Recht und Kapitalmarkt

Das Kartellrecht bietet neue Möglichkeiten für Klagen

Gesetzesnovelle sorgt für weiteres Abschreckungspotenzial - International abgestimmte Strategien für Firmen unerlässlich

Das Kartellrecht bietet neue Möglichkeiten für Klagen

Von Daniel H. Sharma *)Am 1. Juli 2005 ist die siebte Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (“GWB”) in Kraft getreten. Sie war notwendig geworden, um den Anforderungen des EG-Rechts gerecht zu werden. Über einige grundlegende Neuerungen wurde bereits viel berichtet. Zu nennen ist insbesondere das durch die Novelle nun auch in Deutschland eingeführte Prinzip der “Legalausnahme” bei potenziell wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen, das auf EU-Ebene seit 1. Mai 2004 gilt, oder über die kontrovers diskutierte Pressefusionskontrolle. Jedoch verdienen weitere Neuregelungen der Novelle eine nähere Betrachtung.Trotz aller europarechtlichen Harmonisierung des Kartellrechts bleiben vor allem Regelungen der zivilrechtlichen Durchsetzung dem nationalen Recht vorbehalten. Zwar verlangt der Europäische Gerichtshof in seinem viel zitierten Urteil Courage, dass – jedenfalls bei zwischenstaatlichen Sachverhalten – jede durch einen Kartellrechtsverstoß geschädigte Person die Möglichkeit haben muss, einen Schadenersatzanspruch durchzusetzen. Die konkrete Ausgestaltung bleibt jedoch mangels diesbezüglicher EU-weiter Harmonisierung den nationalen Gesetzgebern vorbehalten. Die GWB-Novelle hat sich dieser Frage angenommen und das entsprechende deutsche Recht modernisiert. StolpersteineIn Schadenersatzprozessen vor deutschen Gerichten gab es bislang verschiedene Stolpersteine für Geschädigte: Zum einen schloss die enge Auslegung des sogenannten Schutzgesetzerfordernisses durch die Rechtsprechung (Voraussetzung für einen Schadenersatzanspruch war demnach, dass sich die Kartellrechtsverletzung gezielt gegen den geschädigten Anspruchsteller richtete) einen großen Kreis von geschädigten Unternehmen oder Personen, häufig die Marktgegenseite, von der Geltendmachung von Ansprüchen aus (mancher Abnehmer des Vitaminkartells hat diesbezüglich ungute Erinnerungen). Auch die vom Geschädigten zu beweisende Schadenshöhe war häufig ein schwer zu überwindendes Hindernis: sie war zum einen von der teilweise sehr schwierigen Berechnung eines hypothetischen Marktpreises (ohne die Kartellrechtsverletzung) abhängig. Zum anderen wurde von den beklagten Unternehmen stets geltend gemacht, dass der Kläger ja die überhöhten Preise an seine eigenen Kunden weitergegeben habe und ihm deshalb kein Schaden entstanden sei (sogenannte “Passing On Defense”). Unter anderem diese Hürden machten für geschädigte Unternehmen kartellrechtliche Zivilprozesse in Deutschland – im krassen Gegensatz zu den USA – unattraktiv.Nach dem neuen Schadenersatzrecht kann jede geschädigte Person vom Schädiger Ersatz verlangen. Das Schutzgesetzerfordernis wurde in der bisherigen Form aufgegeben. Darüber hinaus stellt das Gesetz nun klar, dass die Weitergabe von erhöhten Preisen an die Kunden durch das geschädigte Unternehmen die Geltendmachung von Schadenersatz nicht grundsätzlich ausschließt.Die Novelle hält weiteres Abschreckungspotenzial gegen Kartellrechtsverletzer bereit: Schadenersatzansprüche werden künftig ab Schadeneintritt verzinst, und es wird zusätzliche Möglichkeiten zur Abschöpfung von “Kartellrenditen”, also rechtswidrig aus Kartellrechtsverstößen erlangten Vorteilen, geben, damit Schädiger keinesfalls von ihrem rechtswidrigen Verhalten profitieren können. In diesem Zusammenhang gab es doch noch eine Überraschung: Trotz der deutlich gestiegenen Bedeutung des Verbraucherschutzes auch im Kartellrecht – insbesondere die Europäische Kommission sieht in diesem einen wichtigen Maßstab für kartellrechtliche Entscheidungen – wurde die ursprünglich geplante Klagebefugnis für Verbraucherschutzverbände wieder aus der Novelle herausgestrichen. VereinfachungenDie Änderungen im Kartellrecht erfordern künftig noch mehr eine international abgestimmte Strategie von Unternehmen, die Ziel behördlicher Untersuchungen bzw. gerichtlicher Verfahren geworden sind. Denn die deutschen Zivilgerichte werden in Zukunft an Entscheidungen nicht nur der Europäischen Kommission, sondern auch ausländischer Kartellbehörden und Gerichte gebunden sein. Eine bemerkenswerte Neuerung, führt sie doch dazu, dass das deutsche Gericht eigene, der ausländischen Entscheidung widersprechende Tatbestandsfeststellungen nicht mehr treffen darf. Wie es sich damit in Schiedsverfahren verhält, ist eine spannende, aber (noch) ungeklärte Frage.Eine weitere Vereinfachung für Geschädigte: die Verjährung von Kartell-Schadenersatzansprüchen wird durch die Einleitung von behördlichen Kartellverfahren gehemmt (der in diesem Zusammenhang im entsprechenden § 33 Abs. 5 GWB unterlaufene redaktionelle Verweisungsfehler wird nach Auskunft des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit im Rahmen einer Änderungsnovelle korrigiert werden). Es werden künftig also keine potenziellen Schadenersatzansprüche mehr verjähren können, nur weil die Kartellbehörden etwa zu lange für ihre Untersuchung gebraucht hätten. Hier könnte es allerdings zu Auslegungsproblemen hinsichtlich des Begriffs der Einleitung eines Verfahrens kommen, an den der Zeitpunkt der Hemmung gebunden ist. Reichen aktenkundige “Vorermittlungen” aus? Oder bedeutet Einleitung erst die Mitteilung der Eröffnung eines Verfahrens an das betroffene Unternehmen? Die Begründung zum Gesetzentwurf der Regierung gibt hierüber keinen Aufschluss. Gefährdeten Unternehmen ist daher zu raten, vorsorglich vom frühestmöglichen Eintritt der Hemmung auszugehen. Die Notwendigkeit international abgestimmter (Verteidigungs-)Strategien wird noch klarer, wenn man sich eine weitere Änderung des GWB vor Augen hält – eine Vorschrift, von der die Bundesregierung meint, dass es sich nur um eine Klarstellung handele. Jedenfalls ist jetzt gesetzlich ausdrücklich geregelt, dass die deutschen Kartellbehörden sowohl am Informationsaustausch innerhalb des Netzwerks der europäischen Wettbewerbsbehörden teilnehmen als auch, in leicht abgeschwächter Form, nicht-EU-ausländischen Behörden Informationen zur Verfügung stellen dürfen. Nach den bisherigen Erfahrungen scheint dieser Informationsaustausch im Rahmen des europäischen Kartellbehörden-Netzwerks gut zu funktionieren. Unternehmen können also bei Untersuchungen nicht mehr darauf hoffen, dass kartellrechtswidriges Verhalten im Ausland der die Untersuchung führenden Behörde nicht zur Kenntnis gelangt und sich so nicht auf ein potenzielles Bußgeld auswirkt. Die Anforderungen an allgemeine Compliance-Programme und -Strukturen von Unternehmen sind gestiegen. Sie müssen künftig flexibler auf sich ändernde Rechtsprechung oder Entscheidungspraxis der Behörden reagieren können, aber auch neue Schwerpunkte der Wettbewerbspolitik, wie etwa den Verbraucherschutz, berücksichtigen. Für klagende Unternehmen stellt das modernisierte Kartellrecht eine breitere Klaviatur des Kartellverfahrens- und Schadenersatzrechts zur Verfügung. Verschiedene Elemente greifen nun noch besser ineinander und ergänzen sich. Eine international abgestimmte Strategie in Kartellverfahren kann bei Berücksichtigung des internationalen und europäischen Zivilverfahrensrechts zu effizienter betriebenen Prozessen führen. Für beklagte Firmen ist eine internationale Strategie schon wegen der internationalen Zusammenarbeit der Kartellbehörden unerlässlich. Weitere Stärkung absehbarKartellrechtliche Privatklagen werden in Deutschland künftig einfacher zu führen sein. Der Kläger muss nicht mehr in einen besonderen “Schutzbereich” des Gesetzes fallen, sondern braucht “nur” seinen durch das kartellrechtswidrige Verhalten des beklagten Unternehmens erlittenen Schaden darzulegen und zu beweisen, wobei selbst die konkrete Schadenshöhe vom Gericht nunmehr einfacher geschätzt werden kann. Beklagten Unternehmen dürfte in Zukunft das Argument der “Passing On Defense” ohne weitere Nachweise versagt bleiben. Mittelfristig wird die privatrechtliche Durchsetzung von Kartellrecht aber noch weiter gestärkt werden: Die Europäische Kommission arbeitet zurzeit zu diesem Thema an einem Grünbuch, das im Herbst veröffentlicht werden soll.*) Dr. Daniel Sharma ist Rechtsanwalt bei Clifford Chance in Frankfurt.