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Zwangsarbeiterstiftung lässt zeitweisen Substanzverlust zu

Budget wird für humanitäre Hilfe aufgestockt - Größere Freiheiten bei Kapitalanlage - Mehr Anleihen und Aktien - Fundraising soll Löcher stopfen

Zwangsarbeiterstiftung lässt zeitweisen Substanzverlust zu

Die Stiftung “Erinnerung, Verantwortung und Zukunft” kommt – wie die meisten anderen Stiftungen auch – nicht mehr gegen die schleichende Entwertung ihres Vermögens an. Mit einer Satzungsänderung, mit der der bislang vorgeschriebene unbedingte Vermögenserhalt zumindest temporär aufgehoben wird, versucht die Zwangsarbeiterstiftung ihren humanitären Zielen nachzukommen. Zudem erhielt der Vorstand damit größere Freiheiten bei der Finanzanlage.Von Ulli Gericke, Berlin12,2 Mill. Euro hat die Stiftung “Erinnerung, Verantwortung und Zukunft” (EVZ) an ordentlichen Nettoerträgen im vergangenen Jahr erwirtschaftet. Genug, um die Stiftungsarbeit zu finanzieren. Aber nicht genug, um das Stiftungskapital zu erhalten. Damit geht es der Zwangsarbeiterstiftung nicht wesentlich anders als den allermeisten sozialen Organisationen hierzulande, die alle unter dem Zinsverfall bei Rentenpapieren leiden und der letztjährigen volatilen Seitwärtsbewegung bei den Aktienkursen. Während aber die vielen tausend anderen, vornehmlich kleineren Stiftungen die schleichende Auszehrung durch die Geldentwertung still erdulden, muss die in der Öffentlichkeit stehende, einst mit Milliardenbeträgen des Staates und der Industrie gegründete EVZ eine Antwort auf die langsame Entwertung ihres Vermögens finden. Späte WiedergutmachungEine Satzungsänderung ist die wichtigste Reform, die das Kuratorium im Sommer beschloss. Darüber hinaus votierte das oberste Organ der Stiftung, dem neben Regierung, Parlament und Industrie auch Vertreter der Jewish Claims Conference sowie osteuropäischer Staaten und Israels angehören, für den Versuch, mit Fundraising Drittmittel einzuwerben, um so die eigenen Aufgaben besser darstellen zu können. Die Deutsche Bahn hatte 2010 einen Anfang gemacht, als sie 5 Mill. Euro für die Unterstützung der inzwischen hochbetagten Opfer des Nationalsozialismus spendete. “Das ist sehr positiv wahrgenommen worden”, betonte EVZ-Vorstandschef Martin Salm im Gespräch mit der Börsen-Zeitung – zumal in Mittel- und Osteuropa die Kriegsvergangenheit noch weit gegenwärtiger ist als hierzulande. Und sei es nur deshalb, weil allzu viele NS-Opfer zu Zeiten des Kalten Krieges nicht als Opfer, sondern als Kollaborateure behandelt wurden.Die (angesichts des hohen Alters der Opfer vielfach zu) späte Wiedergutmachung kann nun dank der Bahn-Spende nennenswert aufgestockt werden. Um 40 % wird die humanitäre Hilfe damit in den nächsten vier Jahren ausgeweitet werden – was für Salm vor allem deswegen wichtig ist, weil hier in einem Wettlauf mit der Zeit alten Menschen Unterstützung gewährt werden kann, bevor es zu spät ist. “Besonders hochbetagte Sinti und Roma liegen uns sehr am Herzen, weil sie auch heute noch die am meisten diskriminierte Minderheit sind.” Werterhalt kein SelbstzweckUm in diesem Wettlauf mit der Zeit besser mithalten zu können, hat die Stiftung im Sommer beschlossen, das Budget für die nächsten drei Jahre von bislang knapp 7 Mill. Euro auf 7,2 und dann 7,5 Mill. für 2014 und 2015 aufzustocken – auch wenn damit das Loch zwischen Einnahmen und Ausgaben gegebenenfalls noch weiter aufreißt. Um diese nur noch wenige Jahre reichenden Sonderhilfen leisten zu können, wird die Satzung dahingehend geändert, dass die Stiftung in diesen schwierigen Kapitalmarktzeiten die Substanz ihres Vermögens nur noch erhalten soll – aber nicht mehr muss. Das Grundstockvermögen von 358 Mill. Euro muss trotz dieser temporären Sonderleistungen jedoch auf jeden Fall unangetastet bleiben.Neben dieser Satzungsänderung hat der Vorstand durch das Kuratorium aber auch einen größeren Spielraum erhalten, um ordentliche Nettoerträge zu erwirtschaften. “Die Wertsicherung ist kein Selbstzweck”, betont Salm, “sondern hat sich dem Stiftungszweck zu unterwerfen.” Und zu diesem Stiftungszweck gehört zumindest noch in den nächsten wenigen Jahren das Engagement für die immer älter und gebrechlicher werdenden NS-Opfer. Absicherung abgeschafftZugleich spiegelt sich in dem Kurswechsel hin zu höheren Nettoerträgen auch die Erfahrung der vergangenen turbulenten Jahre. Trotz Sicherheiten musste die Stiftung – wie alle anderen Kapitalanleger auch – im Krisenjahr 2008 Verluste hinnehmen. Diese konnten im Turnus darauf weitgehend ausgeglichen werden. Auch mit 2010 zeigt sich Salm zufrieden, bis dann im Vorjahr wieder “Lücken aufrissen”, also der reale Substanzerhalt nicht in Gänze dargestellt werden konnte. Und das, obwohl sich die Kapitalmärkte seitwärts bewegten. In diesem Umfeld kommt eine Overlay-Absicherung teuer – ohne dass sie Wirkung zeitigt. Da die Stiftung zudem seit Anbeginn eine Strategie der “ruhigen Hand” betrieb, stellte sich zwangsläufig die Frage, ob eine Absicherung kurzfristiger Schwankungen bei einer langfristigen Anlagepolitik überhaupt notwendig ist. Ist sie nicht, beschloss das Kuratorium. “Sie kostet viel, bringt aber nichts für einen langfristig orientierten Anleger wie uns”, resümiert Salm – “dank unserer Langfristanlage tolerieren wir ab sofort Schwankungen.” Lücke von 5 Mill. EuroUnter dem Strich blieben 2011 or dentliche Nettoerträge von 12,4 Mill. Euro. Gemessen an den 358 Mill. Euro des ursprünglichen Stiftungskapitals entspricht dieser Ertrag einer Rendite von 3,4 %. Werden jedoch die unrealisierten Kursverluste bei den Aktien mit einberechnet, schnurrt die Gesamtrendite auf magere 0,15 % zusammen. Doch selbst ohne diesen bilanziellen Effekt läge auch die Gewinnrendite von 3,4 % einen halben Prozentpunkt unter der Zielrendite, die im Zuge der Finanzkrise von einstmals 5,5 auf 3,9 % gekappt wurde. Selbst dieser Zielwert reicht jedoch nicht aus, um die für die Stiftungsarbeit benötigten Gelder, die Verwaltung und den Inflationsausgleich darstellen zu können.Von den letztjährigen 12,4 Mill. flossen 6,9 Mill. Euro (die bis 2014 auf 7,5 Mill. ansteigen sollen) in die 342 geförderten Projekte. Weitere 2,7 Mill. Euro wurden für die Administration benötigt, was einem Verwaltungskostenanteil von stabil 19 % gleichkommt. Sonstige betriebliche Erträge hinzuaddiert wurden für den Inflationsausgleich 3,4 Mill. bilanzwirksam in den Substanzerhalt gebucht – benötigt werden allerdings gut 8 Mill. Euro, was einer Lücke von fast 5 Mill. entspricht. Unter den Top TenMit Rückstellungen und angesammelter Substanzerhaltungsrücklage addiert sich das Vermögen der Stiftung EVZ Ende 2011 auf inzwischen knapp 413 Mill. Euro bzw. 429 Mill. per Ende August 2012. Damit sind die Berliner absolut gesehen zwar nur ein Zwerg in der hiesigen Stiftungslandschaft, verglichen mit den viele Milliarden schweren Volkswagen-, Robert-Bosch- oder Dietmar-Hopp-Stiftungen. Da die meisten der Großen aber den überwiegenden Teil ihres Vermögens in den jeweiligen Konzernen angelegt haben, gehören die Hauptstädter zu den Top Ten der kapitalgemanagten Stiftungen hierzulande.Trotz dieses – in absoluten Zahlen – unzureichenden Anlageerfolgs hat das international renommierte Fachmagazin “Portfolio institutionell” die Zwangsarbeiterstiftung für ihre – verglichen mit dem Marktumfeld relativ – gute Kapitalanlage ausgezeichnet. In der Rubrik “Beste Stiftung” verteidigten die Berliner 2012 ihre vorjährige Auszeichnung. Damals wurden das ethische Anlagemanagement und die gelungene Reorganisation der Vermögensverwaltung sowie die geringe Kostenbelastung bei gleichzeitig guten Renditeergebnissen gelobt, erinnert der Tätigkeitsbericht 2011. Italien- und Spanien-BondsWobei die ausgezeichnete Portfoliostruktur mit dem Kuratoriumsbeschluss einige Neuerungen erfuhr. Um mehr Erträge zu erzielen bekam der Vorstand nicht nur größere Freiheiten. Es wurden auch Anlageklassen ganz gestrichen und die Schwerpunkte der Asset-Allokation teils deutlich verändert – freilich ohne die Strategie einer möglichst breiten Risikostreuung zu begrenzen.Die gravierendste Gewichtsverlagerung gab es bei den Unternehmensanleihen, in die früher etwa ein Zehntel des EVZ-Vermögens investiert wurde, während es per Ultimo 2011 schon 25 % waren. Als oberes Limit gelten seitdem 32,5 %. Aktien, die in der Vergangenheit für 13 % der Investments standen, machen aktuell 17 % aus, wobei der Vorstand den Spielraum erhielt, das Anlagevolumen hier je nach Marktlage zwischen 7 und 22 % taktisch zu steuern. Die Staatsanleihen – auch italienische und spanische -, die der Langfriststrategie folgend bis zur Fälligkeit gehalten werden, machen relativ unverändert knapp ein Drittel des gesamten investierten Vermögens aus. Government Bonds, die auch Pfandbriefe enthalten, umfassen weitere 15 %. Hier wurde das einstmals passive Mandat beendet und in ein bonitätsgesteuertes Aktiv-Management umgewandelt, das im Herbst das Italien- und Spanien-Engagement noch einmal leicht aufgestockt hat – bei guten Renditen.Zurückgefahren wurden die Engagements bei Rohstoffen (“ein Mandat weniger”) sowie bei Absolute-Return-Spezialisten – “die erfüllten ihre Versprechungen nicht”. Hand in Hand mit diesem Wechsel ging ein Austausch illiquider zu liquiden Assets.Summa summarum halten es die Berliner Experten inzwischen wie viele Privatanleger auch: “Wir wollen nur noch halten, was wir auch selbst verstehen”, gibt Salm vor. Selbst verwaltet die Stiftung nur das kleine Segment Mikrokredite sowie die auf 1 % reduzierte Liquidität. Alle anderen Investments sind in einer Master-KAG zusammengefasst und werden mangels eigener Expertise von verschiedenen spezialisierten Asset Managern verwaltet – die von Berlin aus kontrolliert werden. Die State Street fungiert dabei als zentrale Depotbank. Deutsche Bahn als VorbildAlle diese Kapitalanlagen unterliegen ethischen Kriterien, die aus dem Stiftungszweck abgeleitet sind, betont Salm weiter. Allem voran achten die Hauptstädter besonders auf Verstöße gegen moderne Formen der Zwangs- und Kinderarbeit sowie Menschenrechtsverletzungen in der Arbeitswelt. Erfasst werden dabei auch – soweit durchführbar – die Vorlieferanten. Bei der inzwischen verschärften Vorgehensweise “screent” ein beauftragtes Ratingunternehmen Konzerne, in deren Renten oder Aktien die EVZ investiert ist, nach Menschenrechtsverletzungen und “moderner Zwangsarbeit”. Im Falle eines Falles schreibt die Stiftung das Unternehmen an und bittet um Stellungnahme. Dabei geht es “um eine kleine Gruppe von wichtigen Einzelfällen”, über deren Antworten Salm Anfang nächsten Jahres berichten will.Als weitere Änderung beschloss das Kuratorium im Sommer, dass die Stiftung ab 2013 aktiv Fundraising betreiben soll, um ihre knappen Fördermittel aufzustocken. Salm hofft, dass die 5 Mill. Euro der Deutschen Bahn nur ein Anfang sind und weitere Unternehmen folgen. Auch andere Adressen könnten einen ähnlichen Imagegewinn gut gebrauchen.