Geopolitischer Experte Ralf Schuster

Der Welterklärer von der Helaba

Geopolitik leicht verständlich zu machen, hat sich Ralf Schuster zur Aufgabe gemacht. Der geopolitische Experte der Helaba, so seine Berufsbezeichnung, ist seit 40 Jahren in Finanz- und Realwirtschaft unterwegs – und in den meisten Ländern dieser Welt.

Der Welterklärer von der Helaba

Der Welterklärer von der Helaba

Von Tobias Fischer, Frankfurt

Ralf Schuster ist eine Rarität in der deutschen Bankenlandschaft. Das macht den geopolitischen Experten der Helaba umso gefragter in Zeiten wie diesen, in denen die globalen Turbulenzen stetig zunehmen. Auch viele Unternehmen und Banken üben sich deshalb in Geopolitik, und Schuster hilft ihnen dabei. Dabei bedient er sich eingängiger Sprachbilder und Analogien wie dieser: „Meine Arbeit ist wie Gold waschen.“ Aus einer Flut von Informationen aus Gesprächen, Büchern und Artikeln siebe er aus. „Am Ende bleibt mit Glück wieder ein kleines Teilchen hängen, dass das komplexe geopolitische Puzzle verständlicher macht.“

„Ungeheurer“ Informationsbedarf

In Vorträgen und Seminaren gibt der 60-Jährige Antworten auf Fragen zu den neuen globalen Realitäten, seien es die erratischen Entscheidungen des US-Präsidenten, der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, der Konflikt zwischen China und den USA oder die Suche Indiens und der Europäischen Union nach ihren Plätzen in der sich verändernden Weltordnung. Er nehme einen ungeheuren Bedarf an geopolitischen Informationen wahr, die einfach, verständlich und nachvollziehbar sind. Die Politik Donald Trumps habe die Nachfrage nach Erklärungen noch weiter befeuert.

Bis zu 70 Vorträge pro Jahr

60 bis 70 Vorträge hält Schuster im Jahr, wie er sagt, viele davon bei Sparkassen. Auch Politiker berät er mitunter, so wie den thüringischen Ministerpräsidenten, den er auf eine Wirtschaftsdelegationsreise im Mai in die USA vorbereitete. Banken und Unternehmen zeigt er eben nicht nur auf, wie sie geopolitische Risiken minimieren, sondern wo sich möglicherweise neue Geschäftschancen auftun können. Ihm eile der Ruf voraus, geopolitische Zusammenhänge zu erkennen und mit diesem Wissen Märkte zu identifizieren, die künftig aufstreben werden, sagt Schuster.

Was er im Zuge seiner Analysen, dem „Goldwaschen“ sucht, sind Äußerungen und Mitteilungen, die einen Hinweis darauf geben könnten, in welche Richtung sich die Dinge entwickeln. „Sprich, herauszufinden, ob etwas als wirklich wichtig einzustufen ist oder gerade ein verbaler Tornado herrscht.“ Beim Validieren hilft ihm sein Netzwerk an internationalen Kontakten, das er in Jahrzehnten aufgebaut hat.

40 Jahre in Banken tätig

Der gebürtige Berliner ist ein Grenzgänger zwischen Finanz- und Realwirtschaft. So war er lange in der German Healthcare Export Group aktiv, einem Zusammenschluss von Unternehmen aus der Medizintechnik. Seit 2022 berät er die German Health Alliance, eine Initiative des Bundesverbands der deutschen Industrie in der Gesundheitsbranche. Die Finanzwelt ist Schuster durch seine 30-jährige Tätigkeit in meist führenden Positionen bei der Landesbank Berlin und ihren Vorgängerinstituten vertraut. Zehn weitere Jahre arbeitet er bei der Helaba. Dorthin verschlug es ihn 2015, um in aufstrebenden Ländern Geschäftspotenzial auszumachen, Kontakte zu knüpfen und Repräsentanzen aufzubauen.

Seit 2020 widmet er sich in der Landesbank ganz der geopolitischen Beratung, die er als gute Ergänzung der volkswirtschaftlichen Analysen der Helaba wertet. „Solange wir geopolitisch stabile Verhältnisse hatten, kamen die volkswirtschaftlichen Analysen gut ohne Betrachtung der Geopolitik aus“, führt Schuster aus. „Das hat sich geändert. Jetzt herrschen volatile Zeiten.“

Welten prallen aufeinander

Seine Aufgaben für die Banken in Frankfurt und Berlin führten ihn in die meisten Länder des Planeten. Auf seinen ersten Auslandseinsätzen für die Berliner Bank im damaligen Nordjemen, wo er sich beim Eintreiben von Außenständen in Höhe von 25 Mill. Mark zu beweisen hatten, prallten Welten aufeinander, erinnert er sich. „Ich kam mit Mitte zwanzig in Anzug und mit Krawatte im Jemen an, und das Erste, was ich am Flughafen sah, waren Jemeniten im Wickelrock und mit Krummdolch vor dem Bauch.“

Persönliche Beziehungen als Schlüssel zum Erfolg

Es gelang ihm vor Ort, das Vertrauen der maßgeblichen Personen zu gewinnen und mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen das Geld zurückzuholen. „Die Einbringung von Forderungen – vor allen Dingen in fremden Kulturen – kann man oftmals als Mediation betrachten“, sagt Schuster. „Der Schlüssel ist, persönliche Beziehungen aufzubauen und zu nutzen.“

Unter Beschuss geraten

Das Zusammentreffen mit Menschen in vielen Ländern zeigten Schuster neue Perspektiven und bereicherten sein Weltbild. Doch nicht nur positive Erfahrungen prägten ihn. Als im Jemen Bewaffnete das Hotel, in dem er wohnte, zu stürmen versuchten, geriet er unter Beschuss und wurde von Soldaten der Präsidentengarde gerettet. Ein einschneidendes Ereignis, wie er sagt: „Ich hatte das erste Mal Angst um mein Leben. Man wird viel sensibler und vorsichtiger nach so etwas.“

In schwieriger Mission unterwegs

Später schickten die Berliner Schuster stets auf schwierige Missionen, wenn es darum ging, ausstehende Forderungen einzutreiben. Nach Syrien und in den Libanon verschlug es ihn deshalb ebenso wie nach Russland oder zu Umschuldungsverhandlungen in den Iran.

Dabei habe er die Erfahrung gemacht, dass Schuldner häufig aus einem von zwei Gründen nicht zahlen: Entweder handele es sich um Unwillen, der verschiedenste Gründe, bis hin zum Betrug, haben könne, oder um eine Form von Fehlkommunikation, die unterschiedliche Sozialisierungen nicht berücksichtige und dazu führe, dass die Dinge eskalieren.

Trump provoziert Reaktionen

Das volatile Verhalten und die Politik des US-Präsidenten erinnert Schuster an jemanden, der einen Stein in einen ruhigen Teich wirft, wodurch sich Wellen bilden. „Er tut das in meiner Wahrnehmung, um bewusst Reaktionen zu provozieren.“ Die ganze Zollgeschichte ist Schuster zufolge darauf ausgelegt, „den Chinesen wirtschaftlich das Wasser abzugraben, sie in bestimmten Märkten zurückzudrängen und ihren Zugang zu Hochtechnologien zu begrenzen“.  

EU mit enormem Zukunftspotenzial

Da der internationale Handel Zuverlässigkeit benötige, schlage nun die Stunde der EU. „Für sie öffnet sich gerade ein Fenster der Möglichkeiten vor allem in der Zusammenarbeit mit Ländern des Globalen Süden. Die Europäische Union hat enormes Zukunftspotenzial.“

Zum Ausgleich „Kühe gucken“

Geopolitik ist schwere Kost. Um Abstand zu gewinnen, zieht es den verheirateten Vater eines Sohnes in die Natur. Wandern und Spaziergänge in seinem Wohnort bei Fulda helfen, die Gedanken zu sortieren. „Kühe gucken“, nennt er das scherzhaft.