Carsten Wittrock, ZEB

„Aktuell noch nicht wirklich greifbar“

Carsten Wittrock von der Beratungsgesellschaft ZEB empfiehlt Fondsgesellschaften und den Vertrieben in Banken und Sparkassen, offen und transparent über die bestehenden Grauzonen bei nachhaltigen Finanzprodukten zu sprechen und die eigenen Prinzipien zu erklären.

„Aktuell noch nicht wirklich greifbar“

Silke Stoltenberg.

Herr Wittrock, ab dem 2. August werden Privatanleger bei der Anlageberatung auch nach ihren Nachhaltigkeitspräferenzen ge­fragt. Wird das mehr eine technische oder eine wirklich einschneidende Veränderung in der Anlageberatung?

Aus meiner Sicht ist es eine für den weiteren Verlauf der Anlageberatung wichtige Ergänzung, die angesichts der laufenden Diskussionen zu diesem Thema folgerichtig ist und auch für den Berater eine Auseinandersetzung mit diesem Thema erfordert. Da die meisten Institute immer mehr entsprechende Produkte anbieten, ist das Ansprechen auf Nachhaltigkeitspräferenzen ohnehin angezeigt, um den Vertriebserfolg neuer Produkte zu gewährleisten. Natürlich gehen damit auch technische Veränderungen einher, um die Präferenzabfragen sauber und einheitlich in den Beratungsprozess zu integrieren.

Es gibt Definitionen nach der Offenlegungsverordnung und nach der Taxonomie. Jetzt kommen wieder neue Kategorien und abstrakte Begriffe wie Principal Adverse Impacts für Mifid. Ist der Privatanleger nicht überfordert?

Das mag man meinen, am Ende ist es aber die Frage, wie man diese für die Anbieter/Vertriebler relevanten Bestimmungen kommuniziert. Ob sich Privatanleger alle Offenlegungen tatsächlich anschauen, bleibt dahingestellt – das ist bei vielen Regelungen im Finanzsektor so – aber nicht nur da. Wesentlicher wird am Ende sein, wie glaubwürdig und transparent Anlageberater und Produkthersteller die Umsetzung der Nachhaltigkeitsanforderungen er­klären und berücksichtigen.

Hätte man es besser machen können? Wenn ja, wie?

Das ist eine gute Frage. Am Ende wird auf der einen Seite geklagt, dass bei aller Zustimmung zur Nachhaltigkeit mit dem gesamten Regelwerk und seinem Detaillierungsgrad weit über das Ziel hinausgeschossen wird – auf der anderen Seite wird eine Präzisierung vieler Begriffe, die aktuell noch eher oberflächlich formuliert sind, eingefordert. Soweit ein Mindestmaß an Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit angestrebt wird, gilt es auch ein Mindestmaß an Detaillierungsgrad vorzuschreiben. Ansonsten wird der Interpretationsspielraum von Regelungen doch wieder so groß, dass der Überblick im Wettbewerb verloren geht. Möglicherweise wäre ein eher auf Prinzipien basierendes Regelwerk, wie es in den USA vorherrscht, eine Alternative gewesen – auf der anderen Seite ist aber bei aller Kritik im Detail Europa international führend, was die Präsenz nachhaltiger Produkte angeht – sicherlich auch ein Verdienst der regulatorischen Anstrengungen.

Für wie gut vorbereitet halten Sie Fondsgesellschaften sowie die Vertriebe auf das Startdatum?

Die Gesellschaften sind mit Macht daran, das Thema Nachhaltigkeit in den Investmentprozessen zu verankern. Das aber ist eine Mammutaufgabe, da sowohl die Daten auf Investitionsobjektebene noch unvollständig sind, das gesamte Monitoring und Risk Management anzupassen ist und auch auf Seiten des Vertriebs und der Endkunden zum Teil unterschiedlicher Nachhaltigkeitskonzepte nachgefragt werden, die zu einer weiteren Individualisierung der angebotenen Lösungen führen – und damit eine weitere Komplexität und Kosten nach sich ziehen. Für viele kleinere Gesellschaften stellen die mit der Implementierung verbundenen Kosten eine besondere Herausforderung dar.

Inwieweit wird die Greenwashing-Debatte eine Rolle spielen? Wie glaubwürdig sind ESG-Fonds, wenn Definitionen und Daten in puncto Nachhaltigkeit weiterhin noch fehlen?

Das Wichtigste ist, dass Anlegern transparent und ehrlich aufgezeigt wird, was man als Anbieter unter Nachhaltigkeit versteht, insbesondere in den Bereichen, wo eine regulatorische Präzisierung noch aussteht. Aus meiner Sicht sollte man da als Anbieter und im Vertrieb auch ganz offen ansprechen, dass es bestimmte Facetten gibt, die aktuell noch nicht wirklich greifbar sind und in diesen Bereichen dann Grauzonen bestehen, die unter dem Stichwort Nachhaltigkeit diskutierbar sind. Parallel nimmt auch die BaFin das Thema Greenwashing sehr ernst: Bei Fondszulassungen werden trotz des zurückgezogenen Rundschreibens vom letzten Jahr bereits Mindestanforderungen als Aufsichtspraxis definiert, um das Vertrauen in den Begriff „Nachhaltigkeit“ zu stärken.

Wie können Anleger vor grünem Betrug geschützt werden?

Solange viele Fragen im Detail noch offen sind oder nicht ausreichend präzisiert, gilt es meines Ermessens, das Thema Transparenz und Offenlegung in den Fokus zu stellen. Will heißen, Anbieter müssen für sich selbst und nach außen klar definieren, was sie unter Nachhaltigkeit verstehen, insbesondere wenn es um solche Faktoren geht, die aktuell noch erst vom Gesetzgeber zu definieren sind. Es gibt aber durchaus auch einige Institute, die sich, solange nicht alle Facetten ausdekliniert sind, dieses Thema erst einmal nur abwartend verfolgen. Die Frage ist natürlich, ob diese dann am Ende – zumindest von außen betrachtet – als Nachzügler angesehen werden. Schließlich kennt sich der Anleger mit den Hintergründen und regulatorischen Entwicklungen nicht aus, sondern sieht am Ende nur, dass es schon jetzt – trotz nicht 100 % definierten Rahmenbedingungen – nachhaltige Produkte gibt.

Was bedeutet die veränderte Finanzberatung für die Absatzchancen der ESG-Fonds?

Am Ende, denke ich, werden trotz der jüngsten Diskussionen über Greenwashing und den Rückschritten beim Nachhaltigkeitsthema aufgrund der wegen des Ukraine-Kriegs heraufbeschworenen Energiekrise sowie der damit einhergehenden Kursaussichten gerade eben „nicht grüner“ Produkte ESG-Fonds erfolgreicher werden. Sicherlich gibt es Ausnahmen, aber wer wird als Anleger schon bei der Wahl zwischen ESG-Fonds und konventionellen Fonds bewusst auf Letztere setzen? Wenn Anleger konkret auf das Nachhaltigkeitsthema angesprochen werden, dürfte das bei ihrer Anlageentscheidung vermehrt eine Rolle spielen. Dieses Thema ist eben auch eines, mit dem jeder tagtäglich konfrontiert wird und mit dem sich die meisten mal mehr mal weniger intensiv beschäftigen – jedenfalls mehr als die im Finanzgeschäft sonst vorherrschenden, eher abstrakten Themen, die Privatanleger häufig nicht wirklich nachvollziehen können oder auch möchten.

Das Interview führte

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