At-the-Market-Programme auch für deutsche Emittenten interessant
Instrumente für flexible Liquiditätsbeschaffung
At-the-Market-Programme auch für deutsche Emittenten interessant − Chancen für Anpassungen im Zweiten Zukunftsfinanzierungsgesetz
Von Dietmar Schieber
und Laurenz Wieneke *)
Zur kurzfristigen Beschaffung von Eigenkapital steht börsennotierten Unternehmen die Kapitalerhöhung unter Ausschluss des Bezugsrechts zur Verfügung. Die Emittentin schaltet zur Platzierung der neuen Aktien üblicherweise ein Kreditinstitut oder ein Konsortium ein, das die neuen Aktien direkt im Rahmen eines Accelerated Bookbuilding an die Investoren innerhalb weniger Stunden zu einem einheitlichen Preis verkauft. Die Käufer der Aktien sind regelmäßig institutionelle Investoren; Privatanleger werden aus Zeitgründen und zur Vermeidung einer Prospektpflicht nicht angesprochen.
Zur Schaffung der Aktien zeichnet der Konsortialführer die neuen Aktien zum Nominalbetrag. Die Lieferung und Zahlung der neuen Aktien erfolgt nachgelagert nach Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung in das Handelsregister und Zulassung zum Börsenhandel. Mit Ausnahme der Zulassung und Einführung der neuen Aktien zum Börsenhandel ist die Wertpapierbörse bei der Kapitalbeschaffung nicht involviert.
Im Primärmarkt
Im Unterschied dazu kann in den USA die Börse im Rahmen von At-the-Market-Programmen (ATM) als Primärmarkt zur kurzfristigen Kapitalbeschaffung genutzt werden. Die Emittentin beauftragt eine Bank als Sales Agent zur Veräußerung von neuen Aktien über die Börse. Der Verkaufszeitraum bemisst sich nicht nach Stunden, sondern nach Tagen oder Monaten, abhängig von der Liquidität des Handels der betreffenden Aktie, der Entwicklung des Kurses und dem Kapitalbedarf des Unternehmens.
Erworben werden die Aktien vom Börsenpublikum, mithin auch durch Privatanleger. Der Verkaufspreis richtet sich nach dem Börsenpreis und ändert sich im Verkaufszeitraum. Die verkauften Aktien werden jeweils zum Zeitpunkt der Erfüllung der einzelnen Börsengeschäfte geschaffen; eine Vorleistung durch den Sales Agent erfolgt nicht. Die unmittelbare Primärmarktfunktion der Börse als Mittel der Unternehmensfinanzierung hat in den USA eine erhebliche Bedeutung: Von den im Jahr 2024 im US-Markt angekündigten Kapitalmaßnahmen waren Transaktionen in Höhe von einem Drittel des Gesamtvolumens ATM-Programme. ATM-Programme stehen nicht nur US-Gesellschaften, sondern auch ausländischen Unternehmen offen, deren Aktien in den USA registriert sind.
Über eigene Aktien
Eine problemlose Umsetzung eines ATM-Programms ist im deutschen Rechtsrahmen, d.h. bei deutschen Gesellschaften mit einer Notierung in Deutschland, nur möglich, wenn der Emittent eigene Aktien hält. Das Aktienrecht lässt einen Verkauf eigener Aktien über die Börse zu, ohne dass das Bezugsrecht der Aktionäre beachtet werden muss.
Zudem sind solche Aktien typischerweise auch bereits zum Börsenhandel zugelassen. Allerdings verfügen Gesellschaften nur dann über solche Treasury Shares, wenn sie vorher ein Aktienrückkaufprogramm durchgeführt haben. Eine davon unabhängige Schaffung von Treasury Shares ist nicht möglich.
Im Regelfall müssen die Aktien also neu geschaffen werden. Eine ordentliche, d.h. durch die Hauptversammlung beschlossene Kapitalerhöhung kommt dafür schon angesichts der Einberufungsfrist von fünf bis sechs Wochen nicht in Betracht. Zudem wird die Zulässigkeit der Durchführung einer ordentlichen Kapitalerhöhung in mehreren Tranchen zwar erörtert, überwiegend aber verneint.
Beim genehmigten Kapital erteilt die Hauptversammlung dem Vorstand die Ermächtigung, das Kapital mehrfach mit Zustimmung des Aufsichtsrats bis zu einem Höchstbetrag von 50% des Grundkapitals zu erhöhen. Nimmt man den gesamten Prozess einer Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital in den Blick, erfordert dieser Beschlüsse von Vorstand und Aufsichtsrat, Zeichnung der neuen Aktien, Einzahlung der Einlage sowie Anmeldung und Eintragung zum Handelsregister. Sodann müssen die Aktien verbrieft und zum Börsenhandel zugelassen werden.
Selbstverständlich können bei sorgfältiger Planung neue Aktien auch kurzfristig so geschaffen werden, etwa, wie oben dargestellt, zum T+2 Settlement von Platzierungen nach einem Accelerated Bookbuilding. Diesen Prozess allerdings im Rahmen eines ATM-Programms handelstäglich durchführen zu wollen, ist abwegig und scheitert nicht zuletzt an den Transaktionskosten.
Strukturierung erforderlich
Letztlich ist daher eine Strukturierung erforderlich, bei der die im Rahmen des ATM-Programms zu verkaufenden Aktien en bloc geschaffen werden. Möglich wäre also, dass der Emittent ein größeres Paket an Aktien an den Sales Agent ausgibt, der die Aktien dann über einen längeren Zeitraum im Rahmen des ATM-Programms an der Börse verkauft. Kapitalerhöhung und Zulassung müssten technisch dann nur einmal durchgeführt werden. Da der Sales Agent etwaige „übrig gebliebene“ Aktien aber nicht einfach an die Gesellschaft zurückgeben könnte, müsste er nicht nur die Einlage vorfinanzieren, sondern würde auch das Platzierungsrisiko tragen. Dieses Risiko könnte durch eine Zeichnung „zu nominal“ finanziell reduziert, strukturell aber nicht beseitigt werden. Zudem wäre das Bezugsrecht zu beachten. Hier eine privilegierte Struktur zu sehen, erfordert einigen Begründungsaufwand, da Zeichnung (zu nominal) und späterer Verkauf der Aktien (zum Börsenkurs) als einheitlicher Vorgang begriffen werden müssten.
Daher kommt aus rechtlicher Sicht eher eine nachgelagerte Schaffung der Aktien in Betracht. Dabei leiht der Sales Agent bestehende Aktien im Markt und verkauft sie für Rechnung der Gesellschaft im Rahmen des ATM-Programms. Der Verkaufserlös wird dann in Tranchen an die Gesellschaft ausgekehrt gegen Lieferung neuer Aktien, mit denen der Sales Agent die Wertpapierleihe(n) zurückführt.
Keine einfache Lösung
Der Vorteil einer solchen Struktur wäre aus deutscher Sicht, dass nur so viele Aktien im Nachgang geschaffen werden, die der Sales Agent vorher auch tatsächlich verkauft hat. Eine einfache Lösung ist das freilich nicht. Für den Ausschluss des Bezugsrechts wäre im Zweifel eine spezielle Ermächtigung erforderlich. Zudem müssten erst einmal Aktien der Gesellschaft im Leihemarkt verfügbar sein oder durch einen Aktionär zur Verfügung gestellt werden. Auch die Transaktionskosten wären hoch.
Will man sich also nicht mit einer vor- oder nachgelagerten Schaffung der Aktien behelfen, kommt nur die Nutzung eines bedingten Kapitals in Betracht. Mit dem bedingten Kapital stellt das Gesetz eine Möglichkeit zur Verfügung, schnell und pragmatisch Aktien auszugeben. Diese besteht insbesondere zur Unterlegung von Wandelschuldverschreibungen und Mitarbeiteroptionen. Für die Schaffung der Aktien sind Beschlüsse von Vorstand und Aufsichtsrat dann nicht mehr erforderlich, auch nicht eine Eintragung im Handelsregister. Die Ausgabe der Aktien ist ausreichend, d.h. in der Praxis die „Aufvalutierung“ einer Bis-zu-Aktienurkunde im Clearingsystem. Allerdings sind die zulässigen Nutzungsmöglichkeiten eines bedingten Kapitals beschränkt. ATM-Programme fallen de lege lata nicht darunter, obwohl dasselbe praktische Erfordernis besteht, nämlich die kleinteilige Schaffung von Aktien in einem eng beschränkten Sachzusammenhang.
Zulassungsstelle signalisiert Bereitschaft
Der Gesetzgeber hat mit dem ersten Zukunftsfinanzierungsgesetz bereits zahlreiche Maßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Kapitalmarkt ergriffen. Wenn nun die Arbeit an dem Zweiten Zukunftsfinanzierungsgesetz wieder aufgenommen wird, wäre eine Ertüchtigung des bedingten Kapitals „zum Verkauf von Aktien über die Börse im Rahmen von marktnahen Verkaufsprogrammen“ ein Zeichen zur Stärkung der Attraktivität des Finanzstandortes Deutschland. Gerade kleine und mittlere Unternehmen könnten in ihrer Wachstumsphase davon profitieren, die Börse als Primärmarkt flexibel zur Unternehmensfinanzierung in Anspruch zu nehmen. Die Zulassungsstelle der Frankfurter Wertpapierbörse hat bereits zu erkennen gegeben, dass sie zu einer Vorab-Zulassung der auszugebenden Aktien wie im Fall von Wandelschuldverschreibungen und Aktienoptionen bereit wäre.
Wie in den USA auch sind daneben die rechtlichen Publizitätsanforderungen zu beachten. Sofern das ATM-Programm ein gewisses Volumen hat, wäre der Verkaufsbeginn mit einer Ad-hoc-Meldung bekannt zu machen. Daneben wird man ein ATM-Programm als ein öffentliches Angebot ansehen müssen, was grundsätzlich zu einer Prospektpflicht führt. Entsprechende Erleichterungen sind bereits im Zukunftsfinanzierungsgesetz vorgesehen.
*) Dr. Dietmar Schieber ist Managing Director und Head of Capital Markets Advisory bei der Oddo BHF SE, Dr. Laurenz Wieneke ist Partner der Kanzlei Noerr.