Interview mit Bernd Meyring

Beschleunigtes EU-Kartellverfahren bietet die Möglichkeit zum Feilschen

Settlement aus Unternehmenssicht jedoch nicht in jedem Fall angezeigt

Beschleunigtes EU-Kartellverfahren bietet die Möglichkeit zum Feilschen

Ein Unternehmen, das in einer laufenden Kartelluntersuchung der EU-Kommission seine Beteiligung am Kartell frühzeitig einräumt, kann künftig mit einer Reduktion der Geldbuße um 10 % belohnt werden. Dies ist der Kern eines Vergleichsverfahrens, das die Kommission angekündigt hat. – Herr Dr. Meyring, kürzlich hat die Brüsseler Kommission das EU-Kartellrecht tiefgreifend geändert. Worum geht es?Die Kommission will es sich in besonders aufwendigen Kartellverfahren einfacher machen, Unternehmen mit Geldbußen zu belegen. Sie will schneller entscheiden und Ressourcen sparen, die sie zur Verfolgung weiterer Kartelle einsetzen kann. Vorbild sind “Settlements” und “Plea Bargainings”, wie wir sie zum Beispiel aus den USA kennen. – Wie läuft das Settlement in der Praxis? Hat ein Unternehmen Interesse an einem Settlement, wird ihm die Kommission früher als bisher Einblick in die wesentlichen Vorwürfe geben und auch die Größenordnung der voraussichtlichen Geldbuße nennen. Das Unternehmen macht dann ein formelles Angebot für die maximal “akzeptable” Geldbuße. Akzeptiert die Kommission diesen Vorschlag, gibt es für das Unternehmen einen Abschlag von 10 %. – Wo liegen die Gründe für die Reform? Im bisherigen EU-Kartellverfahren werden die Vorwürfe in sogenannten Beschwerdepunkten ausführlich dargelegt. Die Unternehmen haben dann Akteneinsicht und können sich schriftlich und mündlich verteidigen. Oft haben die Kommissionsakten über 100 000 Seiten – ein enormer Aufwand für Kommission und Unternehmen. Bei den astronomischen Geldbußen wären Einschnitte in Verteidigungsrechte ohne Einverständnis der Betroffenen rechtlich kaum durchzusetzen. Dieses Einverständnis zum “Bußgeldverfahren light” will die Kommission den Unternehmen mit dem Abschlag nun abkaufen. – Droht in Hinsicht auf die Geldbuße nicht ein regelrechter Kuhhandel? Diese Gefahr sehe ich schon – obwohl sich die Kommission natürlich dagegen verwahrt und der zehnprozentige Abschlag nicht nach oben oder unten verhandelbar sein soll. Ganz entscheidend ist aber die Bezugsgröße: Bei der Höhe von Geldbußen hat die Kommission weite Ermessensspielräume. Aktuelle Beispiele zeigen, dass sich daran auch durch detaillierte Leitlinien für die Bußgeldbemessung wenig ändert. – Sehen Sie weitere Probleme?Die richterliche Kontrolldichte dürfte abnehmen, wenn sich Kommission und Unternehmen auf Geldbußen einigen. Es gibt im Übrigen keinen Anspruch auf Settlements. Die Kommission entscheidet nach Gutdünken, ob sie mit den Unternehmen verhandelt oder nicht, und kann laufende Verhandlungen jederzeit abbrechen. Es besteht zumindest die Versuchung, solche Freiräume beim Feilschen zu nutzen. – Wie sind die Interessen der Unternehmen geschützt?Settlements sind freiwillig, und auch Unternehmen können Gespräche mit der Kommission jederzeit abbrechen. Die Entscheidung für frühe Rechtssicherheit erkauft sich ein Unternehmen aber in jedem Fall mit Einschnitten beim Rechtsschutz. Das beginnt schon mit dem Verzicht auf volle Akteneinsicht und eine mündliche Anhörung. Außerdem verlangt die Kommission bei Settlements ein explizites Schuldbekenntnis. Das kann natürlich Privatklägern in die Hände spielen, die das Unternehmen auf Schadenersatz verklagen wollen. – Wie können Unternehmen das Instrumentarium nutzen?Ein Settlement ist aus Unternehmenssicht nicht in jedem Fall angezeigt, insbesondere wenn man sich gegen die Vorwürfe verteidigen will. Und ein zehnprozentiger Abschlag ist unter Umständen ein geringes Entgelt für den Verzicht auf essenzielle Verteidigungsrechte. Es wird daher noch wichtiger, bereits zu Beginn des Verfahrens die Vorwürfe unternehmensintern aufzuklären und die Verteidigungsstrategie zu bestimmen. Denn davon hängt die Entscheidung für oder gegen ein Settlement ab. Zudem verlangt die Kommission eine Entscheidung ohne vorherige Akteneinsicht. Daher sollte man die Tür zum Verfahren nicht zu früh zuschlagen: So können Unternehmen z. B. zunächst in Verhandlungen eintreten und diese dann im Lichte neuerer Erkenntnisse scheitern lassen – auch wenn die Kommission alles versuchen wird, um solche Strategien zu verhindern. – Was ist zu beachten?Dass die Kommission das Instrument auch rückwirkend auf bereits laufende Verfahren anwenden kann. Sie befindet sich in einigen Verfahren bereits in Settlement-Diskussionen, mit dem Abschluss des ersten Verfahrens ist schon nach der Sommerpause zu rechnen.Dr. Bernd Meyring ist Rechtsanwalt und Partner im Düsseldorfer Büro der internationalen Kanzlei Linklaters.Die Fragen stellte Walther Becker.