Christian Storck und Florian Reul

„Die Kryptoindustrie erlebt ihren Mifid-II-Moment“

Mit der neuen europäischen MiCA-Regulierung entsteht erstmals ein Lizenzregime für sogenannte Crypto Asset Service Providers (CASPs). Das schafft Rechtssicherheit und sollte Gründer anziehen. Die Zeit der Regulierungsarbitrage sei damit vorbei, sagen die Experten der Anwaltskanzlei Linklaters.

„Die Kryptoindustrie erlebt ihren Mifid-II-Moment“

Von Björn Godenrath, Frankfurt

Anfang Juli war es so weit: Die EU-Institutionen konnten ihren Trilog des Gesetzespaketes zur Regulierung des Kryptomarktes beenden. Um einige Punkte der MiCA-Regulierung (Markets in Crypto Assets) wie das zunächst geplante Verbot von Proof-of-Work-Verfahren wurde insbesondere im EU-Parlament heftig gerungen. Aber für alles wurde rechtzeitig ein Kompromiss gefunden oder Dinge wurden an andere EU-Institutionen weitergeleitet.

Auch wenn um Details der Vorgaben gestritten wird, so sind die meisten Experten doch davon überzeugt, dass Europa im internationalen Maßstab ein großer Wurf gelungen ist. „Was mit MiCA erreicht wurde, ist, dass analog zur Mifid II für klassische Wertpapiere nun neue Assetklassen definiert wurden und Marktmissbrauch sowie Verbraucherschutz in diesen Assetklassen künftig klar reguliert werden. Das erfolgt über eine Regulierung der Dienstleister, vor allem von Emittenten bzw. denjenigen Akteuren, die den Handel mit Kryptowerten anbieten. Im Prinzip erlebt die Krypto-Industrie damit ihren Mifid-II-Moment“, so Christian Storck, bei Linklaters Head of Finance Germany und Global Co-Head of Innovation, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Die Eingriffsrechte der Aufsicht seien dabei umfangreich – und gleichzeitig werde ein einheitlicher Rahmen gesetzt, der Innovation und skalierbare Geschäftsmodelle ermöglichen soll, sagt der Head of Fintech Germany Florian Reul.

„Das kann auch dazu beitragen, dass solche Gründer sich in Europa ansiedeln. Meine Hoffnung ist, dass MiCA Rechtssicherheit und Harmonisierung für die Kryptobranche bringt. Nationale Insellösungen in der Hoffnung auf Regulierungsarbitrage haben keine Zukunft mehr – be­währt hat sich das sowieso nicht.“ In Deutschland hatte die BaFin mit ihrer Definition Kryptowährungen als Rechnungseinheiten (und damit Finanzinstrumente) schon für größere Rechtssicherheit gesorgt und den Bereich damit reguliert. Und mit MiCA werde nun ein Level Playing Field in Europa geschaffen, in das sich das in Deutschland bereits gültige Regelwerk, bei dem die Verwahrer von Kryptowerten und die Führer von Krypto-Wertpapierregistern be­reits umfassend lizensiert und überwacht werden, hoffentlich gut einpassen lassen wird, so die beiden Experten.

Viel Aufmerksamkeit erfährt im MiCA-Entwurf die Geldwäscheprävention. Das zeigt sich auch in der Umsetzung der sogenannten Travel Rule. Erfasst werden alle Transaktionen, die über sogenannte CASPs (Crypto Asset Service Provider) laufen. Damit hatten einige Krypto-Plattformen im Vorfeld schon wegen der hohen Anforderungen an die Geldwäscheprävention gehadert. Aber in dem Punkt scheint sich eine pragmatische Herangehensweise durchzusetzen. Ausgenommen bei der Umsetzung der Travel Rule sind nur private Wallet-zu-Wallet-Transfers bis 1000 Euro. Die mit den Feinheiten der Travel-Rule-Umsetzung verbundenen Streitigkeiten treten für Reul hinter der Tatsache zurück, dass Europa mit MiCA von „null auf eins“ gegangen sei. Wichtiger sei zunächst, dass die EU hier global eine Vorreiterrolle einnehme und als Standardsetzer agiere – und zukünftig einen harmonisierten Rechtsraum biete, der mit dem Passporting grenzüberschreitende Aktivitäten er­laube. Reul und Storck berichten von Anfragen unter anderem aus Singapur und Großbritannien, wo Regulatoren sich stark für die Funktionsweise von MiCA und das DLT-Pilotregime für die Wertpapierbranche interessieren.

Bei der Stablecoin-Regulierung meint man, die Handschrift der EZB erkennen zu können. Asset-Referenced Token (ART) sind mit Caps versehen, die mit einer Begrenzung des täglichen Handelsvolumens auf 200 Mill. Euro auch ihre Verwendung be­grenzen. Zwar könnten sich diese Grenzen zukünftig ändern, sie zeigt aber doch eine gewisse Skepsis. Auch will die EZB sich hier wohl Beinfreiheit für ihre CBDC (Central Bank Digital Currencies) verschaffen, vermuten die beiden Experten. Signifikante Stablecoin-Emittenten werden von der EBA überwacht, sie brauchen eine EU-Niederlassung und müssen Depositenschutz haben. CASPs werden zunächst immer vom nationalen Aufseher überwacht, ab 15 Millionen Kunden übernimmt die ESMA eine koordinierende Rolle. EBA und ESMA haben die Aufgabe, die RTS (regulatorische technische Standards) auszuarbeiten.

Ausgeklammert in der MiCA wurde die explizite Regulierung von DeFi (Decentralised Finance), wofür die EU-Kommission kommendes Jahr ein Regelwerk ausarbeiten soll. Es gebe hier auch verwandte Regelaspekte und Berührungspunkte, aber MiCA knüpfe primär an Produkte und Dienstleister bzw. Dienstleistungen und nicht Infrastruktur wie DeFi-Protokolle an, sagt Reul. Außerdem sei MiCA auf Level-1-Ebene ein beinahe mit der Mifid vergleichbar um­fangreiches Werk, das man nicht überfrachten sollte, erinnert sich Storck mit Schaudern an die Mifid-Materialschlacht mit vielen tausend Seiten Papier. Bis zur vollständigen Anwendbarkeit 18 Monate nach Verabschiedung der MiCA müssen die RTS noch definiert werden.

Ebenfalls unvollendet ist der genaue Umgang mit Proof-of-Work-Verfahren, wie sie für Bitcoin verwendet werden. Die CASPs sind jedenfalls verpflichtet, über die Emissionswerte des Mining zu in­formieren, und dürfen gewisse Schwellenwerte nicht überschreiten, die von der ESMA definiert werden sollen.

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