RECHT UND KAPITALMARKT

Europas Bankaufsichtsrecht gibt Anlass zu Lamento

Bankrechtstag 2019 beäugt Reformen und Entwicklungen kritisch

Europas Bankaufsichtsrecht gibt Anlass zu Lamento

fed Frankfurt – Kritische und teilweise durchaus besorgte Reflexionen der aktuellen Entwicklungen des europäischen Rechts machten am Freitag einen Schwerpunkt des Bankrechtstags 2019 aus. Zu der Veranstaltung lädt alljährlich die Bankrechtliche Vereinigung (siehe Kasten) – dieses Mal nach Frankfurt.So ließ die Mainzer Staats- und Verwaltungsrechtlerin Elke Gurlit von vorneherein keinen Zweifel daran, dass sie beim Blick auf die jüngsten Reformen des EU-Bankaufsichtsrechts – insbesondere durch das “Bankenpaket” (unter anderem mit den Anpassungen der EU-Kapitalrichtlinie und den EU-Abwicklungsregeln) – Anlass zur Klage habe. Statt einer Einführung startete sie ihren Vortrag daher mit einem, wie sie selbst betonte, “Lamento”: Gleich aus mehreren Gründen sei es im EU-Bankaufsichtsrecht schwieriger als in anderen Rechtsgebieten, zuverlässig über den Rechtszustand zu berichten. Der Umstand etwa, dass es sich eingebürgert habe, Finanzthemen im Paket durch die Gesetzgebungsverfahren bringen zu wollen, führe dazu, dass zahlreiche Punkte “huckepack” mitgeregelt werden sollen, die in keinem erkennbaren sachlichen Zusammenhang stünden.Im Falle des Bankenpakets stelle sich zum Beispiel die Frage, was eigentlich Regeln über Mindesthandelsgrößen (Tick Size) für bestimmte Akteure des Wertpapierhandels (systemische Internalisierer) in einem Gesetzgebungsverfahren mit bankaufsichtlichem Schwerpunkt zu suchen haben. “Hybride EU-Verordnungen”Erschwert werde eine Bestandsaufnahme des europäischen Bankaufsichtsrechts zudem durch die nicht mehr ganz so trennscharfe Unterscheidung zwischen EU-Richtlinien und EU-Verordnungen. Gurlit sprach pointierend von “hybriden Verordnungen”, also Rechtsakten, die durchaus noch Anpassungsgesetzgebungen auf nationaler Ebene notwendig machten, statt unmittelbar geltendes Recht zu schaffen. Die Krux bestehe darin, dass vielfach nicht zu erkennen sei, an welchen Stellen EU-Verordnungen noch Notwendigkeiten auf nationaler Ebene auslösten.Schließlich beklagte Gurlit die modulare Fortbildung des Rechts durch unverbindliche Akte von Behörden, die im Grunde nicht rechtsverbindlich seien, aber faktische Bindungswirkung entwickelten. Exemplarisch verwies die Rechtswissenschaftlerin auf die Veröffentlichung von Leitfäden oder “Question and Answers” seitens der EU-Aufsichtsbehörden. Den Banken bleibe eigentlich nichts anderes übrig, als diese schrittweise Fortentwicklung des Rechts – diese “Verflüssigung des Rechtsbestands” – stetig zu beobachten und nachzuvollziehen.Was materielle Änderungen der reformierten Bankaufsicht-Vorgaben der EU angeht, wies Gurlit unter anderem auf die “knifflige Aufgabe” hin, zu entscheiden, welche Teile der aufsichtlich geforderten, individuellen Eigenkapitalquote (SERP) publizitätspflichtig sind, nur die “harte” Vorgabe oder auch die “weiche” Empfehlung (Pillar 2 Guidance).Mit Blick auf institutionelle Fragen lenkte die Rechtsprofessorin schließlich das Augenmerk auf Zentralisierungstendenzen – etwa wenn die EZB auf nationale autonome Normen zugreife und in einer Weise tätig werde, die unionsrechtlich überhaupt nicht vorgesehen sei. Oder auch wenn die EU-Bankenbehörde Aufgaben delegiert bekomme, bei denen eine solch umfassende Kompetenzübertragung nach der Meroni-Doktrin zumindest fragwürdig sei. Aufsichts- und ZivilrechtEinen ebenfalls kritischen Blick auf durch die EU-Rechtssetzung beförderte Entwicklungen im Recht, wenn auch mit anderem Fokus, warf anschließend die Hannoveraner Zivil-, Wirtschafts- und Europarechtlerin Petra Buck-Heeb auf die Beziehung von Aufsichts- und Zivilrecht. Ihre zentrale These: Die traditionelle Abgrenzung von Aufsichts- und Zivilrecht ist – zumindest im Bank- und Kapitalmarktrecht – in Auflösung begriffen. Zwar seien die Auswirkungen auf die Anwender noch unklar.Es zeichne sich aber ab, dass die Überschneidungen, parallele Normen oder kumulative Regelungen erhebliche Folgen für die Praxis haben. Das gelte etwa für die Frage, ob sich ein Akteur am Kapitalmarkt in einem Haftungsprozess auf Leitfäden der Bankenaufsicht berufen könne. Dabei sei zu bedenken, dass Verlautbarungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht im Grunde keine Sicherheit für zivilrechtliche Verfahren geben können, da sie ja nur einen Teil des Verwaltungshandelns ausmachten. Es bleibe unklar, wie das Postulat einheitlicher zivil- und aufsichtsrechtlicher Auslegung erreicht werden könne.