ESG-Regulierung

„Der politische Druck ist enorm“

Unter einem hohen politischen Druck machen sich Banken an die Umsetzung der vielfach noch ausstehenden Regulierung zu ESG-Fragen. Bis sie abgearbeitet ist, dürften rund sechs Jahre ins Land gehen.

„Der politische Druck ist enorm“

Von Bernd Neubacher, Frankfurt

Die Debatte um ESG hat momentan zwei Resonanzräume. Da ist zum einen eine von hehren Zielen beseelte Öffentlichkeit, der es in Anbetracht einer existenziellen Bedrohung infolge der Erderwärmung nicht schnell genug gehen kann mit Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels. Und da ist zum anderen eine EU-Regulierung, welche den Imperativ der Nachhaltigkeit in konkrete, handhabbare und rechtssichere Normen übersetzen will – diese Aufgabe erfüllt sie so gut, dass allein der Umfang der sogenannten Best Available Techniques sowie der Gesetzgebungsdokumente in der Taxonomie-Verordnung der EU insgesamt 24 000 Druckseiten umfasst, wie der Jahresbericht der VÖB-Service GmbH jüngst festgehalten hat. Dazwischen: die Spieler des Finanzsektors, welche die Regularien umsetzen sollen, um ein politisches Ziel zu verwirklichen, das außerhalb seines originären Geschäftszwecks liegt, und dies bitte möglichst, ohne sich dabei eine Blöße zu geben.

Der Druck der öffentlichen Erwartungen, die Granularität des Regelwerks, die Komplexität der Umsetzung, aber auch Übereifer der Banken bei der Selbstvermarktung schaffen dabei eine Fallhöhe, angesichts derer es nur eine Frage der Zeit scheint, wann nach der DWS zum nächsten Mal Greenwashing-Vorwürfe ein Institut treffen werden. Und all dies spielt sich in einem Regulierungsumfeld ab, das nicht nur einem, sondern gleich mehreren beweglichen Zielen gleicht. Was etwa die Taxonomie angeht, liegt bisher zwar ein delegierter Rechtsakt zu Klimafragen vor.  Im Nachgang hat die EU-Kommission an Silvester angekündigt, dass sie auch Atomenergie und Erdgas als nachhaltig einstufen will. Vorgaben zu den beiden Buchstaben „S“ und „G“ lassen ohnedies noch auf sich warten. Derweil keimen dem Vernehmen nach in der Kommission bereits Überlegungen, über all dies noch eine Definition von Transition Finance zu stülpen, also Merkmale für Finanzierungen festzulegen, die etwa einem Unternehmen den Übergang von braunen zu grünen Aktivitäten ebnen.

„Der politische Druck hinter Initiativen von Standardsetzern und Aufsichtsbehörden ist enorm“, sagt Thilo Kasprowicz, Partner und Experte für Regulatorik in Financial Services bei KPMG, gerade mit Blick auf den deutschen Finanzsektor. „Denn aus globaler Sicht will die EU Vorreiter sein – und aus Sicht der EU möchte Deutschland eine federführende Rolle spielen.“ Vor diesem Hintergrund hält sich die Kritik aus der Branche in erstaunlich schmalem Rahmen. Eine mögliche Erklärung: Die Banken erkennen im Megatrend eine einmalige Chance, ihre gesellschaftliche Stellung zu verbessern.

„Wir sind als Banken nur relevant, wenn wir die Bedürfnisse unserer Kunden bedienen“, sagt etwa Gerald Podobnik, Finanzvorstand der Corporate Bank der Deutschen Bank sowie Mitglied des Sustainable-Finance-Beirats der Bundesregierung, der Börsen-Zeitung. „Wenn sich die Wirtschaft verändert, gehen wir diesen Weg mit. Sonst produzieren wir am Markt vorbei. Für Banken ist der rasant steigende Fokus auf ESG und ESG-Regulierung eine doppelte Chance: Zum einen werden Marktanteile neu verteilt. Je ernster man das Thema angeht und je glaubwürdiger man Nachhaltigkeit verkörpert, desto besser ist die Ausgangsposition. Und zum anderen können Banken hier unter Beweis stellen, dass sie in der Mitte der Gesellschaft stehen und dazu beitragen, die Transformation der Wirtschaft zu ermöglichen. ESG ist außerdem ein großer Innovationstreiber, der viele junge, kreative Leute in den Finanzsektor zieht.“ Diese sind für Regulierungsprojekte mit ESG-Stoßrichtung in jedem Fall deutlich leichter zu begeistern, als dies vor Jahren bei der Finanzrichtlinie Mifid II der Fall war.

Ganz oben auf der Agenda der Banken steht zunächst einmal die Beschäftigung mit der Taxonomie sowie mit den Offenlegungspflichten gemäß der künftigen Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), die bis Anfang Dezember 2022 umgesetzt und erstmals ab dem Geschäftsjahr 2023 angewendet werden sollen. Des Weiteren zählen das Risikomanagement und die Umsetzung des entsprechenden, Ende 2019 vorgelegten Merkblatts der BaFin, der Klimaleitfaden der EZB sowie deren Klima-Stresstest im kommenden Jahr dazu. KPMG-Manager Kasprowicz: „Der aktuelle ESG-Fokus liegt klar auf Risikosteuerung, Berichterstattung und Beaufsichtigung. Fragen zur Eigenmittelunterlegung von ,grünen‘ oder ,braunen‘ Finanzierungen liegen noch weiter entfernt. Zwar wird die EBA in Kürze hierzu einen Diskussionsbeitrag veröffentlichen. Bis zu einer verbindlichen Einführung werden aber noch einige Jahre vergehen.“

Auf der hinteren Herdplatte stehen damit zunächst auch die Ideen der European Banking Authority (EBA) zur Frage eines grünen Kapitalrabatts sowie etwaige Kapitalzuschläge im Zuge der aufsichtlichen Bewertung  und Überprüfung durch die Europäische Zentralbank (EZB). Hinzukommen dürften ab 2023 ferner Bestimmungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes und damit auch die Frage etwaiger Überschneidungen mit anderen Regelwerken. Mit Blick auf die Governance ist unterdessen auch das im August 2021 in Kraft getretene Führungspositionen-Gesetz relevant, das börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen mit Vorständen in einer Größe von mehr als drei Mitgliedern mindestens eine Frau in deren Reihen vorschreibt.

Manche Bank hat Teams gebildet, deren einzige Aufgabe es ist, die diversen Regelwerke im Auge zu behalten, diese auf ihre Relevanz fürs eigene Geschäftsmodell abzuklopfen und sicherzustellen, dass alle Fristen eingehalten werden. Kasprowicz: „Es gibt mittlerweile so viele Empfehlungen und Vorgaben unterschiedlicher internationaler, europäischer und nationale Standardsetzer und Aufsichtsbehörden, dass einige Banken Gefahr laufen, den Überblick zu verlieren. Dies wäre zu vermeiden – sowohl aus Compliance- als auch aus Reputationsgründen.“ Sein Kollege Christoph Betz, Partner bei KPMG und mitverantwortlich für die ESG Practice im Bereich Financial Services, sekundiert: „Die Schwierigkeit für die Banken besteht darin, dass es sich dabei zwar um ein branchenübergreifendes Thema handelt, die Regulierung zugleich aber in besonderem Maße auf den Bankensektor abzielt. Dabei kämpfen die Institute zudem gegen eine Benchmark, die sie noch nicht genau kennen und die sich noch verändert. Da finde ich gewisse Klagen aus der Bankenbranche nach dem Motto ‚Wir sind doch nicht die, die die Luft verschmutzen‘ durchaus nachvollziehbar.“

Kleine Banken im Nachteil

Deutsche-Bank-Manager Podobnik hält dagegen: „Mit dem Klimawandel liegt eine Herausforderung für Generationen vor uns. Es ist nun einmal schwierig, von einer voll regulierten Branche wie dem Finanzsektor eine vollumfängliche Beteiligung zu erwarten, wenn es für diesen Bereich lediglich ein Mindestmaß an Regulierung gibt. Der Kapitalmarkt funktioniert nur mit einer ordentlichen Berichterstattung. Mit Transparenz kann gesteuert werden. Da sind Berichtspflichten und die Taxonomie entscheidend. Gleichzeitig muss man bei deren Gestaltung auch auf die Verhältnismäßigkeit achten. Denn am Ende müssen wir sicherstellen, dass die Unternehmen die Berichtspflichten auch umsetzen können.“

Vor Problemen der Anwendbarkeit stehen freilich nicht nur Unternehmen, sondern auch kleinere Banken, auf welche die Aufgabe zukommt, etwa Handwerkern und anderen Kleinbetrieben Daten zu deren ESG-Fußabdruck abzutrotzen: „Das ist die große Herausforderung, da etwas Handhabbares zu bekommen, und das macht das Ganze auch nicht besonders effektiv“, meint Dirk Bliesener, Partner bei Hengeler Mueller. „Die ersten Jahre werden daher eher eine Einführungsphase sein“, prognostiziert er.

Unter den kleineren Instituten dürften es dabei besonders Privatbanken schwer haben: Im Gegensatz zu Sparkassen sowie Volks- und Raiffeisenbanken haben sie keinen Dienstleister wie die Finanz Informatik oder Atruvia im Rücken, der über eine einheitliche IT und eine verbundweite Umsetzung deren Kosten senken kann. Die künftig entstehenden Datenmengen sind jedenfalls immens und lassen bereits entsprechende Angebote von Dienstleistern entstehen. So offeriert die VÖB-Service GmbH „eine auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierende Software-Lösung“ zur Umsetzung der Taxonomievorgaben. Außer Zweifel steht, dass ESG-Compliance-Leute fürs Erste sichere Arbeitsplätze haben. Wie Bankaufsichtsrechtsexperte Bliesener schätzt, wird es rund sechs Jahre dauern, bis die Welle an ESG-Vorgaben abgearbeitet ist. Ohne entsprechendes Know-how wird dies kaum zu bewältigen sein. Personal, das diesen Aufgaben zu bewältigen vermag, ist freilich rar gesät, entsprechende Studiengänge sind Fehlanzeige.

Die Art, in welcher ESG im operativen Betrieb und im Verantwortungsgefüge der Institute ankommt, charakterisiert Bliesener wie folgt: „Das lässt sich in drei Phasen einteilen: In der ersten, welche gerade in kleinen Häusern noch nicht abgeschlossen ist, wird ESG oft als weiches Thema den Kommunikationsabteilungen überlassen, oder man schafft Corporate-Social-Responsibility-Abteilungen, die dem Büro des Chief Operating Officer zugeordnet sind. Das ist die ESG-light-Version. Sie wird sich nicht durchhalten lassen. In einer zweiten Phase geht die Entwicklung in Richtung einer Integration des ESG-Gedankens in andere Abteilungen der Banken, und zwar auf Markt- wie auf Marktfolgeseite, also etwa im Underwriting und in der Risikokontrolle. Und Sie müssen es in der internen Revision spiegeln und in der Geschäftsleitung auch, im Risikoausschuss ebenfalls. In einer dritten Phase könnten Banken künftig zusätzlich einen eigenen ESG-Vorstand mit entsprechender Querschnittsabteilung benötigen.“

Dies deckt sich mit den Beobachtungen von Betz: „Zunächst hatten Banken das Thema eher nach außen positioniert, in den vergangenen 18 bis 24 Monaten aber ist es in die Organisation gewandert und betrifft nun unter anderem den Risiko- und den Finanzbereich. Einige Institute haben bereits Chief Sustainability Officer installiert. Das ist schon mehr als ein klassischer Nachhaltigkeitsbeauftragter.“ Bliesener betont:  „Sie brauchen ein Machtzentrum für ESG in der Bank, in dem Trends, Investitionen und Antrieb verortet werden. Das ergibt sich auch aus den vom Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht publizierten Prinzipien.“

Im operativen Betrieb wird es perspektivisch darum gehen, die erfassten ESG-Daten mit dem Risikobereich zu vernetzen. Da sind neue Haushalte mit Daten zum CO2-Ausstoß und unter anderem zu Energieeffizienzklassen von Immobilien anzulegen, die derzeit noch mühsam von Hand ergänzt werden. Damit werden ganz neue Risikofaktoren relevant. Für die Vergütung wird eine Rolle spielen, wie sehr die Vergabe eines Kredits den ESG-Risikoansatz einer Bank befördert hat.

Wo bleiben die Kennzahlen?

Schwachstellen in der ESG-Regulierung macht Deutsche-Bank-Manager Podobnik unterdessen noch mit Blick auf Kennzahlen aus: „Ich wünsche mir, dass wir vorankommen, was die Berechnungsmethoden und -metriken angeht“, erklärt er. „Nach der Finanzkrise wurden neue Kennzahlen wie Leverage Ratio, Liquidity Coverage Ratio und Net Stable Funding Ratio schnell konkret angewendet. So weit sind wir bei den künftigen ESG-Kennziffern noch nicht. Daher sollten wir die Berichterstattung der Unternehmen um möglichst wenige, aber aussagekräftige Kennziffern erweitern.“ Als Maßstab mag zwar vorläufig die von der EU konzipierte Green Asset Ratio dienen. Diese allerdings lässt, wie im Markt moniert wird, Positionen in Derivaten sowie manche Engagements außerhalb der EU außer Acht, wenn es im Bruch um die Berechnung des jeweiligen Zählers geht. KPMG-Manager Betz konstatiert unterdessen eine Fokussierung der Debatte auf den Buchstaben E. Dies gebe nicht wieder, was die Banken derzeit leisteten, kritisiert er. So sei die genossenschaftliche Apobank im sozialen Sektor sehr aktiv, was die EU-Regulierung bisher aber nicht abbilde.

Podobnik zieht dennoch ein positives Fazit:  „ESG ist einer der Bereiche, in denen die EU die Nase vorn hat“, stellt der Manager von Deutschland größter Bank, die ESG zu einer strategischen Priorität auserkoren hat, heraus: „Europa hat hier die Chance, globale Standards zu setzen.“ Vorausgesetzt, die EU setzt ihre Regulierung investorenfreundlich um, meinen andere Marktbeobachter. Andernfalls drohten dagegen unterschiedliche Regulierungsstandards weltweit, die das internationale Bankgeschäft verteuern würden.

Bisher erschienen:

Revolution am Reißbrett (4. Januar)

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