Versicherer

Die Zurich feiert ihren 150. Geburtstag

Die Schweizer Versicherung Zurich feiert in diesen Tagen ihren 150. Geburtstag. Beinahe wäre sie nie so alt geworden: Als die Dotcom-Blase platzte, war sie dem Ende nah.

Die Zurich feiert ihren 150. Geburtstag

Von Daniel Zulauf, Zürich

„Es heißt, man sei nur so alt, wie man sich fühle, und die Zurich fühlt sich immer noch wie ein Start-up an“, liest man im Vorwort der Jubiläumsschrift, die der Versicherungskonzern fast auf den Tag genau zu seinem 150. Geburtstag veröffentlicht hat.

Aber mit Verlaub: Michel Liès und Mario Greco, die an der Spitze des Verwaltungsrates beziehungsweise der Konzernleitung des Unternehmens stehen und das Vorwort unterzeichnet haben, eignen sich nicht wirklich als Galionsfiguren für ein aufstrebendes Jungunternehmen – allein schon aufgrund ihres Alters: Liès ist 68, Greco 63. Und die beiden Manager werden, wie üblich in großen Schweizer Publikumsgesellschaften, mit Millionengehältern entlohnt, ohne dass sie das unternehmerische Risiko selbst tragen müssten.

Das war alles schon sehr anders, als die Zurich noch ein richtiges Start-up war. Von den zehn Männern, die sich am 22. Oktober 1872 in einem Sitzungszimmer an der Bahnhofstraße trafen, um die Zurich respektive ihren direkten Vorgänger, den Versicherungs-Verein, aus der Taufe zu heben, waren vier noch keine 40 Jahre alt.

Carl Abegg-Arter, der prominenteste unter jenen Gründergeistern, wie Zurich-Historiker Christofer Stadlin meint, war gerade mal 32 Jahre alt, als er 1868 in den Verwaltungsrat der Schweizerischen Kreditanstalt (SKA, heute Credit Suisse) berufen worden war, wo er 1882 den legendären Alfred Escher als Präsident beerben und bis zu seinem Tod im Jahr 1912 bleiben sollte. Ein Viertel des Startkapitals der Zurich stammte denn auch von der SKA. Aber drei Viertel steuerten die Gründer aus ihren eigenen Vermögen bei. Gewiss, sie waren allesamt wohlhabende Söhne bekannter Fabrikanten- und Handelsdynastien, die auch ein direktes Interesse an der Gründung einer Transportversicherung hatten.

Doch sie hatten auch unternehmerische Visionen, die sie nicht zuletzt im sehr jungen Alter, während ihrer teilweise mehrjährigen Amerika-Aufenthalte entwickelt hatten. So ehrte sogar die sozialistische Zürcher Tageszeitung „Volksrecht“ Carl Abegg-Arter nach dessen Tod als Beispiel für die „erste Generation von Kapitalisten, die noch schöpferische Ideen besaßen. Kein historisch denkender Sozialist kann ihm die Achtung versagen.“

Es ist verständlich, dass sich die aktuelle Zurich-Führung gerne etwas mit dem Glanz ihrer Vorväter schmückt. Und vielleicht gibt es dafür auch valide Gründe. So sagt zum Beispiel der Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann: „Wie jeder lebendige Organismus tragen auch Unternehmen ein Erbgut in sich. Anhand dieser DNA lassen sich rückblickend viele Wendungen als Zwangsläufigkeiten erkennen.“

Und Straumanns Aussage ist auch überaus verlockend, um zu erklären, weshalb die Zurich vor 20 Jahren eine Art Nahtoderfahrung machen musste. Im Dezember 1997 hatte der Konzern und allen voran sein damals übermächtiger Chef Rolf Hüppi, Verwaltungsratspräsident und CEO in Personalunion, die Fusion mit British American Tobacco Financial Services beschlossen, die nicht nur das Prämienvolumen um 50 % hochschnellen ließ, sondern der ohnehin schon stark internationalisierten Gruppe große Terraingewinne in Großbritannien und den USA ermöglichte.

Gewaltige Risiken

Die Transaktion war aber vielmehr auch ein Katalysator in Hüppis Strategie, die Zurich im Bankgeschäft oder konkret im Geschäft mit der Vermögensanlage und mit der Absicherung finanzieller Risiken zu positionieren. Die gewaltigen Risiken, welche jene transformative Fusion und die damit einhergegangene Strategieänderung mit sich brachten, sollten nur knapp drei Jahre später offensichtlich werden.

Als an der Börse die sogenannte Dotcom-Blase platzte, sah sich die Zurich unvermittelt mit einem viel zu großen Aktienanteil in den eigenen Kapitalanlagen konfrontiert, dessen Wertverlust die Eigenmittel schmelzen ließ wie die Butter in der Sonne. Darüber hinaus musste der Konzern ganz plötzlich finanzielle Risiken decken, für die es weder in ihrem Wesen noch in ihrer Höhe je einen Platz in einer soliden Versicherungsbilanz hätte geben dürfen.

Im Oktober 2002 wurde eine große Kapitalerhöhung unter misslichsten Umständen unvermeidbar. Die ohnehin schon schwer gebeutelten Aktionäre mussten eine beispiellose Verwässerung ihrer Anteile hinnehmen, um den Fortbestand des Unternehmens zu sichern. Für Rolf Hüppi war wenige Monate davor eine 40-jährige Traumkarriere bei der Zurich zu Ende gegangen.

Christofer Stadlin sieht die damaligen Ereignisse aber nicht als historische Zwangsläufigkeit. „Die Dinge hätten sich genauso gut anders, weniger dramatisch, entwickeln können“, glaubt der Historiker. Zufälligkeiten seien ein fester Bestandteil der Geschichte, aber die Geschichte werde zu einem mächtigen Instrument, wenn es darum gehe, eine in der Vergangenheit angelegte Entwicklung offensichtlich zu machen und die nötigen Lehren daraus zu ziehen, sagt er in Anlehnung an den französischen Soziologen Pierre Bourdieu. Dieser hatte die Zementierung gesellschaftlicher Strukturen er­forscht und die scheinbar zwangs­läufige Wiederholung individueller Lebensläufe hinterfragt.

Das Bedürfnis, aus der Geschichte die richtigen Schlüsse zu ziehen, haben offensichtlich auch Liès und Greco. Im Wissen um die prekären Momente, die das Unternehmen auf dem langen Weg seit den Gründerjahren zu überstehen hatte, schreiben sie im Vorwort zur vorliegenden Jubiläumsschrift: „Aber auf eine wichtige Weise unterscheiden wir uns von einem Start-up: Die Zurich ist zunächst und vor allem ein Leuchtfeuer der Stabilität.“ 20 Jahre seit der letzten Krise befindet sich die Zurich wieder auf einem Höhepunkt.

Besser als UBS bewertet

In der Tat schwimmt der Konzern aktuell auf einer großen Erfolgswelle. Im weltweiten Unternehmensversicherungsgeschäft sind die Schweizer hervorragend positioniert, und sie profitierten in den vergangenen Jahren von starken Prämiensteigerungen in diesem Geschäftszweig. Mit einer Marktkapitalisierung von rund 60 Mrd. sfr bewerten die Investoren die Zurich mit fast 10 Mrd. sfr mehr als die UBS, was bis zur Finanzkrise undenkbar gewesen wäre. Die Credit Suisse, die 1872 zu den Geburtshelfern der Zurich gehörte, macht derzeit eine tiefgreifende Krise durch. Inzwischen sind aber dunkle Wolken über dem globalen Konjunkturhimmel aufgezogen. Auch für die Zurich könnte eine neuerliche Krise deshalb schon hinter der nächsten Ecke lauern. Noch herrscht in dem Unternehmen aber große Zuversicht für die nächsten 150 Jahre, wie Liès und Greco in der neuen Firmengeschichte schreiben.

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