Justiz

Spezial-Courts sollen Gerichtsstandort stärken

Die Bundesländer Hamburg und Nordrhein-Westfalen haben eine Initiative zur Einrichtung von Commercial Courts gestartet. Damit soll ein Abwandern wirtschaftlich bedeutsamer Verfahren verhindern werden.

Spezial-Courts sollen Gerichtsstandort stärken

Von Stefan Patzer und

Matthias M. Weiß*)

Kurz vor Ostern haben Hamburg und Nordrhein-Westfalen eine neue Gesetzesinitiative gestartet und den „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten“ in den Bundesrat eingebracht. Auslöser dieser Reformbestrebungen ist die zunehmende Vernetzung und Internationalisierung der Justiz. Grenzüberschreitende Streitigkeiten und Auseinandersetzungen mit internationalem Bezug sind längst keine Seltenheit mehr. Rechtsprechung „Made in Germany“ genießt international nach wie vor hohes Ansehen. Deutsche Juristen sind hervorragend ausgebildet, und die Unabhängigkeit deutscher Gerichte ist über jeden Zweifel erhaben. Gerade bei komplexen und wirtschaftlich bedeutsamen Streitigkeiten tobt indes ein erbittert geführter Konkurrenzkampf.

Justiz im Wettbewerb

Zahlreiche Schiedsinstitutionen buhlen um die Gunst der Unternehmen und können mit diversen Vorzügen punkten: Die Verfahrensordnungen sind benutzerorientiert gestaltet und lassen sich schnell an neue Entwicklungen anpassen. Die Parteien können sich branchenkundige Schiedsrichter aussuchen und haben weitreichende Befugnisse, die Verfahrensgestaltung zu beeinflussen. Zudem garantiert die Nichtbeteiligung der Öffentlichkeit die Geheimhaltung sensibler Informationen, und die Entscheidungen von Schiedsgerichten lassen sich nahezu weltweit vereinfacht vollstrecken.

Daneben sieht sich die deutsche Justiz aber zunehmend auch in einem Wettstreit mit staatlichen Gerichten aus anderen Ländern. Stehen der klagenden Partei mehrere Gerichtsstände zur Verfügung, wird sie regelmäßig dort Klage erheben, wo die Rahmenbedingungen für sie am günstigsten sind. Kartellschadensersatzverfahren sind ein häufig zitiertes Beispiel für dieses Forum Shopping, und auch bei der neuen EU-Verbandsklage ist dies zu erwarten. Staaten können sich diesen Effekt zunutze machen, um gezielt Gerichtsverfahren anzuziehen.

Vergleichbar ist die Lage bei wirtschaftsrechtlichen Auseinandersetzungen, in denen die Parteien häufig Vereinbarungen darüber treffen, wo etwaige Streitigkeiten geführt werden sollen. Auch hier kommt es auf die Rahmenbedingungen an. Dubai, Paris, Amsterdam, Singapur, London und auch China haben bereits vorgelegt und spezielle internationale Commercial Courts geschaffen, um ihre jeweiligen Gerichtsstandorte zu stärken.

Um im internationalen Vergleich nicht zurückzufallen und – wie die Begründung des Gesetzesantrags betont – ein „Abwandern wirtschaftlich bedeutsamer Rechtsmaterien in andere Rechtskreise oder die Schiedsgerichtsbarkeit zu vermeiden“, will Deutschland ebenfalls die Attraktivität der Ziviljustiz für wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten sichern und ausbauen. Der Zeitpunkt ist günstig gewählt. Denn durch den Brexit ist jedenfalls in Europa Bewegung in die Landschaft der internationalen Wirtschaftsprozesse gekommen, die bislang von London dominiert wurde. Die Hoffnung ist groß und berechtigt, dies für eine Stärkung des deutschen Standortes nutzen zu können.

Verfahren auf Englisch

Wie aber sieht der Gesetzesentwurf konkret aus? Die Initiatoren wollen wirtschaftsrechtliche Großverfahren mit internationalem Bezug eigenen Regelungen unterstellen und an die aus Schiedsverfahren bekannten Mechanismen annähern. Die Bundesländer haben hierzu die Möglichkeit, an den Landgerichten spezielle Kammern und an den Oberlandesgerichten spezielle Senate für (internationale) Handelssachen einzurichten (Commercial Courts). Ab einem Streitwert von 2 Mill. Euro können die Parteien auch direkt das Oberlandesgericht anrufen. Zudem wird die Streitwerthöchstgrenze auf 50 Mill. Euro angehoben, um bei den größten Verfahren höhere Gerichtsgebühren vereinnahmen und dadurch die Mehrkosten für den Staatshaushalt minimieren zu können. Die Verfahrensregeln richten sich grundsätzlich nach den bewährten Vorschriften der deutschen Zivilprozessordnung; sie werden aber in mehrfacher Hinsicht modifiziert und stärker auf die Bedürfnisse der Nutzer ausgerichtet.

Die weitreichendste Änderung betrifft die Möglichkeit, das gesamte Verfahren auf Englisch zu führen. Das Einverständnis der Parteien vorausgesetzt, lässt sich zwar auch schon bislang die mündliche Verhandlung auf Englisch führen; in Frankfurt, Hamburg, Köln, Mannheim und Stuttgart gibt es zu diesem Zweck speziell besetzte Kammern. Nach den bestehenden gesetzlichen Vorgaben sind die Schriftsätze der Parteien und die Entscheidungen des Gerichts aber zwingend auf Deutsch zu verfassen. Der Gesetzesentwurf will die Beteiligten von diesen Fesseln befreien und bei entsprechender Vereinbarung eine komplette Verfahrensführung auf Englisch ermöglichen.

Flankiert wird dies von weiteren Regelungen, die als Nachteil gegenüber einem Schiedsverfahren empfundene Umstände ausgleichen sollen. Namentlich steht die Verfahrensorganisation zukünftig in weiten Teilen zur Disposition der Parteien. Dies beinhaltet die Möglichkeit, im Rahmen eines Organisationstermins einen – auch für das Gericht – verbindlichen „Verfahrensfahrplan“ zu vereinbaren und festzulegen, in welcher Reihenfolge die Themen abgehandelt werden. Die Parteien dürfen Vereinbarungen über die Verteilung der Beweislast oder zur Beschränkung auf bestimmte Beweismittel treffen, mehrtägige Beweisaufnahmen am Stück sollen nicht mehr an personellen oder räumlichen Restriktionen des Gerichts scheitern.

Begrüßenswerte Initiative

Ferner ist das Gericht auf übereinstimmenden Antrag der Parteien verpflichtet, ein Wortprotokoll zu führen. Entscheiden sich die Parteien dazu, den Commercial Court beim Oberlandesgericht als Eingangsinstanz festzulegen, ist eine Revision zum Bundesgerichtshof ohne die sonst üblichen Beschränkungen zulässig. Umgekehrt können die Parteien aber auch einen Rechtsmittelverzicht vereinbaren und die Entscheidung des Commercial Court als verbindlich akzeptieren.

Hinzu treten erweiterte Möglichkeiten, die Vertraulichkeit des Verfahrens zu gewährleisten. Im Gegensatz zu Schiedsverfahren wird es zwar weiterhin keinen generellen Ausschluss der Öffentlichkeit geben; die bestehenden Regelungen zur Einschränkung der Öffentlichkeit werden aber gestärkt und Geschäftsgeheimnisse besonders geschützt. Auf Antrag kann das Gericht bestimmte Informationen als geheimhaltungsbedürftig einstufen, so dass diese als vertraulich zu behandeln sind. Unter bestimmten Voraussetzungen ist auch ein Ausschluss der Öffentlichkeit denkbar.

Aus Unternehmenssicht ist die Initiative rundum zu begrüßen, auch wenn im Detail noch Verbesserungsbedarf besteht. Der Gesetzesentwurf macht vieles richtig und geht deutlich über bisherige – allesamt gescheiterte – Bestrebungen hinaus, indem er neben einer englischen Verfahrensführung weitere bisherige Alleinstellungsmerkmale von Schiedsverfahren aufgreift. Ein Erfolg ist damit freilich nicht garantiert, denn auch in ihrer bisherigen Form bietet die Zivilprozessordnung zahlreiche, aber häufig ungenutzte Möglichkeiten für eine effiziente Verfahrensführung. Das Problem liegt daher nicht allein in den rechtlichen Rahmenbedingungen, sondern auch und vor allem in der tatsächlichen Umsetzung.

Der Gesetzesentwurf will dem vor allem dadurch entgegenwirken, dass die Parteien für Großverfahren ab einem Streitwert von 2 Mill. Euro direkt den Commercial Court beim Oberlandesgericht anrufen können, was im Jahr bundesweit etwa 500 potenzielle Verfahren betrifft. Die Initiatoren versprechen sich davon eine spürbare Entlastung der normalen Kammern und Senate. Die dadurch freiwerdenden Ressourcen lassen sich gezielt für die Commercial Courts nutzen, um die erforderliche Ausstattung und notwendige zeitliche Flexibilität sicherzustellen, die für die effiziente Durchführung von Großverfahren unabdingbar sind. Gelingt diese Spezialisierung und Schwerpunktsetzung, erweitert sich das Spektrum an Streitlösungsmechanismen für Unternehmen zukünftig um eine attraktive Option, die zugleich die Wettbewerbsfähigkeit des Justizstandorts Deutschland stärkt.

*) Stefan Patzer ist Counsel im Litigation & Trial Department von Latham & Watkins, Dr. Matthias M. Weiß ist Head of Group Legal der Scholz-Gruppe.