IM BLICKFELD

Coronakrise beschleunigt Strukturwandel im Bankensektor

Von Stefan Kroneck, München Börsen-Zeitung, 17.6.2020 Krisen sind in der Regel Katalysatoren für Veränderungen bei gewohnten Prozessen. Das gilt sowohl im Privat- und Arbeitsleben als auch für die Wirtschaft allgemein. In Bezug auf den Bankensektor...

Coronakrise beschleunigt Strukturwandel im Bankensektor

Von Stefan Kroneck, MünchenKrisen sind in der Regel Katalysatoren für Veränderungen bei gewohnten Prozessen. Das gilt sowohl im Privat- und Arbeitsleben als auch für die Wirtschaft allgemein. In Bezug auf den Bankensektor in Deutschland zeichnet sich ab, dass die Corona-Pandemie die Ausdünnung des Filialnetzes beschleunigen wird. Dafür gibt es vor allem zwei Gründe. Erstens: Die mit der Seuche verbundenen Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen treiben die Digitalisierung des Berufs- und Alltagslebens voran. Die herkömmliche Bankfiliale verliert dadurch für Kunden weiter an Bedeutung. Einfache Tätigkeiten (Überweisungen und das Ausdrucken von Kontoauszügen) können online abgewickelt werden. Selbst standardisierte Bearbeitungen für Kleinkredite laufen zunehmend über das Internet. Die Filiale wird nur noch dann aufgesucht, wenn Bargeld am Geldautomaten abgehoben wird und/oder Beratungsgespräche bei komplexeren Themen (Baufinanzierungen, umfangreichere Darlehen, Wertpapieranlage) erforderlich sind. Die Folge davon ist, dass mit Personal besetzte Filialen oftmals unterausgelastet sind.Zweitens: der stetig zunehmende Kostendruck bei hoher Wettbewerbsintensität. Die durch die Pandemie verursachte Rezession verschärft die Lage für die Kreditwirtschaft. Denn die Marge im Darlehensgeschäft fällt weiter aufgrund einer wachsenden Risikovorsorge infolge der Wirtschaftskrise. Weitere Kürzungen in SichtDie Folge davon ist, dass der Strukturwandel in der Finanzbranche an Fahrt gewinnen dürfte. Dadurch wird sich ein Prozess rasant fortsetzen, der Ende der 1990er Jahre eingesetzt hat. Nach Angaben der Bundesbank hat sich die Zahl der mit Mitarbeitern besetzten Zweigstellen von 1999 bis 2019 um mehr als die Hälfte (55 %) reduziert. Zählte Deutschland zu Beginn des neuen Jahrhunderts über 58 500 Stück, waren es Ende 2019 nur noch 26 667. Der Bundesbank zufolge nahm die Zahl vor allem in den Jahren bis 2006 – also kurz vor Ausbruch der Finanzmarktkrise – ab. Seit 2015 verstärke sich dieser Trend. Treiber des Abbaus waren insbesondere die Postbank und der öffentlich-rechtliche Kreditsektor (Sparkassengruppe) mit jeweils über 9 000 Filialen sowie die Volksbanken und Raiffeisenbanken mit mehr als 7 000 Zweigstellen im Verlauf der vergangenen 20 Jahre.In den zurückliegenden fünf Jahren war das Tempo in den drei Kreditsektoren gleich groß. Sparkassen, Kreditgenossen und die privaten Geschäftsbanken reduzierten ihr Filialnetz seitdem um jeweils 22 %. Mit einem Anteil von rund 40 % an den gesamten Filialen sind die Sparkassen und die Bausparkassen weiterhin Branchenprimus (Stand Ende 2019), gefolgt von den Kreditgenossen (32 %) und den Privatbanken (28 %). Die Relationen spiegeln grob die Marktanteile des Trios im Retail- und Firmenkundengeschäft (Mittelstand) wider.Mit Blick auf die Folgen der Coronakrise könnte so manches Institut in absehbarer Zeit seine Sparpläne nochmals anpassen, das heißt verschärfen. Im Fokus stehen dabei insbesondere die großen Geschäftsbanken. Die Deutsche Bank und die Commerzbank kündigten bereits im vergangenen Jahr umfangreiche Stellenstreichungen und Filialschließungen an. Aber auch die anderen beiden Kreditsektoren bleiben nicht verschont. Zusammenlegungen beziehungsweise Fusionen innerhalb der beiden Primärbankengruppen prägten bereits die Entwicklung der vergangenen Jahre. Modernere Interaktionen Das bedeutet aber nicht, dass die Bankfiliale eines Tages gänzlich verschwinden wird. Ansonsten würde das insbesondere an den Geschäftsmodellen der Sparkassen und der Kreditgenossen rütteln, die vor allem vom regional verwurzelten Mittelstand und Privatkunden leben. Das Bild der Zukunft dürften mobile Bankberater prägen, die je nach Bedarf regional begrenzt an verschiedenen Standorten eingesetzt werden und mit dem Kunden auch virtuell verbunden sind. Das ist heute schon der Fall, aber noch in einem überschaubaren Umfang. Im Gespräch mit der Börsen-Zeitung kündigte Michael Diederich, Vorstandschef der HypoVereinsbank, an, am Filialnetz festzuhalten: “Das Filialgeschäft bleibt (. . .) ein wichtiger Baustein für die physische Interaktion mit unseren Kunden.” Das digitale Angebot werde verstärkt genutzt. Die Coronakrise beschleunige den Umbruch. Die Münchner Unicredit-Tochter straffte über mehrere Jahre ihr Zweigstellennetz. Ob damit das Ende der Fahnenstange erreicht ist, ließ Diederich offen. Er signalisierte, über weitere Optimierungen nachzudenken.