Im GesprächOliver Prill

Tide kommt nach Deutschland

Die britische Finanz-Plattform Tide kommt nach Deutschland. CEO Oliver Prill sieht dort großes Wachstumspotenzial. Es ist der erste Schritt der Expansion nach Kontinentaleuropa. In Indien ist Tide bereits präsent.

Tide kommt nach Deutschland

Im Gespräch: Oliver Prill

„Die Leute sind mit ihrer Hausbank nicht zufrieden“

Der CEO der britischen Finanz-Plattform Tide über den deutschen Markteintritt und seine Erfahrungen in Großbritannien

hip London
Von Andreas Hippin, London

Die britische Finanz-Plattform Tide kommt nach Deutschland. CEO Oliver Prill sieht dort großes Wachstumspotenzial. Er zielt auf Selbständige und kleine Firmen. Es ist der erste Schritt der Expansion nach Kontinentaleuropa. In Indien, wo es so viele Kleinunternehmer gibt wie nirgendwo sonst, ist Tide bereits präsent.

Das britische Fintech Tide hat den Sprung über den Ärmelkanal geschafft. Die Plattform bietet ihre Dienste nun auch deutschen Kunden an. Interessierte können sich ab heute auf der Website in die Warteliste eintragen. CEO Oliver Prill zielt auf Geschäftskunden, die über keine eigene Finanzabteilung verfügen. In Großbritannien arbeitet Tide profitabel.

Grundsätzlich sehen wir überall folgende Dynamik: Die Leute sind nicht zufrieden mit ihrer Hausbank, wollen wechseln, tun es aber nicht, weil das Angebot undifferenziert ist.

Oliver Prill, CEO Tide

„Unheimlicher Fortschritt im Markt“

„Als Tide 2017 anfing, belief sich der Anteil der sogenannten Challenger Banks – im wesentlichen Fintechs – bei Geschäftskonten in Großbritannien auf weniger als 1%“, sagt Prill. Nach Schätzung seines Unternehmens liegt die Marktdurchdringung inzwischen bei 35% bis 40%. „Es gibt also einen unheimlichen Fortschritt im Markt. Aus unserer Sicht ist Deutschland ungefähr da, wo man in Großbritannien 2018 war.“ Tide schätzt den Marktanteil aller Fintechs bei Geschäftskonten auf dem deutschen Markt auf 3% bis 5%. Ist Deutschland jetzt reif? „Grundsätzlich sehen wir überall folgende Dynamik: Die Leute sind nicht zufrieden mit ihrer Hausbank, wollen wechseln, tun es aber nicht, weil das Angebot undifferenziert ist.“

„Tide ist keine Bank“

In Großbritannien hat Tide einen Marktanteil von 10%. „Tide ist keine Bank“, sagt Prill. „Wir sind eine Plattform, die alles rund um Finanzen und Administration abbildet.“ Er erläutert das Geschäftsmodell: „In Großbritannien kann ich meine Rechnungen über Tide schreiben. Diese Rechnungen kann ich fakturieren. Weil das Geschäftskonto bei uns ist, wissen wir, ob das Geld eingegangen ist. Wir mahnen automatisch an, wenn es nicht kommt. Wenn es eingeht, packen wir es mit den Daten des Kunden zur Rechnung und geben das alles an das Buchhaltungssystem weiter. Einfach gesagt sind wir die ausgelagerte Finanzverwaltung eines Handwerkers, Restaurants oder Friseurbetriebs.“

Clearbank hat die Banklizenz

Dabei werden die Teilprodukte durch „Headless Integration“ von Dienstleistern erbracht. In Großbritannien arbeitet Tide mit Clearbank zusammen, die über eine Banklizenz verfügt und Banking-as-a-Service anbietet. Das Unternehmen verfügt selbst über eine Mastercard-Lizenz und kann eigene Karten ausgeben. Prominente Namen wie Adyen und Edenred sorgen für die Kartenakzeptanz und das Processing. Bei Tide Accounting ist Sage die Basis. Diese Dienstleister „bilden im tieferen Sinne das Produkt ab“, sagt Prill. „Aber alles, was auf der Plattform ist, wie das Produkt konfiguriert ist, wie es dargestellt wird, wie es interagiert, das machen wir.“

Weil Tide in Großbritannien profitabel ist, haben wir Geld für die internationale Expansion. Insofern gibt es aus Sicht der Firma keine Notwendigkeit, weitere Mittel einzusammeln.

Oliver Prill, CEO Tide

Keine weiteren Mittel nötig

Unter den Investoren von Tide befinden sich Apax Digital, Augmentum, SBI Group, Speedinvest und Tencent. „Weil Tide in Großbritannien profitabel ist, haben wir Geld für die internationale Expansion“, sagt Prill. „Insofern gibt es aus Sicht der Firma keine Notwendigkeit, weitere Mittel einzusammeln.“ Zwar sei ein unerwartet gutes Geschäft in Deutschland denkbar, so dass Tide „richtig Gas geben“ oder einen Zukauf wagen könnte. „Dann würden wir vielleicht noch einmal an die Investoren herantreten.“ Natürlich könnten Investoren ihre Anteile auch verkaufen.

Sky News berichtete Anfang des Monats über Vorbereitungen auf eine Sekundärmarkttransaktion, bei der bereits existierende Anteile verkauft werden sollen. Demnach entspricht der Preis einer Prämie von um die 30% auf die jüngste Finanzierungsrunde. Damit rücke eine Bewertung von 1 Mrd. Dollar in greifbare Nähe.

Auch in Deutschland 10% Marktanteil zu erreichen, wäre schon sehr ambitioniert. Unser Ziel ist es, uns in Deutschland gut zu etablieren und auch dort profitabel zu werden.

Oliver Prill, CEO Tide

Geschäftskonto zum Einstieg

Tide will in Deutschland mit dem Geschäftskonto und der Karte anfangen. Alle anderen Produkte sollen im Laufe der nächsten Monate und Quartale live gehen. „Auch in Deutschland 10% Marktanteil zu erreichen, wäre schon sehr ambitioniert“, sagt Prill. „Unser Ziel ist es, uns in Deutschland gut zu etablieren und auch dort profitabel zu werden. Das wird nicht so schwierig sein wie in Großbritannien, weil wir viele Investitionen, die wir in die Plattform getätigt haben, auch in Deutschland nutzen können.“

In Großbritannien vermittelt Tide ihren Geschäftskunden auch Kredite. „Vor anderthalb Jahren haben wir Funding Options gekauft, den größten Kreditvermittler in Großbritannien“, sagt Prill. Die Firma arbeite mit 120 Kreditgebern zusammen, von Großbanken bis hin zu spezialisierten Häusern. „Wir haben alle Kundendaten und können unseren Kunden helfen, den richtigen Kreditgeber zu finden.“

Krypto wiederum sei für ihn kein Thema: „Es gibt im Geschäftskundensegment bislang keinen Krypto-Use-Case, den wir als legitim anerkennen.“

Aufarbeitung der Finanzen

Kleinunternehmer seien oft sehr stark mit ihrem Kerngeschäft beschäftigt. Die Kreditaufnahme scheitere oft daran, dass die Finanzen nicht richtig aufgearbeitet sind. „Das machen wir“, sagt Prill. „Der Kunde macht ja seine ganzen Finanzen bei uns. Wir können ihm also ein ganzes Paket zur Verfügung stellen. Das machen wir natürlich nur, wenn er dem zustimmt. Wir werden ihm das nicht spekulativ anbieten.“ Tide habe in Großbritannien 35 verschiedene Kreditprodukte, von der gewerblichen Immobilienfinanzierung bis zur Exportfinanzierung. „Was für Kreditnehmer und -geber wichtig ist: Wir machen eine Vorselektion, wer für wen relevant ist.“

Mit einem Hochrisikokunden braucht man nicht an eine Großbank heranzutreten. Das ist viel Aufwand für beide Seiten, viel Frustration und wird zur Ablehnung führen.

Oliver Prill, CEO Tide

Auch für Deutschland geplant

„Mit einem Hochrisikokunden braucht man nicht an eine Großbank heranzutreten. Das ist viel Aufwand für beide Seiten, viel Frustration und wird zur Ablehnung führen.“ Das Angebot werde ultimativ auch nach Deutschland kommen. „Aus unserer Sicht ist das im Unternehmenskreditsegment der richtige Ansatz“, sagt Prill.

Einlagen in Milliardenhöhe

„In dem Segment, in dem wir operieren, gibt es grob ein Drittel, das Kredit möchte und auch kreditwürdig ist“, erklärt der Tide-CEO. „Dann gibt es ein Drittel, das eigentlich nicht kreditwürdig ist und dem man auch keinen Kredit geben sollte, weil man sie sonst ins Verderben treiben würde. Wir sind da sehr vorsichtig.“ Diesem Drittel helfe man dabei, kreditwürdig zu werden. Und dann gibt es noch sehr viele Unternehmer, die sehr, sehr viel Geld haben“, sagt Prill. „Ein Drittel ist finanziell sehr gut dabei und hat bei uns Milliarden an Einlagen, die wir verwalten.“ Das seien Anwaltskanzleien, kleine Steuerberatungsfirmen oder kleine IT-Dienstleister.

Daten sind getrennt und lokal

Angst vor einem Datenabfluss in Drittstaaten müsse man nicht haben. „Die Software läuft für das Vereinigte Königreich in London, für Indien in Mumbai und für Deutschland in Frankfurt“, sagt Prill. „Die Daten sind getrennt, sie sind lokal. Aber die Plattform ist grundsätzlich die gleiche, was den Software-Code angeht.“

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