Korruptionsermittlungen

Chinas erster „Kapital­verbrecher“

Bis vor wenigen Monaten galt Zhou Jiangyong als ein erfolgreicher Regionalpolitiker. Nun wurde er wegen vermuteter Korruptionsvergehen aus der Partei ausgestoßen – mit einer noch nie da gewesenen Begründung.

Chinas erster „Kapital­verbrecher“

Von Norbert Hellmann, Schanghai

Wie man weiß, hat sich Chinas Regierung im vergangenen Jahr die heimische Internet- und Techbranche mit einer allgewaltigen Regulierungskampagne zur Brust genommen, um die Marktmacht chinesischer Technologieriesen zu begrenzen und ihren milliardenschweren Gründern zu zeigen, dass sie vom politischen System nicht mehr wohlgelitten sind. Die Techkampagne ist auf politisch-ideologischer Ebene unter das spannende Motto der Bekämpfung einer „ungeordneten Expansion des Kapitals“ gestellt worden. Damit soll ein neues Kapitel zur ideologischen Festigung einer „sozialistischen Marktwirtschaft mit chinesischen Charakteristika“ aufgeschlagen werden.

Jede gute chinesische Kampagne hat ihre Opfer. Zu den spektakulärsten gehört sicherlich der Starentrepreneur Jack Ma mit seinem in der Metropole Hangzhou aufgezogenen Alibaba-Imperium, dem die Flügel reichlich gestutzt wurden. Es scheint aber auch politische Opfer zu geben. Zhou Jiangyong (54), der Parteichef der nicht zuletzt durch Alibabas Wirken und Anziehungskraft zu einem führenden Tech-Cluster avancierten Stadt Hangzhou, ist jetzt wegen vermuteter Korruptionsvergehen aus der Partei ausgestoßen und förmlich seiner Ämter enthoben worden. Er war bereits im August im Rahmen eines der in China üblichen Ermittlungsverfahren unter Korruptionsverdacht gestellt und politisch aus dem Verkehr gezogen worden.

Bis vor wenigen Monaten galt Zhou als ein besonders erfolgreicher und dynamischer Regionalpolitiker, dem man einen raschen weiteren Aufstieg in höhere Staatsämter zugetraut hatte. Zum Verhängnis wurde allerdings, dass Zhou in den vergangenen Jahren auch öffentlich zur Schau gestellte enge Beziehungen zu Jack Ma, als dem wohl wichtigsten Sohn der Stadt Hangzhou, pflegte. Bislang gibt es zwar kein Anzeichen dafür, dass Zhous mögliche Missetaten direkt etwas mit Alibaba zu tun haben. Es geht aber um unlautere privatwirtschaftliche Geschäftsbeziehungen, die seitens der Behörden diesmal auf besonders auffällige Weise herausgestrichen werden.

In China werden alle naselang mittlere und hohe Staatsdiener, Parteibeamte sowie Manager von Staatsunternehmen der Korruption bezichtigt und dann praktisch ausnahmslos zu langen Haftstrafen verdonnert. Zuständigkeit für die Ermittlungsverfahren und ihre juristische Abwicklung hat die der Kommunistischen Partei direkt angehängte Central Commission for Discipline Inspection (CCDI). Zu ihren Gewohnheiten gehört es dabei, die jeweiligen Fälle mit knappen Einzeilern zu „Verstößen gegen die Parteidisziplin“ als Codewort für Korruptionsdelikte anzukündigen.

Im Falle Zhou jedoch zeigt sich die CCDI ungewohnt kommunikationsfreudig. In einem Statement vom Mittwoch heißt es, dass Zhou Bestechungsgelder angenommen, seine Amtsgewalt missbraucht und Ermittlungen behindert habe. Der entscheidende Vorwurf lautet aufgrund von unlauteren Arrangements mit Unternehmen eine „ungeordnete Expansion des Kapitals“ unterstützt zu haben. Politische Beobachter betonen, dass es sich um das erste Mal handelt, dass Chinas Korruptionswächter eine Strafaktion mit dem Sündenfall des kapitalistischen Exzesses begründen. Der Fall wird sicherlich Schule machen. Der korruptionsverdächtige chinesische Politiker der Zukunft wird kein ordinärer Schmiergeldempfänger, sondern ein regelrechter Kapitalverbrecher sein.