Ex-Wirecard-Vorstand

Flüchtiger Jan Marsalek wird zum Politikum

Der flüchtige Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek soll angeblich in Moskau unter dem Schutz des russischen Geheimdienstes untergetaucht sein. Die Suche nach dem Tatverdächtigen wird zu einem Politikum.

Flüchtiger Jan Marsalek wird zum Politikum

Von Stefan Kroneck, München

Die Suche nach dem tatverdächtigen ehemaligen Wirecard-Vorstand Jan Marsalek entwickelt sich immer mehr zu einem Politikum. Nach dem Zusammenbruch des Zahlungsabwicklers im Juni 2020 infolge des aufgedeckten umfangreichen Bilanzbetrugs soll sich der Flüchtige mittlerweile in Moskau versteckt halten – so jedenfalls nach Informationen von „Bild“. Angeblich sind der Bundesnachrichtendienst (BND) und damit Berlin seit vergangenem Jahr informiert, aber nicht die ermittelnde Staatsanwaltschaft München, die den 42-Jährigen mit einem internationalen Haftbefehl sucht.

Der russische Inlandsgeheimdienst FSB soll Marsalek decken. Dem Österreicher mit tschechischen Wurzeln werden Kontakte zu dubiosen osteuropäischen Geschäftsleuten und Agenten nachgesagt. Dass der gesuchte frühere Chief Operating Officer von Wirecard in Russland untergetaucht sein soll, ist nicht neu. Darüber wird seit seiner Flucht im Frühsommer 2020 von München über Wien in die belarussische Hauptstadt Minsk spekuliert. Dass diese brisante Nachricht aber zum Wochenauftakt öffentlich lanciert wurde, ist vermutlich keinem Zufall geschuldet. So befand sich Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) am Montag zu Gesprächen im Kreml. Er versuchte, Wladimir Putin zu einem Einlenken im Ukraine-Krieg zu bewegen.

Schlüsselfiguren bei Wirecard

Ob auch der Fall Marsalek ein Thema in der Unterredung mit dem russischen Autokraten war, ist nicht bekannt. Marsalek und Markus Braun (53) gehören zu den Hauptverdächtigen in dem Wirtschaftskrimi um den einstigen Dax-Aufsteiger. Mitte März hatten die Strafermittler in der bayerischen Landeshauptstadt gegen den ehemaligen Wirecard-Vorstandschef und zwei weitere Beschuldigte Anklage erhoben (vgl. BZ vom 14. März). Die Staatsanwälte werfen ihnen gewerbsmäßigen Bandenbetrug, Untreue, unrichtige Darstellung und Marktmanipulationen in mehreren Fällen vor. Allein für den besonders schweren Fall des ge­werbsmäßigen Bandenbetrugs droht den Angeklagten eine Freiheitsstrafe laut Strafgesetzbuch von bis zu zehn Jahren. Braun sitzt in Untersuchungshaft. Der Zahlungsabwickler aus Aschheim bei München war im Juni 2020 nach der Aufdeckung eines Finanzlochs von rund 1,9 Mrd. Euro zusammengebrochen. Wirecard be­findet sich seitdem in Abwicklung unter Regie des Insolvenzverwalters Michael Jaffé. Marsalek konnte sich einer Verhaftung und Anklage bislang durch Flucht entziehen. Die Ermittlungen laufen derzeit weiter. Für die deutschen und österreichischen Justizbehörden wird es aber schwierig sein, seiner habhaft zu werden, sollte er sich tatsächlich in Putins Machtzentrum aufhalten. Zwischen Russland und Deutschland sowie Österreich bestehen keine Auslieferungsabkommen. Interpol hat auf Marsalek keinen Zugriff, solange er sich unter dem Schutz des FSB befindet. Die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen sind seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine auf einem Tiefpunkt. Erst ein Machtwechsel im Kreml könnte Bewegung in die Causa Marsalek bringen – sofern sich der ehemalige Wirecard-Vorstand tatsächlich dort aufhält.

Derweil zeichnet sich ein langwieriger Strafprozess gegen Braun ab. Das Landgericht München ist dabei, die Anklage auf Zulässigkeit zu prüfen. Wird dem stattgegeben, könnte gegen Braun ein Gerichtsverfahren möglicherweise im kommenden Herbst beginnen. Der Angeklagte streitet bisher alle Vorwürfe ab und hält sich für unschuldig. Er sieht sich in der Rolle eines Opfers. Über seine Strafverteidiger lässt er ausrichten, Marsalek habe hinter seinem Rücken Scheingeschäfte und Luftbuchungen betrieben, um die wahre Lage des Unternehmens zu verschleiern.

Marsalek war unter anderem für Aktivitäten in Südostasien zuständig. Mit sogenannten Treuhandkonten hat dieser vermutlich das Drittpartnergeschäft betrieben. Diese Konten und Geschäfte bestanden aber nur auf dem Papier, wie sich herausstellte. Die Strafermittler werfen Braun vor, die kriminellen Machenschaften gesteuert zu haben. Sie nehmen ihm die Opferrolle nicht ab.

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