Lieferengpässe

Der Halbleiter­mangel fordert das Management

Die Engpässe im Halbleitermarkt können bei einigen Unternehmen in der Lieferkette zu Liquiditätsengpässen führen. Diese zu vermeiden ist eine komplexe Aufgabe für das Management.

Der Halbleiter­mangel fordert das Management

Von Dietmar Schulz*)

Aufgrund von Lieferengpässen insbesondere im Halbleitermarkt ist derzeit eine Verlangsamung in der Industrieproduktion zu beobachten, was zu Belastungen insbesondere von Zulieferern im Automobilsektor führt. Betroffen sind weiter der Anlagenbau, der Transportsektor und die Elektronikindustrie. Zusätzliche Belastungen verursachen die spürbaren Anstiege bei Rohstoff- und Energiepreise sowie im Transportwesen.

Als unmittelbare Folge der Produktionsverlangsamung kommt es zu teilweise sehr kurzfristigen Stornierungen oder Aufschüben von Abrufen in der Zulieferbranche. Der Ausfall an Lieferungen und Bestellungen wiederum führt zu Liquiditätsausfällen bei Lieferanten. Die Verschiebungen betreffen teilweise Zeiträume von sechs, neun oder sogar zwölf Monaten. Das ist im Einzelfall misslich, wenn das Working Capital ganz oder in Teilen in der Produktion und in den Vorräten steckt und kein Puffer für Löhne vorhanden ist, wie es insbesondere im Automobilsektor häufig der Fall ist. Die Automobilhersteller melden zwar ihrerseits ordentliche Auftragsbücher, benötigen aber mangels notwendiger Halbleiter auch keine sonstigen Teile oder jedenfalls in erheblich geringerem Umfang. Auch außerhalb des Automobilsektors verfügen im Vergleich zu den Lieferanten die Endproduzenten derzeit über eine stärkere Kapitaldecke.

Der Halbleitermangel wirkt sich so letztlich auf die gesamte Lieferkette aus. Lieferanten ohne ausreichende Kapitaldecke geraten in Liquiditätsnot und damit unter Handlungsdruck. Tatsächlich ist im letzten Monat ein Anstieg von Insolvenzanträgen zu sehen, insbesondere im Automobilsektor. Ob dies bereits als Indikator zu werten ist für die seit einiger Zeit beschworene Insolvenzwelle, bleibt freilich noch abzuwarten. Die Zahl an Insolvenzanträgen war in der Vergangenheit sehr gering, nicht zuletzt wegen der Aussetzung von Insolvenzantragspflichten und umfangreicher Staatshilfen, was die Zahl an „Zombieunternehmen“ erhöht haben dürfte. Eine leichte Bereinigung ist daher zu erwarten. Ob nun Halbleitermangel und hohe Energiepreise Katalysator für eine größere Bereinigung sind, hängt letztlich davon ab, wie alle Beteiligten mit der Situation umgehen werden.

Haftungsrisiken

Wo die Lieferengpässe Liquiditätsprobleme bei Lieferanten verursachen, können nachhaltige Lösungen in der Regel nur mit Beiträgen von allen Beteiligten erreicht werden. Hier ist zunächst das Management gefordert, Beiträge bei allen Beteiligten einzufordern und dies entsprechend zu verhandeln. Das betrifft Einsparungen bei der Gesellschaft und der Arbeitnehmerschaft, ebenso aber auch Beiträge aus dem Gesellschafterkreis, von Banken und auch den Abnehmern, die ihre Aufträge kurzfristig verschieben. Dabei bestehen auch Haftungsrisiken für das Management, das je nach Ausmaß der Liquiditätskrise die Interessen verschiedener Stakeholder im Auge haben und zugleich die Liquidität des Unternehmens eng überwachen sowie ggf. auch die unumgängliche Insolvenz beantragen muss. Die Nichtbeachtung dieser Pflicht kann zur persönlichen Inanspruchnahme führen. Besonderes Augenmerk ist dort geboten, wo die Interessen der Beteiligten – Arbeitnehmer, Unternehmen, Banken und Warenkreditgeber, Gesellschafter und Kunden – besonders vielschichtig und gegenläufig sind. Beharren die Beteiligten auf ihren Positionen und zeigen keine oder nicht rechtzeitig Kompromissbereitschaft, kann sich schnell eine existenzbedrohende Situation entwickeln.

In der Praxis gilt es daher, alle maßgeblichen Beteiligten frühzeitig an einen Tisch zu bringen und von den Vorteilen ihrer einzelnen Beiträge und einer gemeinsamen Lösung zu überzeugen, was in der Regel einen – häufig unterschätzten – Aufwand an Verhandlungen und Dokumentation verursacht. Wichtig ist dabei eine ganzheitliche Betrachtung und Einschätzung des Status quo. Relevant ist zunächst die vertragliche Situation mit Kunden und eigenen Lieferanten, Rechte und Pflichten von Kreditgebern, die Informationspflichten gegenüber dem Betriebsrat oder den Gesellschaftern sowie die besonderen Pflichten des Managements in der Krisensituation wie bspw. Dokumentations- oder Insolvenzantragspflichten.

Auch bei aussichtsreichen Sanierungen, während derer das Geschäft – berechtigterweise – weitergeführt wird, sollten Geschäftsführer persönliche Haftungsrisiken unter keinen Umständen aus den Augen verlieren und in Zusammenarbeit mit den finanziellen- und rechtlichen Beratern entsprechende Konzepte zur Absicherung und Beobachtung der taggleichen Liquiditätsparameter entwickeln.

Eine vorausschauende Liquiditätsplanung ermöglicht es dabei in den meisten Fällen, Liquiditätslücken frühzeitig zu erkennen und entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten sowie Gespräche zu führen, ohne dass etwa Zahlungsunfähigkeit eintritt und Insolvenzantragspflichten ausgelöst werden.

Geschäftsseitig kann die (vorübergehende) Liquiditätskrise z.B. durch kurzfristige Zwischenfinanzierungen gelöst werden. Hierfür kommen Banken, aber auch alternative Kreditgeber infrage. Auch Gesellschafter können bei der Zwischenfinanzierung wichtige Beiträge leisten. Schließlich sollten die Möglichkeiten mit Lieferanten und Kunden ausgelotet werden, sich über Stundungen oder Ratenzahlungsvereinbarungen neue „Liquiditätsluft“ zu verschaffen. Bei alldem muss die Geschäftsführung stets Wert auf die ordentliche Dokumentation des Vereinbarten legen. Kommt es später doch noch zu einem Insolvenzverfahren, können nicht dokumentierte Stundungsabreden, Nachrangvereinbarungen oder auch gesellschafterseitig gewährte Patronate der Geschäftsführung schnell zum Verhängnis werden.

Werkzeugkasten

Ist keine einvernehmliche Lösung möglich, muss sich der Zulieferer mit Fragen der Insolvenz beziehungsweise eines außerinsolvenzrechtlichen Sanierungsverfahrens beschäftigen. Für letzteres bietet in Deutschland seit Anfang des Jahres das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (kurz: StaRUG) eine geeignete Plattform. Diese ermöglicht dem Unternehmen die Restrukturierung von Verbindlichkeiten, funktioniert nach dem „Werkzeugkastenprinzip“ und ist somit individuell auf die jeweilige Situation anpassbar, ohne dass ein häufig kostspieliges und imageschädigendes Insolvenzverfahren eingeleitet werden muss. Auch dies erfordert jedoch die vorausschauende Planung, da die Tür zum StaRUG bei einer bereits eingetretenen Insolvenz regelmäßig versperrt bleibt. Selbst der Gang in das ungeliebte Insolvenzverfahren bedeutet jedoch nicht das Ende, sondern bietet verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten für ein Unternehmen, welche die Restrukturierung und anschließende Fortführung des Unternehmens während und nach der Insolvenz in gleicher oder anderer Form ermöglichen.

Ob einvernehmliche Vereinbarung, außerinsolvenzrechtliche oder insolvenzrechtliche Restrukturierung – sämtliche Alternativen erfordern häufig auch schmerzhafte Beiträge der weiteren Beteiligten. Insbesondere Kunden, Lieferanten und Banken sind daher gefordert, sich rechtzeitig mir ihrer eigenen Position auseinanderzusetzen und sich bzgl. der bestehenden Risiken rückzuversichern. Von vorausschauender Planung profitieren dabei alle Beteiligten. Rechtzeitige, richtige und kompetente Kommunikation und Verhandlung zwischen den Parteien ist hierbei der Schlüssel zum Erfolg und ermöglicht es Konflikte frühzeitig zu erkennen und zu entschärfen. Die Erfahrung zeigt: Je länger die Parteien in der Krise untätig zusehen, desto höher fallen die Kosten für alle am Ende aus. Dabei kommt es sowohl auf die geschäftlichen, die rechtlichen als auch die finanzwirtschaftlichen Aspekte der Situation an.

*) Dr. Dietmar Schulz ist Partner und internationaler Co-Head der Praxisgruppe Restructuring von DLA Piper.