Verleihung des Karlspreises

Robert Habecks Plädoyer für eine föderale europäische Republik

Drei Mal hat sich in dieser Woche Vizekanzler Robert Habeck über ein Europa der „Einheit in Vielfalt“ geäußert. Durchaus mit Betonung der Vielfalt. Denn erst Differenzen konstituierten das Gemeinsame.

Robert Habecks Plädoyer für eine föderale europäische Republik

Robert Habecks Plädoyer für eine föderale europäische Republik

fed/ahe Aachen/Berlin

Der Karlspreis – die höchste Auszeichnung für Menschen, die sich um die europäische Verständigung verdient gemacht haben – hat jedes Jahr zwei Überraschungsmomente. Der erste ist natürlich die Auswahl des Preisträgers oder der Preisträgerin. Dabei gab es manchen Knalleffekt, etwa 2002, als sich die Jury für „den Euro“ entschied. Die zweite spannende Frage ist, wozu der Laudator die Festrede nutzt. Unvergessen die Liebeserklärung des damaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy an die Kanzlerin: „Je t’aime, Angela“.

In diesem Jahr hat Vizekanzler Robert Habeck diese Rede in besonders feierlicher Zeremonie – mit Karlshymne und Beethovens Neunter – für zweierlei genutzt: Zum einen hat er seine Vorstellung einer Europäischen Union beschrieben. Zum anderen hat der studierte Philologe und Philosoph das Publikum daran erinnert, dass er im Laufe seiner beruflichen Karriere nicht nur Gesetze formuliert hat, sondern auch Romane. Der anhaltende Applaus im Aachener Krönungssaal galt deshalb nicht nur seiner inhaltlichen Positionierung, sondern auch der Kunstfertigkeit und sprachlichen Wucht, mit der seine Überlegungen vortrug.

Was nun aber hat Habeck über die „Heimat Europa“ gesagt, also über seine Vision einer Union, in der sich Menschen zu Hause fühlen? Der Laudator entwickelte seine Vorstellung in enger Bezugnahme auf die diesjährigen Preisträger. Den Karlspreis 2024 erhielten am Donnerstag der Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt und mit ihm die jüdischen Gemeinschaften für ihre wertvollen Beiträge zum Dialog der Religionen und Glaubensgemeinschaften.

Einheit in Vielfalt

Habeck warnt davor, die Antwort auf den noch immer existenten Antisemitismus in Europa dürfe nicht die Denkfigur eines nivellierenden „Dazugehörens“ sein, die das Fremde aufzulösen versuche. Und hier schlägt er die Brücke zur gemeinsamen Politikgestaltung in der EU: Der Dialog – auch der politische – setze doch gerade voraus, dass es etwas zu besprechen gebe. Es gehe darum, Differenzen als konstitutiv für das Gemeinsame zu begreifen. Und exakt einen Monat vor den Europawahlen trat der Wirtschaftsminister gerade jenen politischen Kräften entgegen, die „eine geschlossene, ethnisch homogene Kultur herbeiphantasieren und mit Gewalt herbeiführen“ wollen.

Auf die Frage nach dem Ziel der europäischen Einigung antwortet Habeck deshalb mit dem Begriff einer „föderalen europäischen Republik“, verstanden als „Einheit in Vielfalt“ in einer aus unterschiedlichen Kulturen und Sprachen, Nationen und geschichtlichen Bezügen gebildeten Union. Denn in einer solchen EU, ist Habeck überzeugt, müsse niemand mehr Angst vor dem Verlust der eigenen Geschichte und Kultur haben.

Habecks Karlspreis-Rede ist einer von mehreren Einwürfen von ihm in dieser Woche zur Zukunft der EU. So diskutierte er am Dienstag eineinhalb Stunden mit jungen Vertretern aus der Zivilgesellschaft, von NGOs und Thinktanks über das Thema. Am Mittwoch hielt er die Keynote bei der großen Feier der deutschen Wirtschaftsverbände zum 20. Jahrestag der EU-Osterweiterung. „Europa darf nicht stehen bleiben, wo es ist“, war jedes Mal eine zentrale Botschaft.

Der 54-Jährige bezeichnet sich selbst gerne als „überzeugten Europäer“, verbindet dies aber immer mit der Forderung nach Reformen. Die EU habe bewiesen, dass sie die Technik der Regelgebung und die Kontrolle der Regeleinhaltung beherrsche, sagt er etwa. „Aber wir laufen Gefahr, uns in diesen Regeln zu verstricken.“ Habeck bezieht sich dabei unter anderem auf seine Dauerauseinandersetzungen mit EU-Kommissarin Margrethe Vestager im Kampf um andere Beihilferegeln. Zuletzt lieferte er sich Scharmützel mit Binnenmarktkommissar Thierry Breton über das geplante Satellitensystem IRIS.

Europa schaue zu sehr nach innen. Die Überwachung des Binnenmarkts und die Kontrolle der Kohäsionsmittel sei wichtig und gut, aber bei weitem nicht ausreichend. Habeck sieht gar eine Hybris – „die überkommene Vorstellung, dass Europa so mächtig ist, dass es sich vor allem um sich selbst kümmern kann. So ist es längst nicht mehr.“ Er fordert vielmehr neue machtpolitische Kompetenzen der EU und mehr Mehrheitsentscheidungen statt Einstimmigkeit. Er unterstützt zugleich mit Nachdruck die EU-Ambitionen der Ukraine. Die Ukraine, aber auch Moldawien, Georgien und die Länder des westlichen Balkans seien Teil der europäischen Familie und brauchten eine glaubwürdige Perspektive für den Beitritt zur EU.