Matthias Schmidt

„Der Forderungsmarkt ist immer aktiv“

Die Eos Gruppe in Hamburg erwartet im laufenden Geschäftsjahr (1.3.) einen deutlichen Anstieg beim Ankaufvolumen unbesicherter Forderungen. Verkäufer sind vor allem Banken, die dadurch ihre NPL-Quote senken können. Großen Wert legt Eos auf einen fairen Umgang mit den Schuldnern.

„Der Forderungsmarkt ist immer aktiv“

Thomas List.

Herr Schmidt, Sie sind Leiter des operativen Forderungskaufs und beschäftigen sich mit dem Kauf unbesicherter Forderungsportfolios bei Eos. Welche Bedeutung hat der?

Wir kommen ursprünglich aus der treuhänderischen Bearbeitung von Inkassofällen, der Bereich Forderungskauf ist in den vergangenen Jahren aber stark gewachsen und bildet heute den Schwerpunkt unserer Tätigkeit. Im Geschäftsjahr 2021/22 (1.3.) hat unsere Gruppe 669 Mill. Euro in den Kauf von Forderungsportfolios investiert. Davon waren 382,8 Mill. Euro im unbesicherten Bereich, von denen wiederum 98,4 Mill. Euro auf Deutschland entfielen.

Wo sind Sie aktiv?

Neben Deutschland haben wir Standorte in 24 weiteren europäischen Ländern.

Außerhalb Europas sind Sie nicht aktiv?

Nicht mit eigenen Standorten, aus den USA und Kanada haben wir uns gerade zurückgezogen. Über Kooperationspartner bieten wir unsere Dienstleistungen aber in über 180 Ländern weltweit an.

Wo liegt der Schwerpunkt Ihrer Aktivitäten?

Wir haben im vergangenen Ge­schäftsjahr in 14 Ländern Forderungen gekauft und sind in den vergangenen Jahren vor allem in Osteuropa stark gewachsen. Insgesamt kalkulieren wir in unserem Hauptsitz in Hamburg, in Zusammenarbeit mit unseren Landesgesellschaften vor Ort, etwa 700 Transaktionen im Jahr. In Hamburg laufen alle Fäden zusammen, und hier wird die Entscheidung für ein Kaufangebot ge­troffen. Die Ausführung wird dann an die Landesgesellschaften abgegeben, die über vollwertige Inkassoeinheiten verfügen und sich um die Be­ar­beitung der Forderungen kümmern.

Wie läuft es in diesem Geschäftsjahr seit 1. März in Deutschland?

Wir gewinnen im Moment viele Ausschreibungen und haben schon signifikant investiert. Aber die meisten Transaktionen fallen hierzulande zum Ende des Kalenderjahres an. Wir gehören zur Otto Gruppe und haben so die Möglichkeit, langfristig in Forderungen zu investieren. Bei unseren Investments liegen wir aktuell über dem Niveau des Vorjahreszeitraums und erwarten, dass sich diese Entwicklung auch in der zweiten Hälfte des Geschäftsjahres fortsetzt.

Von wem kaufen Sie Forderungen?

Unsere größte Kundengruppe sind Banken. Wir sind aber auch stark vertreten in der Telekommunikationsbranche und dem E-Commerce, teilweise auch bei Versicherern und Energieversorgern.

Welche Forderungen kaufen Sie konkret?

Grundsätzlich decken wir jede Sparte ab. Wir sind durch die Werte der Otto Group besonders dem Fair Play verpflichtet. Von Forderungen, die durch Druck oder Leid verursacht wurden, lassen wir die Finger. Von der Glücksspielbranche halten wir uns ebenso fern. Wir sind also in den klassischen Bereichen aktiv.

Welche Bankenforderungen übernehmen Sie zum Beispiel?

Die volle Bandbreite von Girokonten über Ratenkredite und Kreditkartenverträgen bis zu Hypothekenkrediten. Wir kaufen auch Point-of-Sale-Kredite bei großen Einzelhändlern.

Wie sehen die Forderungen, die Sie kaufen, konkret aus? Kaufen Sie Einzelforderungen oder Pa­kete?

Wir kaufen in der Regel Pakete und unterscheiden zwei Arten von Transaktionen. One-off Sales, auch Be­standsverkäufe genannt, und soge­nannte Forward Flows, die man in Deutschland als revolvierende Verkäufe kennt.

Wie sehen diese One-off Sales aus?

Bei der Bank läuft ein Forderungsbestand auf, der zuerst intern oder durch Servicing bearbeitet wird und dann zu einem bestimmten Zeitpunkt an den Markt gebracht wird. Das passiert häufig einmal im Jahr. Einige Pakete wurden dieses Jahr schon verkauft, andere werden vor­aussichtlich gerade geschnürt und in den kommenden ein, zwei Monaten an­geboten.

Was passiert bei den Forward Flows?

Viele unserer Kunden verkaufen ihre Forderungen nicht erst, wenn ein größerer Bestand aufgelaufen ist, sondern schließen einen Vertrag über revolvierende oder wiederkehrende Verkäufe ab. Da ist das Risiko für uns als Käufer etwas größer als bei einem Bestandskauf. Denn bei einem konkreten Forderungsbestand weiß man genau, was drin ist. Man kann jede einzelne Forderung nachverfolgen und kennt deren Historie.

… bei Forward Flows ist das anders?

Ja. Ein Forward-Flow-Kontrakt verpflichtet den Käufer für ein oder mehrere Jahre, alle qualifizierenden Forderungen zu einer bestimmten Quote zu kaufen. Das sind oft Forderungen, die seit 100 bis 150 Tagen fällig sind. Damit kann sich die Bank auf ihr Kerngeschäft konzentrieren, während wir die Betreuung dieser Forderungen komplett übernehmen.

Rechtlich sind Sie Forderungsinhaber geworden?

Ja, mit allen Rechten und Pflichten.

Warum gerade ab 100 Tagen Überfälligkeit?

Eine Bankenforderung gilt ab 90 Tagen als ausgefallen und ist fortan ein NPL, also ein Non-Performing Loan. Nach IFRS 9 haben diese Forderungen Stufe 3 erreicht und müssen maßgeblich wertberichtigt werden, und die NPL-Quote des Instituts steigt. Die EBA forciert durch ihren Action Plan aus 2017 den Verkauf der NPLs, da Banken, die diese Forderungen nun verkaufen, damit direkt ihre NPL-Quote reduzieren. Diese misst ja den Anteil der notleidenden Kredite am Gesamtkreditbuch der Bank. Wenn die Banken die überfälligen Kredite hingegen selbst im sogenannten Servicing betreuen, dann verändert sich die NPL-Quote nicht, da die NPLs im Buch verbleiben.

Wie kommen Sie an diese Forward-Flow-Kontrakte?

Die Banken laden uns zusammen mit Wettbewerbern ein, im Rahmen einer Ausschreibung für bestimmte Pakete Preise zu stellen. Dabei erhalten wir ein Datentape, das wir eingehend analysieren. Unsere Hauptaufgabe ist es dabei, die Story des Portfolios zu finden, also: Warum wird das Portfolio in dieser spezifischen Zu­sammensetzung angeboten? Wie wird es in Zukunft performen?

Wie sieht denn ein solches Forward-Flow-Portfolio aus?

Der Rahmen ist ziemlich klar abgesteckt. Für klar definierte Qualitätsklassen werden Kaufpreise geboten. So ist dann auch sichergestellt, was in dem Portfolio enthalten ist.

Und wie sieht es bei den Bestandskäufen aus?

Die Qualität eines Bestandsportfolios kann sehr heterogen sein, auch weil die Dauer seit Ausfall in einem breiteren Spektrum liegt. Mittels intelligenter Datenanalyse und Erfahrungen aus der Vergangenheit ermitteln wir den Wert des konkreten Pakets. Wir berücksichtigen neben den Forderungsdaten weitere Parameter wie Adressqualität, Insolvenzstatus und -neigung sowie schuldnerspezifische Merkmale. Dann geben wir unser Gebot ab.

Wie finden Sie den „richtigen“ Preis für die Forderungen, die Sie kaufen wollen?

Es gibt klare Preistreiber. Da ist einmal die Forderungshöhe. Je kleiner die Forderung, umso eher ist der Schuldner vermutlich in der Lage, diese rasch zu begleichen. Bei hohen Immobilienkrediten kann es erfahrungsgemäß mehr als zehn Jahre dauern, bis solche Forderungen vollständig beglichen werden. Aber das ist okay: Wir wollen ohne Druck mit dem Verbraucher eine einvernehmliche Lösung finden, wie er wieder von seiner Verbindlichkeit runterkommt. Das ist Teil des Fair Plays.

Wie errechnen Sie Ihren Angebotspreis für eine Forderung be­zie­hungsweise ein Forderungspaket?

Wir haben insbesondere in Deutschland eine über viele Jahrzehnte zurückreichende Historie an Bench-markdaten, zum Beispiel aus der Finanz- oder Coronakrise. Wenn wir ein Portfolio erwerben, müssen wir schauen, was wir als Benchmark nehmen. Was ist vergleichbar mit der heutigen Lage? Wie sieht eine realistische Realisierungskurve aus? Gleichzeitig müssen wir die makroökonomischen und geopolitischen Effekte mit einbeziehen. Das macht etwa 80% unserer Analysetätigkeit aus.

Was sind dann solche Forderungen konkret wert?

Das ist ganz unterschiedlich und hängt stark von Aufwand und Dauer der Bearbeitung ab. Der Forderungsmarkt in Deutschland ist sehr entwickelt, das heißt, es gibt viele Finanzinvestoren in praktisch allen Sparten des Forderungskaufs. Wir wollen den fairen, realen Wert eines Portfolios auf Basis der erwarteten Realisierungskurve und der erwarteten Kosten finden. Bei den Ausschreibungen ist der Markt meist sehr nah beieinander, es gibt kaum Preisausreißer. Was man für eine Forderung erwarten kann, schwankt kaum noch. Es gibt wenig „Lucky Shots“.

Wer erhält bei einer Ausschreibung den Zuschlag? Geht’s dabei nur um den besten Preis?

Nein, es geht auch um die Reputation des Bieters. Eos hat sich einen Namen am Markt erarbeitet durch die Art, wie wir mit den Schuldnern umgehen. Für den bisherigen Forderungsinhaber, sei es eine Bank oder ein Einzelhändler, ist der Verkauf immer ein Reputationsrisiko. Es gab schon Ausschreibungen, bei denen sich die Vertragsparteien komplett überworfen haben. Unsere Kunden berichten mir immer von einer guten, harmonischen Zusammenarbeit mit Eos. Bei Transaktionen ist eben auch ein Nasenfaktor dabei. Man kennt sich auf dem Markt.

Wer verkauft heute Forderungen?

Prinzipiell kann jedes Unternehmen überfällige Forderungen veräußern. Im Bankenbereich macht das meinem Eindruck nach jedes Kreditinstitut, um seinen NPL-Bestand abzubauen.

Wie groß sind die Transaktionen?

Das Spektrum ist sehr breit. Es gibt sehr große Transaktionen, die in den dreistelligen Millionen-Euro-Bereich gehen. Es gibt aber auch einige kleine Verkäufe im unteren sechsstelligen Bereich.

Wie schätzen Sie die Zukunft des Marktes angesichts der hohen Inflation und der steigenden Zinsen ein? Wird es mehr notleidende Kredite geben?

Es gibt Tendenzen am Markt. Es gibt aber auch viele Gefühle. Viel erinnert an die letzten Krisen. Die Finanzkrise war vor allem eine Bankenkrise, schlug aber auch durch und hat uns in den vergangenen zehn Jahren niedrige Zinsen und Inflation ge­bracht, die in der Coronazeit kurzzeitig zu einer Deflation wurde. Corona selbst hat uns nur wenig betroffen. Viele Analysten haben mit guten Gründen vor einer großen Krise gewarnt, die dann nicht kam. Viele denken: Inkassoun­ternehmen geht’s in der Krise besonders gut. Das Gegenteil stimmt: Uns geht’s gut, wenn es der Bevölkerung gut geht. Man muss es sich leisten können, seine Forderungen zu be­zahlen. Hat man kein verfügbares Ein­kommen oder eben spürbar weniger, weil das meiste schon für Energie, Nahrungsmittel et cetera verwendet wurde, dann bleibt für den Schuldendienst wenig übrig.

… das sind für Ihr Geschäft keine guten Aussichten. Denn genau das, also explodierende Energiepreise, steht uns jetzt bevor …

Genau das ist der Punkt. Im Moment läuft es noch, in Anführungsstrichen, normal. In der Coronakrise im Frühjahr 2020 kamen wir in den Lockdown, die Leute arbeiteten im Homeoffice oder in Kurzarbeit und hatten plötzlich ein geringeres Einkommen. Das hat man gemerkt. Der eine oder andere hat darum gebeten, seine Ratenhöhe zu reduzieren. Kollegen aus der Sachbearbeitung haben erzählt, dass die Schuldner auf Sicht fahren wollten …

… das heißt …

… statt Lastschrift oder Ratenzahlungen haben sie für einige Monate ihre Raten selbst überwiesen. Die Zahlungen sind also nicht wie erwartet stark eingebrochen, sondern das Zahlungsverhalten hat sich verändert. Die Preise auf dem NPL-Markt sind zu Anfang der Coronazeit dennoch um 20% und mehr eingebrochen. Einige Transaktionen wurden komplett abgesagt, weil die Verkäufer sie zum damaligen Zeitpunkt als unwirtschaftlich ansahen und lieber um einige Monate verschieben wollten.

Und wie ist die Lage jetzt? Brechen die Preise ein, weil zu erwarten ist, dass die Leute ihr Geld für die Gasrechnung brauchen?

Das werden wir im Herbst sehen. Zur Coronazeit konnten die Leute viel weniger ausgeben für Urlaube, Restaurants, Kino. Die Sparquote schnellte von 10% auf 16% hoch – ein All-Time High. Die Leute konnten sich ebenso viel besser um ihre offenen Forderungen kümmern – mitten in der Krise. Der Konsum ist inzwischen nachgeholt und die Sparquote seitdem stetig gefallen. Inzwischen sind wir wieder bei unter 10% angelangt. Seit Januar 2021, seit Auslaufen der Mehrwertsteuersenkung, steigt die Inflation im Gegenzug kontinuierlich. Das spürt der Bürger jetzt direkt im Supermarkt und an der Zapfsäule. Diese Krise ist anders als die Coronakrise. Lieferketten waren auch schon zu Coronazeiten ein Pro­blem, jetzt merken wir aber die Inflation – und die tut richtig weh. Wie es mit dem Ukraine-Krieg weitergeht, weiß niemand. Die Gaspreise dürften hoch bleiben, und ein Ende des Krieges ist leider nicht in Sicht. Wir haben also eher ein strukturelles Problem, mit dem es umzugehen gilt.

… und das heißt für Sie: Warten bis nach den Ferien?

Der Forderungsmarkt ist immer aktiv und Warten keine Option. Insbesondere beim Forderungskauf, bei dem wir das volle Risiko mit Kauf übernehmen, gilt das Motto: Heute schon an morgen denken. Wir versuchen in unseren Modellen stets aktuelle und zukünftige Effekte mit zu berücksichtigen – seien sie positiv oder eben negativ. Wir investieren langfristig und stetig und möchten unsere Investitionen weiter steigern. Aber wir müssen, genau wie der Wettbewerb, das veränderte Umfeld einpreisen.

Wie werden sich Angebot und Preise entwickeln?

Eine Mehrheit der Marktteilnehmer erwartet für die nahe Zukunft mehr NPL-Volumen, aber sinkende Preise am Forderungsmarkt. Insbesondere rechnen Finanzmarktexperten mit einem steigenden Angebot ausgefallener Unternehmensdarlehen und wohnwirtschaftlicher Kredite aufgrund der steigenden Zinsen. Langfristig ist jedoch zu erwarten, dass die Inflation zu einer höheren Rückzahlungsquote führt, weil der reale Wert der Schuld sinkt. Aber zuerst kommt eben der Einbruch. Die spannende Frage ist: Wann kommt die Erholung?

Das Interview führte

BZ+
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