GastbeitragGrenzüberschreitende Konzerninsolvenzen

Mehr Kooperation und Koordination wagen

Im Falle einer Konzerninsolvenz muss für jede beteiligte Gesellschaft ein eigenes Insolvenzverfahren beantragt werden. Das führt bei Konzernen mit vielen Gesellschaften oftmals zu unübersichtlichen Situationen.

Mehr Kooperation und Koordination wagen

Mehr Kooperation und Koordination wagen

Welche Regelungen in grenzüberschreitenden Konzerninsolvenzen auf nationaler und internationaler Ebene greifen und was sie für die Beteiligten bedeuten

Von Johannes Heck und Christoph von Wilcken *)

Ende November 2023 wurde das Sanierungsverfahren über das Vermögen der Signa Holding GmbH eröffnet. Die österreichische Gesellschaft steht an der Spitze des Signa-Konzerns, einer Unternehmensgruppe mit Hunderten Tochtergesellschaften und vielfachen wirtschaftlichen Verflechtungen. Mehrere dieser Tochtergesellschaften befinden sich mittlerweile selbst in Insolvenzverfahren – in verschiedenen Ländern und unter der Leitung unterschiedlicher Insolvenzverwalter. Der Fall Signa zeigt insoweit anschaulich, welche negativen Auswirkungen im Falle der Insolvenz einer Konzerngesellschaft für die gesamte Gruppe drohen.

Exportorientierte Wirtschaft

Aber muss das bei Konzerninsolvenzen zwangsläufig so sein, und welche rechtlichen Regelungen gelten eigentlich in einem solchen Fall? Die Antwort auf diese Frage ist gerade auch für die Sanierung von Konzerngesellschaften von großer Bedeutung, die ihren Sitz in Deutschland haben. Da die deutsche Wirtschaft traditionell stark exportorientiert ist, finden solche Verfahren zumeist über Ländergrenzen hinweg statt.

Eine Person, ein Vermögen, eine Insolvenz

Im Grundsatz gilt im europäischen wie auch im deutschen Insolvenzrecht das Prinzip: eine Person, ein Vermögen, eine Insolvenz. Dies bedeutet, dass im Falle einer Konzerninsolvenz für jede beteiligte Gesellschaft ein eigenes Insolvenzverfahren beantragt werden muss, selbst wenn die Gesellschaften als wirtschaftliche Einheit operieren. Das führt bei Konzernen mit vielen Gesellschaften allerdings oftmals zu unübersichtlichen Situationen: Denn häufig werden die Insolvenzanträge an unterschiedlichen Gerichten gestellt. Im Extremfall hat dann jede Gesellschaft einen eigenen Insolvenzverwalter.

In praktischer Hinsicht kann durch dieses Konstrukt ein erhebliches Spannungsverhältnis entstehen, gerade wenn konzernwichtige betriebs- oder finanzwirtschaftliche Prozesse auf unterschiedliche Gesellschaften im Konzern verteilt sind – beispielsweise das oft praktizierte Liquiditätsmanagement im Rahmen sogenannter Cash-Pooling-Systeme sowie gruppeninterne Leistungs- und Lieferbeziehungen. Im Falle einer grenzüberschreitenden Konzerninsolvenz kommen aufgrund der divergierenden nationalen Rechtsrahmen zudem weitere Herausforderungen hinzu.

Diese Ausgangslage macht die besondere Schwierigkeit deutlich, den Konzern als wirtschaftliche Einheit zu sanieren und zugunsten der Gläubiger den im Konzern angelegten Mehrwert zu realisieren. Es besteht die Gefahr, dass die Insolvenz einer Konzerngesellschaft einen Dominoeffekt erzeugt und zur Insolvenz aller verbundenen Unternehmen – einer sogenannten Ketteninsolvenz – und einem unkontrollierten Auseinanderfallen des Konzerns führt. Ungeachtet dieses großen praktischen Bedürfnisses ist das europäische sowie das deutsche Konzerninsolvenzrecht erst in jüngerer Zeit normiert worden.

Regelungen der EuInsVO

Bei grenzüberschreitenden Konzerninsolvenzen gelten in innereuropäischen Sachverhalten wie im Fall Signa – die meisten der insolventen Gesellschaften haben ihren Sitz in Europa – die Regelungen der Europäischen Insolvenzverordnung (EuInsVO). Diese bildet seit 2002 die gemeinsame rechtliche Grundlage für grenzüberschreitende Insolvenzen in der EU. Die EuInsVO legt zum Beispiel fest, dass Insolvenzverfahren, die innerhalb der EU eröffnet werden, automatisch in allen EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme von Dänemark anerkannt werden, ohne dass es dazu einer gesonderten Gerichtsentscheidung bedarf.

Zudem besagt die EuInsVO, dass für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen grundsätzlich das nationale Insolvenzrecht des Mitgliedstaates gilt, in dessen Hoheitsgebiet das Verfahren eröffnet wird. Im Zuge einer umfassenden Reform im Jahr 2015 wurden in die EuInsVO unter anderem Regelungen für grenzüberschreitende Konzerninsolvenzverfahren aufgenommen – etwa für die Koordination solcher Verfahren. Definiert werden dabei zum einen die Zusammenarbeit der verschiedenen Verwalter und Gerichte. Zum anderen ermöglicht es die EuInsVO nun, ein sogenanntes Gruppen-Koordinationsverfahrens durchzuführen. Im Gegensatz zum autonomen deutschen Recht gibt es in der EuInsVO keine Konzentration der Gerichtszuständigkeit.

Aufgaben des Koordinators

Ein sogenannter Koordinator, der eher als Mediator denn als klassischer Insolvenzverwalter agiert, leitet das sogenannte Gruppen-Koordinationsverfahren. Seine Aufgabe ist es, die verschiedenen Verfahren aufeinander abzustimmen, um den Ablauf so reibungslos wie möglich zu gestalten und möglichst eine gemeinsame Sanierungsstrategie zu erarbeiten. Dazu stellt er einen sogenannten Gruppen-Koordinationsplan auf, der den geplanten Verfahrensablauf festhält. Mit einem solchen koordinierten Ansatz, lässt sich für alle Beteiligten meist ein besseres Ergebnis erzielen.

Effizienzsteigerung im deutschen Konzerninsolvenzrecht

In rein nationalen Konzerninsolvenzen sowie in Verfahren mit Bezug zu Staaten außerhalb der EU kommt das autonome deutsche Konzerninsolvenzrecht zur Anwendung. Das 2018 in Kraft getretene Regelwerk verfolgt das Ziel, die Sanierungsbemühungen von Konzernen einfacher und vor allem effektiver zu machen. So können die einzelnen Insolvenzverfahren eines Konzerns bei einem Gericht konzentriert werden.

Zudem ist es ausdrücklich möglich, einen Insolvenzverwalter für alle Verfahren einzusetzen, oder zumindest mehrere Verwalter aus der gleichen Kanzlei zu bestellen. Darüber hinaus kann auf Antrag ein sogenannter Gruppengläubigerausschuss gebildet werden.

Bei Konzerninsolvenzen mit Drittstaatenbezug kommen die Insolvenzrechte der jeweiligen Eröffnungsstaaten, Deutschland und Drittstaat(en), grundsätzlich nebeneinander zur Anwendung. Da ein gemeinsamer Nenner der beteiligten Rechtsordnungen häufig schwierig zu finden ist, bietet sich für die Verwalter der Abschluss sogenannter Protocols zur Kooperation und Koordination an.

Verfahren konsensual geprägt

Die erfolgreiche Fortführung eines Konzerns setzt gerade auch im grenzüberschreitenden Bereich mit Blick auf die unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen erhebliche Anstrengungen und ein großes Maß an Kooperation aller Beteiligten voraus. Hierfür ist regelmäßig eine gute Vorbereitung und ein belastbares Netzwerk „vor Ort“ in den Ländern erforderlich, in denen die Konzerngesellschaften ihren Sitz haben.

Der europäische und auch der deutsche Gesetzgeber haben sich nicht zum Ziel gesetzt, die Koordination von Konzerninsolvenzen zu erzwingen. So sieht das weitgehend parallele Gruppen-Koordinationsverfahren keinen spezifischen Sanktionsmechanismus bei Pflichtverstößen der Beteiligten voraus. Vielmehr ist das Verfahren stark konsensual geprägt. Den Verfahrensbeteiligten steht ein rechtlicher Rahmen zur Verfügung, der die Zusammenarbeit und Koordination in grenzüberschreitenden Konzerninsolvenzen fördert. In der insolvenzrechtlichen Praxis wurde dieses Angebot des Gesetzgebers bislang jedoch nicht in größerem Umfang angenommen, obgleich hierzu auch in namhaften Verfahren (z.B. Air Berlin/Niki) die Möglichkeit bestanden hätte.

Vereinfachte Umsetzung

Mit dem Blick auf die Möglichkeiten des rechtlichen Rahmens bleibt daher zu hoffen, dass die Instrumente des europäischen und des deutschen Konzerninsolvenzrechts zunehmend Einzug in die Praxis finden und der diesbezügliche Kulturwandel fortschreitet. Die Regelungen der EuInsVO und des nationalen Konzerninsolvenzrechts machen die Planung und die Umsetzung einer Konzernsanierung deutlich einfacher. Im Ergebnis wird dadurch die Hürde gesenkt, mehrere Konzerngesellschaften mit Hilfe des Insolvenzrechts koordiniert zu sanieren. Vor diesem Hintergrund sind in den einschlägigen Verfahren – wie nun im Fall der Signa-Insolvenz – alle Beteiligten aufgerufen, mehr Kooperation und Koordination zu wagen!

Denn auch bei Konzernen gilt wie in jeder Insolvenz: Je früher auf eine finanzielle Schieflage reagiert wird, desto größer sind die Sanierungschancen. Das erhält sanierungsfähige Unternehmen und rettet Arbeitsplätze. Werden Konzerngesellschaften saniert, hat das aber auch für die Gläubiger Vorteile. Sie haben weiter die Chance, mit den Konzerngesellschaften Geschäfte zu machen. Zudem erhalten sie bei einer erfolgreichen Sanierung in der Regel eine höhere Quote als im Falle einer Zerschlagung – mithin mehr Geld. Kurzum: Von einer gelungenen Konzernsanierung profitieren am Ende alle.

*) Dr. Johannes Heck und Dr. Christoph von Wilcken sind Rechtsanwälte von Schultze & Braun.

Dr. Johannes Heck und Dr. Christoph von Wilcken sind Rechtsanwälte von Schultze & Braun. Heck ist an den Standorten Bologna und Mailand, von Wilcken am Standort Berlin der auf Insolvenzverwaltung und Beratung im Sanierungs- und Insolvenzrecht spezialisierten Kanzlei tätig.