VW-Dieselskandal

Betrugsprozess ohne Winterkorn gestartet

Dass Martin Winterkorn dem Auftakt des Strafverfahrens wegen des Vorwurfs des bandenmäßigen Betrugs im Zusammenhang mit dem Dieselskandal gegen teils ehemalige Manager und Ingenieure von Volkswagen am Landgericht Braunschweig nicht beiwohnen würde,...

Betrugsprozess ohne Winterkorn gestartet

Von Carsten Steevens, Hamburg

Dass Martin Winterkorn dem Auftakt des Strafverfahrens wegen des Vorwurfs des bandenmäßigen Betrugs im Zusammenhang mit dem Dieselskandal gegen teils ehemalige Manager und Ingenieure von Volkswagen am Landgericht Braunschweig nicht beiwohnen würde, war im Vorfeld bereits klar. Aufgrund des Gesundheitszustands des 74-Jährigen infolge einer Hüftoperation hatte das Gericht das Verfahren gegen den von 2007 bis 2015 amtierenden Vorstandsvorsitzenden vor Wochenfrist „zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung“ abgetrennt.

Wann Winterkorn wieder vollständig oder zumindest eingeschränkt verhandlungsfähig sein werde, wollte das Gericht nicht prognostizieren. Die Gesamtverfahrensdauer des Prozesses, für den 133 Verhandlungstage bis zum Sommer 2023 angesetzt sind, werde sich durch die Abtrennung nicht verdoppeln. Es seien in beiden Verfahren nur die Sachverhalte aufzuklären, die „für die Strafbarkeit der jeweiligen Angeklagten bedeutsam sind“. Laut dem Anklagevorwurf war der frühere VW-Chef an der Entwicklung der sogenannten Akustikfunktion nicht beteiligt, er habe erst verhältnismäßig spät von den eventuellen Manipulationen erfahren. Der Vorwurf beziehe sich insofern auf weniger als 1% der ca. 9 Millionen Fahrzeuge, die in Europa und den USA verkauft wurden und nach Auffassung der Staatsanwaltschaft von den Manipulationen betroffen gewesen sein sollen. Gegen die gesonderte Verhandlung in dem aufgrund der Corona-Pandemie zweimal verschobenen Strafverfahren hat die Staatsanwaltschaft Braunschweig Beschwerde beim Oberlandesgericht eingelegt.

Zu Prozessbeginn am Landgericht warf Oberstaatsanwältin Elke Hoppenworth den weiteren vier Angeklagten Reuters zufolge die Bildung einer „Bande zur fortgesetzten Begehung von Straftaten“ vor. „Als Führungskräfte sind sie dafür verantwortlich, dass die Behörden mit einer Software über die Einhaltung der Abgas-Grenzwerte von VW-Dieselmotoren getäuscht wurden.“ Die Ermittler gehen davon aus, dass die Angeklagten von der Dieselabgasmanipulation wussten und die illegale Abschalteinrichtung mitentwickelten bzw. nicht dagegen vorgingen. Ihr Ziel sei gewesen, dem Unternehmen möglichst hohe Gewinne zu verschaffen, um von hohen Bonuszahlungen zu profitierten.

Winterkorn, so Hoppenworth, sei spätestens im Mai 2014 über die Existenz der Abgasmanipulation in den USA informiert gewesen. Dennoch habe er den Verkauf der Fahrzeuge nicht gestoppt und die unlautere Werbung mit dem angeblich sauberen Diesel nicht eingestellt. Die Strafkammer des Gerichts hatte in der Eröffnungsentscheidung über eine Anklage vor gut einem Jahr die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft in Teilen verschärft. Den Angeklagten drohen im äußersten Fall Gefängnisstrafen von bis zu zehn Jahren.

Der Verteidiger eines der angeklagten Ingenieure warf Winterkorn laut Reuters vor, sich dem Prozess zu entziehen. Angesichts von Winterkorns Alter sei vollkommen unklar, ob das Verfahren gegen ihn jemals geführt werden könne. Durch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und die Medienberichterstattung über den Dieselskandal sei ein Klima der Voreingenommenheit gegen die Angeklagten entstanden. Die Anwältin eines früheren VW-Managers beantragte, das Hauptverfahren auszusetzen. Sie begründete dies damit, dass der zur Anklage gebrachte Sachverhalt nicht ausermittelt sei. „Ohne das Ergebnis abzuwarten, soll nun verhandelt werden.“

Als erster großer Strafprozess im Dieselskandal in Deutschland hatte Ende September vorigen Jahres in München das Verfahren gegen den bis 2018 amtierenden Audi-Chef Rupert Stadler begonnen. Im Januar dieses Jahres wurde bekannt, dass sich Winterkorn nicht wegen des Vorwurfs der Marktmanipulation vor Gericht verantworten muss. Das Landgericht Braunschweig erklärte, das Verfahren wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Wertpapierhandelsgesetz vorläufig eingestellt zu haben. Mit VW verständigte sich der Ex-Konzernchef im Frühjahr auf die Zahlung von 11,2 Mill. Euro Schadenersatz wegen aktienrechtlicher Sorgfaltspflichtverletzungen.