Asset Management

Zwangsarbeiterstiftung stellt eigene Satzung in Frage

Absoluter Substanzerhalt gefährdet bei steigender Inflation Stiftungsarbeit - Overlay-Strategie kostet viel und bringt derzeit wenig - 2008er-Verluste kompensiert

Zwangsarbeiterstiftung stellt eigene Satzung in Frage

Von Ulli Gericke, Berlin Pünktlich zum zehnjährigen Bestehen muss sich die Bundesstiftung “Erinnerung, Verantwortung und Zukunft” (EVZ) fragen, ob ihre Satzung noch zukunftsfest ist. Diese gibt wohl als einzige Stiftungssatzung hierzulande verpflichtend den Substanzerhalt des Stiftungskapitals unter Berücksichtigung des Inflationsausgleichs vor. Das ist an und für sich sinnvoll, ist damit doch die Existenz der Zwangsarbeiterstiftung und ihre Zukunftsarbeit auf ewig garantiert. Was aber passiert – wofür es immer mehr Anzeichen gibt -, wenn die Zinsen auf Dauer niedrig bleiben, die Inflationsrate aber steigt, fragt sich Harald Schneider, der Leiter Finanzen, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. “Dann ergibt sich die äußerst schwierige Situation, dass die Stiftung nur noch für sich selbst verantwortlich ist.” Für humanitäre Leistungen, die Menschenrechtsarbeit und die Auseinandersetzung mit der Geschichte, die bislang mit Stiftungsgeldern gefördert werden, wären bei einer sich beschleunigenden Geldentwertung aber keine Gelder mehr vorhanden – “das kann nicht Sinn der Sache sein”.Schon nach dem desaströsen Jahr 2008, in dem so gut wie alle Stiftungen weltweit Verluste hinnehmen mussten, die sich bei der EVZ auf rund 7 % beliefen, hatte das Berliner Stiftungskuratorium beschlossen, das jährliche Fördervolumen bis auf weiteres “aus Vorsichtsgründen” auf unter 7 Mill. Euro zu begrenzen. Erwirtschaftet werden müssen freilich fast doppelt so viel.Denn bei einem Stiftungsvermögen von inzwischen 420 Mill. Euro müssen allein mehr als 4 Mill. für den Substanzerhalt erzielt werden, bei einer angenommenen Inflationsrate 2010 von etwa 1 %. Hinzu kommen 2,7 Mill. Verwaltungskosten oder 19 % der Gesamtausgaben. Summa summarum benötigt die Stiftung damit eine Rendite von 3,5 %, um mit einer “schwarzen Null” abschließen zu können. Da die Berliner bis Ende Mai eine Performance von 1,6 % verbucht haben, dürfte auf Jahressicht zumindest das Minimalziel erreicht werden – unter der Annahme, dass es nicht erneut zu massiven Turbulenzen auf den globalen Kapitalmärkten kommt. Statt zwei Anlageklassen . . .Die Erfahrung von 2008 hat bei der Zwangsarbeiterstiftung tiefe Spuren hinterlassen. Um eine erneute Wertminderung des anvertrauten Vermögens zu vermeiden, wird seit Jahresbeginn über (fast) die gesamte Anlage eine Overlay-Absicherung gelegt. Die sichert Wertverluste ab. In Zeiten wie diesen, wo sich die Kapitalmärkte mit hoher Volatilität im Wesentlichen seitwärts entwickeln, ist diese Overlay-Strategie dagegen teuer – weil sie bei einem heftigen Dip nach unten immer wieder greift, ohne wirklich benötigt zu werden, weil das Level in toto stabil bleibt. Hält diese Marktsituation über alle zwölf Monate 2010 an, “sind 5 Mill. am Jahresende für nicht benötigte Risikoabsicherungen einfach weg”, listet Schneider auf – ohne eine Antwort zu haben, wie mit dieser Situation umzugehen ist.Auch im Vermögensbeirat, der über die generelle Anlagestrategie berät, sei sehr umstritten, ob die Absicherung sinnvoll ist oder nicht. Vereinbart sei, dass die Deutsche-Bank-Tochter DB Advisors die Overlay-Strategie bis zum Jahresultimo weiterfährt und die Erfahrungen dann evaluiert werden sollen. Generell ist Schneider jedoch der Überzeugung, dass die Risikotragfähigkeit bei den EVZ-Anlagen durchaus ausgeprägt ist – besonders bei dem von den Berlinern praktizierten Grundsatz der “ruhigen Hand”.Unruhig war es zuletzt zum Jahreswechsel 2008/2009. Damals wurde die neu entwickelte Anlagestrategie umgesetzt – zu einem zugegebenermaßen nicht ganz optimalen Zeitpunkt, nur wenige Wochen nach dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers. Doch auch die Anlagepolitik in den Jahren zuvor war nicht optimal, bestand sie doch im Wesentlichen daraus, zwei Assetklassen (Renten und bis maximal 30 % Aktien) durch drei konkurrierende Manager verwalten zu lassen, durch die Investmenttöchter der Deutschen Bank, der Dresdner und der Commerzbank. Die machten ihre Arbeit alle drei gut, erinnert sich Schneider, waren doch die Unterschiede in der Performance “am Ende nur marginal, zu finden in der zweiten Nachkommastelle”.Diese eher lieblose Assetverwaltung erklärt der Finanzverantwortliche mit der Geschichte der Stiftung, deren Schwerpunkt in den Anfangsjahren eindeutig bei der Auszahlung der Milliarden an ehemalige Zwangsarbeiter lag. Damals musste vor allem jeglicher Ausfall vermieden werden, damit die ohnehin knappen Wiedergutmachungsgelder nicht noch gekürzt werden mussten. Mit dem Ende der “Verbrauchsstiftung” Mitte 2007 verschob sich der Fokus auf die “Dauerstiftung”, die vor zehn Jahren mit einem Kapitalstock von 700 Mill. DM (oder knapp 360 Mill. Euro) der damals eingesammelten 10,1 Mrd. DM ausgestattet wurde (siehe untenstehenden Bericht). . . . elf Assets und 17 ManagerDie neue Investmentstrategie seit 2009 baut auf eine möglichst breite Risikostreuung und verteilt die Stiftungsgelder dementsprechend auf elf Anlageklassen (siehe Grafik), die von 17 spezialisierten Asset Managern verwaltet werden. Im Grunde sei diese breite Verteilung für das auf überschaubare 420 Mill. Euro angewachsene Vermögen “möglicherweise zu komplex”, räumt Schneider ein. Doch addierten sich die damit verbundenen Managergebühren, Depotbankkosten, Consultant-Rechnungen und Reportingausgaben auf lediglich 40 Basispunkte, was 1,6 Mill. Euro entspreche – “damit sind wir sehr, sehr gut unterwegs”.Zugleich gesteht Schneider allerdings ein, dass ihm bei den Verhandlungen mit den Asset Managern der Name EVZ helfe. Schließlich zahlten in die Stiftung rund 6 500 Unternehmen ein, davon 40 %, die zu nationalsozialistischen Zeiten noch gar nicht existierten. Zudem seien die Berliner mit ihren verwalteten 420 Mill. zwar nur ein Zwerg in der hiesigen Stiftungslandschaft – verglichen mit den viele Milliarden schweren Volkswagen-, Robert-Bosch-, oder Dietmar- Hopp-Stiftungen. Da die meisten der Großen aber den überwiegenden Teil ihres Vermögens in den jeweiligen Konzernen angelegt haben, gehörten die Hauptstädter zu den Top Ten der kapitalgemanagten Stiftungen hierzulande, betont Schneider. “Wir sind ein Referenzkunde. Ich bekomme jeden Tag mehrere Anrufe von Asset Managern, die für uns tätig sein wollen.”In der Praxis wird jede Assetklasse einzeln ausgeschrieben und nach einem “Beauty Contest” vergeben. Zum Teil werden dabei, wie bei Immobilien, auch unterschiedliche Anlageziele – Wohn- oder Gewerbeimmobilien oder internationale Reits – an verschiedene Verwalter gestreut. Nur die Liquidität und die Mikrokredite werden von Berlin aus verwaltet. Zusammengefasst werden alle Assetklassen unter einer Master-KAG-Kapitalanlagegesellschaft.Im vergangenen Jahr 2009 gelang es der Stiftung mit dieser neuen Strategie, die vorjährigen Verluste fast wieder wettzumachen. Neue Strategie heißt dabei auch, die Gelder nicht nur breiter anzulegen, sondern auch die Steuerung der Kapitalanlagen wieder in die Stiftung zurückzuholen, wo ein Vermögensbeirat und eine Anlagekommission (siehe Kasten) die Grundzüge und die konkreten Entscheidungen beraten.Einer der Kernpunkte ist dabei, dass keines der Investments ethische Kriterien verletzt. Das bedeutet, dass weder Aktien noch Bonds in Unternehmen oder Staaten angelegt werden dürfen, die sich moderner Formen der Zwangsarbeit oder anderer Verstöße gegen Menschenrechte in der Arbeitswelt schuldig machen oder diese fördern oder auch nur dulden. In der Folge stießen die Berliner deshalb Aktien eines asiatischen Konsumelektronikherstellers ab.Zudem verzichtet die Stiftung im Zuge ihrer Ethikstrategie auf Investments in Agrarrohstoffe “Wir wissen aus der Zusammenarbeit mit diversen Entwicklungsorganisationen, welche verheerenden Auswirkungen Nahrungsmittelpreissteigerungen, die häufig rein spekulationsgetrieben sind, vor Ort in den Entwicklungsländern für die dort lebenden Menschen haben”, begründet Schneider diesen Ausschluss. “Die Stiftung möchte mit dieser Form von Spekulation kein Geld verdienen.” Umgekehrt investiert sie 1 % ihrer Anlagegelder in Mikrokredite in Ländern der Dritten Welt, um das dortige Kleingewerbe zu stützen.