, fügt er unter dem freundlichen Lachen seines Nachfolgers Roland Busch in einer Telefonpressekonferenz hinzu.

Notgedrungen vollzieht Siemens diesen Wechsel ohne Präsenzveranstaltung. Aber ansonsten ist alles für die Feier bereitet. Der Aktienkurs ist am Vortag auf einen Rekordwert gestiegen. Auch am Tag der Hauptversammlung legt er angesichts einer erhöhten Prognose bis zum Schluss des Xetra-Handels um 1,8% auf das Allzeithoch von 136,00 Euro zu.

Lob von allen Seiten

Es ist ein Einschnitt für Siemens, kein Zweifel. In der morgendlichen Analystenkonferenz bedanken sich fast alle Kapitalmarktexperten für die Diskussionen mit Kaeser – ein in dieser Breite ungewöhnlicher Reigen von Statements.

Auch Aufsichtsratschef Jim Hagemann Snabe würdigt den scheidenden Kaeser ausführlich. Nachdem er 20 Minuten lang zu Beginn der Hauptversammlung Formalien abgehandelt sowie die Neuaufstellung der Struktur und sich selbst gelobt hat („gelang zum ersten Mal seit 15 Jahren ein geplanter, geordneter Übergang“), folgt eine Eloge auf den Manager, die der Vorführung eines virtuellen Film-Geschenks (#ServusJoe) vorangeht. Siemens verabschiede sich „von einer seiner größten Führungspersönlichkeiten“, sagt der Aufsichtsratschef: Kaeser habe das Unternehmen wie wenige andere geprägt und ein starkes Fundament für künftige Generationen hinter­lassen.

Aktionäre angetan

Für ihn sei dies ein sehr emotionaler Moment, räumt Snabe ein. Es sei sicher nicht übertrieben zu sagen, fügt er an Kaeser gerichtet hinzu: „Mit Ihrem Abschied geht eine Ära zu Ende.“ Über 40 Jahre habe er im Dienst des Unternehmens gestanden, davon sieben Jahre als Chef. In dieser Zeit habe sich Siemens von Grund auf erneuert.

Mit der Vision 2020 habe Siemens seine Wettbewerbsfähigkeit gestärkt: „Die meisten Vorstandsvorsitzenden hätten sich mit dieser Leistung zufriedengegeben.“ Doch Kaeser habe stattdessen die Neuerfindung des Unternehmens mit der Vision 2020+ noch einmal beschleunigt. Das Fazit von Snabe: „Die Siemens AG ist heute fokussierter, anpassungsfähiger, schneller und stärker denn je.“

Die Aktionäre ziehen ebenfalls eine positive Bilanz in ihren vorab eingereichten Fragen und Statements. Daniela Bergdolt, Vizepräsidentin der Aktionärsschützervereinigung DSW, bescheinigt Kaeser eine sehr erfolgreiche Arbeit: „Er hatte eine Vision für Siemens und hat sie durchgesetzt.“

Deka-Portfoliomanager Winfried Mathes erklärt, die Ära Kaeser sei für Siemens unter dem Strich positiv gewesen. Mit seinen Strategie-Programmen habe er das Gesicht von Siemens geliftet, ähnlich wie einst das „10-Punkte-Programm“ des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Heinrich v. Pierer Ende der neunziger Jahre:  „Die Vision 2020+ hat Siemens zu einem stärker fokussierten Unternehmen geformt.“ Union-Portfoliomanagerin Vera Diehl sagt ebenfalls, die Aktionäre könnten mit der Ära Kaeser zufrieden sein (vgl. BZ vom 29. Januar). Relativ nüchtern verabschiedet sich die DWS. Ein ganz spezieller Dank gelte Kaeser für seinen jahrzehntelangen Einsatz, heißt es von Seiten des Portfolio-Verantwortlichen Hendrik Schmidt.

Deka-Manager Mathes macht allerdings auch Schönheitsfehler aus. So könne man bemängeln, dass es in den vergangenen Jahren keine entscheidenden Margenverbesserungen im industriellen Geschäft mehr gegeben habe. Zudem sei das einst margenstarke Energiegeschäft von der schneller als erwartet fortschreitenden Wende zu einer kohlenstoffärmeren Energieerzeugung überrollt worden: „Und die einst als Traum-Akquisition gepriesene Dresser-Rand entpuppte sich eher als schwarzes Schaf.“ Das Kalkül, die Neuerwerbung als Türöffner für die Prozessautomatisierung und die Digitalisierung der Öl- und Gas-Industrie zu nutzen, sei nicht aufgegangen. Union-Managerin Diehl weist darauf hin, dass die Siemens Gesamtrendite – also inklusive reinvestierter Dividenden – etwas niedriger gewesen sei als des Index MSCI World Industrials.

In der Abstimmung über die Entlastung erhält Kaeser zwar 99,05% – doch ist das der niedrigste Wert im Kreis des Vorstands.

Busch wird von Diehl aufgefordert, aus dem Schatten seines Vorgängers zu treten. Er brauche eine eigene strategische Agenda: „Siemens muss es schaffen, das Ingenieurs- und Digitalisierungs-Know-how besser zu monetarisieren und damit höhere Margen zu erzielen.“ Bergdolt erklärt, Busch müsse ein fokussiertes Technologieunternehmen formen, das sich auf die Digi­talisierung und Automatisierung spezialisiere.

Mathes stellt fest, Siemens sei noch kein Hort der Glückseligkeit. Nach Jahren der Um- und Ausgliederung und Verkäufen von Geschäftseinheiten müsse Busch Siemens auf Profitabilität trimmen. Denn die vier industriellen Geschäftsbereiche hätten im abgelaufenen Geschäftsjahr unter oder am unteren Rand ihrer langfristigen Margen-Zielbänder gelegen, und die Kapitalrendite sei mit 7,8% meilenweit von der Zielmarke von 15% bis 20% entfernt: „Wir Investoren erwarten jetzt den Beweis dafür, dass der weitreichende Konzernumbau von Kaeser mehr Früchte trägt.“

Snabe lobt dagegen Busch schon jetzt. Er habe in allen bisherigen Rollen in seiner Siemens-Laufbahn immer wieder überzeugt: „Sein herausragendes Verständnis von Technologie möchte ich dabei besonders hervorheben.“ Busch erkenne technologische Zukunftstrends frühzeitig und ergreife die unternehmerischen Chancen, die daraus entstünden. Er sei offen, visionär und ein echter Team Player.

Kaeser selbst nutzt seine Rede, in der er auch dem früheren und tragisch verstorbenen Siemens-Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger gedachte, um die vielen Facetten und Erfolge seiner Amtszeit zu beleuchten. Im Gespräch mit Analysten hat er es zuvor als Manko bezeichnet, dass nach internationalen Maßstäben mehr hätte geleistet werden sollen. Doch er habe getan, was in Deutschland machbar gewesen sei, fügt er hinzu.

Bemerkenswerte Empfehlung

In der Online-Hauptversammlung merkt Kaeser eingangs an, er habe die Grenzen im Aufsichtsrat getestet, manchen ein bisschen geschoben. Eine Empfehlung der besonderen Art richtet der scheidende Chef, der einst auch als künftiger Siemens-Aufsichtsratsvorsitzender nach einer Abkühlphase gehandelt worden ist, an die Anleger. Er wisse von einzelnen Investoren, dass Bedenken bestünden, ob Snabe die Fülle der Mandate, die er habe, wirkungsvoll ausüben könne. Kaeser bescheinigt Snabe dagegen, er habe noch keinen Aufsichtsratsvorsitzenden erlebt, der dies so gut gemacht habe dieser in den Jahren an der Spitze des Kontrollgremiums. Und er fügt hinzu: „Deshalb kann ich nur jedem Investor empfehlen: Sehen Sie, dass Sie Herrn Snabe dahin bekommen, wo Ihre Interessen liegen.“