Transaktionen

Urteil berührt Kern­themen der M&A-Praxis

Die Entscheidung des Europäischen Gerichts in der Rechtssache Altice beleuchtet zentrale Aspekte für die Übernahme von Unternehmen.

Urteil berührt Kern­themen der M&A-Praxis

Von Markus Röhrig*)

Am 22. September 2021 hat das Europäische Gericht das Urteil in der Rechtssache Altice verkündet. Der Fall betrifft die Frage, in welchem Umfang dem Veräußerer und der Zielgesellschaft in Unternehmenskaufverträgen für den Zeitraum zwischen Signing und Closing Beschränkungen auferlegt werden (sogenannte Pre-closing Covenants) und inwieweit die Parteien schon in die Integrationsvorbereitung einsteigen können, bevor die zuständigen Kartellbehörden die erforderliche Fusionskontrollfreigabe erteilt haben. Das Urteil berührt damit Kernthemen der M&A-Praxis.

Verhaltenspflichten

Pre-closing Covenants erlegen dem Veräußerer bzw. der Zielgesellschaft Verhaltenspflichten auf, um den Wert der Zielgesellschaft zwischen Signing und Closing zu erhalten, z. B. Zustimmungsvorbehalte zugunsten des Erwerbers. Seit einigen Jahren nutzen die Parteien den Zeitraum zwischen Signing und Closing zudem vermehrt für die Integrationsvorbereitung. Die Zielgesellschaft soll ihre Tätigkeit am „Day 1“ nach Closing nahtlos in den Strukturen des neuen Konzerns fortsetzen können. In beiden Fällen sind das fusionskontrollrechtliche Vollzugsverbot und das Kartellverbot zu beachten.

Das Vollzugsverbot untersagt den Vollzug einer Transaktion, bevor die zuständige Kartellbehörde, also z. B. die EU-Kommission, die erforderliche Fusionskontrollfreigabe erteilt hat. Das Kartellverbot ist insbesondere von Bedeutung, wenn Erwerber und Zielgesellschaft aktuelle oder potenzielle Wettbewerber sind. Es verlangt von den Vertragsparteien, dass sie bis zum Closing weiterhin als unabhängige Unternehmen agieren, ihr (Markt-) Verhalten nicht abstimmen und wettbewerblich sensible Informationen nicht untereinander austauschen.

Im Jahr 2018 hat die EU-Kommission mit ihrer Entscheidung im Fall Altice für Aufsehen gesorgt. Der Vertrag über den Erwerb von PT Portugal sah einen umfangreichen Katalog von Maßnahmen vor, deren Durchführung der vorherigen Zustimmung von Altice (der Erwerberin) bedurfte. Nach den Feststellungen der EU-Kommission hat Altice zwischen Signing und Closing der Zielgesellschaft zudem in einer Reihe von Fällen Weisungen erteilt bzw. wettbewerblich sensible Informationen von der Zielgesellschaft erbeten und auch erhalten. Die EU-Kommission sah hierin einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot und die Verpflichtung, die Transaktion vor ihrem Vollzug anzumelden. Hierfür verhängte sie gegen Altice Bußgelder in Höhe von insgesamt 125 Mill. Euro.

Das Europäische Gericht hat die Entscheidung der EU-Kommission in der Sache bestätigt und lediglich das Bußgeld auf ca. 118,7 Mill. Euro reduziert. Das Gericht teilt die Auffassung der EU-Kommission, dass die Gewährung von Zustimmungsvorbehalten zugunsten von Altice hinsichtlich einer Vielzahl von Maßnahmen unzulässig war. Dies betrifft die Bestellung und Abberufung des Managements der Zielgesellschaft, Änderungen ihrer Preispolitik oder der allgemeinen Geschäftsbedingungen, den Abschluss von Verträgen und das Eingehen von Verbindlichkeiten oberhalb bestimmter (niedriger) Schwellenwerte, den Abschluss, die Änderung und die Beendigung von Verträgen mit wesentlicher Bedeutung für die Zielgesellschaft sowie schließlich den Erwerb von Vermögensgegenständen jenseits bestimmter (niedriger) Schwellenwerte.

Ausgestaltung entscheidend

Einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot sieht das Gericht weiterhin in den Fällen, in denen Altice der Zielgesellschaft Weisungen erteilt bzw. sich mit ihr abgestimmt hat. Für unzulässig befunden hat das Gericht die „Einmischung“ von Altice bei der Durchführung einer Werbekampagne, bei der Verlängerung eines Vertriebsvertrags, bei der Auswahl von und dem Abschluss von Verträgen mit bestimmten Lieferanten, bei der Ausweitung des Produktangebots, bei dem Erwerb bestimmter Vermögenswerte sowie bei der Ausschreibung eines Vertrags über das Outsourcing bestimmter Dienstleistungen an Dritte.

Das Urteil kann im Ergebnis nicht völlig überraschen. Tatsächlich erscheinen die Pre-closing Covenants, die das Gericht zu beurteilen hatte, sehr weitreichend und gingen – jedenfalls in Teilen – deutlich über das hinaus, was man als „gängige Praxis“ bezeichnen kann. Auch die tiefen Eingriffe in das Tagesgeschäft der Zielgesellschaft, auf die sich das Urteil stützt, sind eher ungewöhnlich. Neben einer gewissen Praxisferne ist das Urteil daher vor allem deshalb kritisch zu bewerten, weil es der M&A-Praxis wenig konkrete Hinweise an die Hand gibt, um die Zulässigkeit von Pre-closing Covenants verlässlicher prüfen zu können. Das Gericht hat hier die Chance vertan, die Rechtsunsicherheit im Transaktionsgeschäft beim Umgang mit dem Vollzugsverbot zu verringern.

Die Praxis wird auch nach Altice Pre-Closing Covenants nutzen (dürfen). Allerdings werden die Vertragsparteien deren Ausgestaltung (noch) mehr Beachtung schenken müssen. Das Gericht hält Pre-Closing Covenants jedenfalls für zulässig, wenn und soweit sie dazu erforderlich sind, den Wert des erworbenen Geschäfts im Zeitraum zwischen Signing und Closing zu erhalten. Das Gericht lässt auch die Tür ein Stück weit offen für Regelungen, die erforderlich sind, um eine Aushöhlung der kommerziellen Integrität der Zielgesellschaft zu verhindern.

In beiden Fällen darf der Erwerber jedoch nicht die Möglichkeit erhalten, bestimmenden Einfluss auf die Zielgesellschaft auszuüben. Abstand nehmen sollten Vertragsparteien hingegen jedenfalls von der Vereinbarung von Zustimmungsvorbehalten in Bezug auf den Geschäftsplan, das Jahresbudget und die Besetzung des Managements der Zielgesellschaft, hinsichtlich deren normalen Geschäftsbetriebs und für Maßnahmen, deren finanzielle Auswirkungen im Verhältnis zum Wert des erworbenen Geschäfts relativ gering erscheinen.

Unklar ist, ob sich aus dem Urteil Folgen für die Integrationsplanung ergeben. Die Entscheidung der EU-Kommission­ warf die Frage auf, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen schon der bloße Austausch wettbewerblich sensibler Informationen als Verstoß gegen das Vollzugsverbot gewertet werden kann. In diesem Fall wären einem solchen Austausch – anders als beim Kartellverbot – auch dann engere Grenzen gesetzt, wenn Erwerber und Zielgesellschaft nicht miteinander in Wettbewerb stehen.

Das Urteil trifft hierzu leider keine klare Aussage. Die EU-Kommission – so das Gericht – habe den Austausch wettbewerblich sensibler Informationen nicht als eigenständigen Verstoß gewertet, sondern lediglich als ergänzenden Nachweis dafür herangezogen, dass Altice in Zusammenhang mit weiteren Maßnahmen (siehe oben) bestimmenden Einfluss auf die Zielgesellschaft ausgeübt habe. Es handele sich also gerade nicht um einen Fall „reinen“ Informationsaustauschs.

Andererseits weist das Gericht darauf hin, dass die Informationen nach Abschluss des Kaufvertrags ausgetauscht worden und daher jedenfalls nicht erforderlich gewesen seien, um die Zielgesellschaft zu bewerten. Zugleich seien die ausgetauschten Informationen kommerziell und wettbewerblich hoch sensibel gewesen. Altice als Erwerberin habe daher Zugang zu Informationen gehabt, zu denen das Unternehmen keinen Zugang hätte haben sollen – mit welchen Folgen, bleibt in dem Urteil offen.

Keine Neujustierung nötig

Für die M&A-Praxis macht Altice eine Neujustierung der Grenzen zulässiger Integrationsplanung wohl nicht erforderlich. Wie schon bisher bleiben Maßnahmen, die den Vollzug einer Transaktion lediglich vorbereiten, zulässig. Unzulässig bleibt die Vorwegnahme des Vollzugs. Dem Erwerber darf vor Fusionskontrollfreigabe kein bestimmender Einfluss auf die Zielgesellschaft eingeräumt werden. Erwerber und Zielgesellschaft dürfen nicht schon als Einheit auftreten und handeln. Der Austausch wettbewerblich sensibler Informationen ist möglich. Sind Erwerber und Zielgesellschaft Wettbewerber, ist der Austausch jedoch im Rahmen eines gesonderten Clean Teams zu organisieren. Mit dem Informationsaustausch dürfen die Parteien schließlich nicht bezwecken, dem Erwerber die Möglichkeit einzuräumen, schon vor Freigabe in das Geschäft der Zielgesellschaft hineinzuregieren.

*) Dr. Markus Röhrig ist Partner von Hengeler Mueller in Brüssel.

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