Mit Pragmatismus gesegnet
Mit Pragmatismus gesegnet
Von Annette Becker Düsseldorf
Jetzt ist es amtlich: Miguel Ángel López Borrego, oder kurz: Miguel López, tritt in 15 Tagen die Nachfolge von Martina Merz an der Vorstandsspitze von Thyssenkrupp an. Der Aufsichtsrat des Traditionskonzerns bestellte den Spanier am Dienstag ganz offiziell an die Vorstandsspitze. Sein Vertrag läuft zunächst über drei Jahre. López ist hierzulande vor allem Siemens-Kennern ein Begriff. Denn der Manager, der seit Jahresbeginn interimistisch an der Vorstandsspitze des Autozulieferers Norma Group steht, hat weite Teile seines Berufslebens im Siemens-Reich verbracht; unabhängig davon, dass er vom Hersteller von Autoelektronik VDO, den Siemens kurz nach der Jahrtausendwende aus den „Mannesmann-Resten“ erwarb, zu dem Münchner Konzern stieß. Insofern wundert es auch nicht, dass López auf der Shortlist ganz oben stand, als sich Siegfried Russwurm, Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp, auf die Suche nach einem Nachfolger für Martina Merz begab. Denn auch Russwurm, heute BDI-Präsident, hat 25 Jahre lang für Siemens gearbeitet, davon fast zehn Jahre im Konzernvorstand.
Um die Aufgabe, die López in Bälde übernimmt, ist der gebürtige Frankfurter gleichwohl nicht zu beneiden, auch wenn er das vermutlich anders sieht. Drei Jahre lang hatte sich Merz redlich bemüht, den Konzern vom Kopf auf die Füße zu stellen. Am Ende aber waren es zu viele die Knüppel, die ihr zwischen die Beine geschmissen wurden. Nun muss sich López beweisen. Die dafür erforderliche Energie bringt der eloquente Spanier, der zwischen seinen Wohnsitzen Frankfurt und Madrid pendelt, zweifelsohne mit. Auf seiner Agenda dürften drei Kernthemen stehen: der Portfolioumbau des Konzerns, die Performance der Geschäfte und die grüne Transformation, alles entlang der „strategischen Leitlinien“, die Merz erarbeitet hat. Das hatte Russwurm seinem neuen CEO vor drei Wochen bei der Bekanntgabe des für Juni vorgesehenen Wechsels mit auf den Weg gegeben.
Dealmaker
Unter den Portfoliothemen dürfte der seit langem geplante Börsengang der Wasserstofftochter Nucera am schnellsten zu realisieren sein. Das ist zwar nicht die dringlichste Portfolioentscheidung, wohl aber die, die Thyssenkrupp in Abstimmung mit dem italienischen Partner De Nora weitgehend im Alleingang steuern kann. Auf Vorarbeiten zurückgreifen kann López wohl auch bei dem Vorhaben, das Marinegeschäft zu veräußern. Denn angesichts der geopolitischen Zeitenwende dürfte zumindest das Käuferinteresse hoch sein. Nun gilt es, auch die Politik von den Plänen zu überzeugen.
Das kaufmännische Rüstzeug für M&A-Transaktionen bringt der Spanier mit, hat er sich doch bei Siemens in vielen Geschäftseinheiten als CFO bewährt und dabei – jenseits des Scheinwerferlichts – so manchen M&A-Deal eingefädelt, mal auf der Käufer- und mal auf der Verkäuferseite. Zu pass kommt López dabei, dass er sowohl in der Industrie als auch in der Private-Equity-Szene auf ein breites Netzwerk zurückgreifen kann.
Das dickste Brett zu bohren gilt es in der Stahlsparte, gibt es an dieser Stelle doch gegensätzliche Vorstellungen im Konzern. Während sich die Kapitalseite im Aufsichtsrat für eine Trennung von der zyklischen Sparte erwärmen kann, ist die mächtige IG Metall, die bei Thyssenkrupp mehr als ein Wörtchen mitspricht, mehr als skeptisch. Die Arbeitnehmervertreter träumen noch immer davon, die Stahlsparte wieder zum Kern von Thyssenkrupp zu machen.
Feuerwehrmann
López dürfte sich hierzu noch keine abschließende Meinung gebildet haben, doch wird ihm klar sein, dass Entscheidungen bei Thyssenkrupp nur im Einvernehmen mit den Arbeitnehmervertretern getroffen werden können. Da trifft es sich ganz gut, dass der erfahrene Finanzer, wenngleich selbstbewusst, die Sprache der Arbeiter spricht. Nicht grundlos wird der Betriebswirt bisweilen als „Feuerwehrmann“ umschmeichelt, der mit Pragmatismus ans Ziel gelangt. Den wird López auch benötigen, sind die zahlreichen Vorhaben, die Merz ins Leben rief, doch längst nicht vollendet. Allen voran geht es darum, die einzelnen Geschäfte wieder auf Augenhöhe mit dem Wettbewerb zu bringen. Denn obgleich der Mischkonzern technologisch in seinen Geschäftsbereichen vorne mitspielt, hat es keiner der López-Vorgänger geschafft, sie nachhaltig auf Profitabilität zu trimmen. Wie gut, dass Umsetzungsstärke eines der Attribute ist, die Weggefährten dem einstigen Siemens-Manager bescheinigen.