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Digitale Zwillinge

Börsen-Zeitung, 22.1.2021 Ein Rekord an Rückmeldungen - das ist die beeindruckende Bilanz der Konsultationen der Europäischen Zentralbank (EZB) zum digitalen Euro. Die große Resonanz zeigt, dass das Thema die Gemüter bewegt. Und das zu Recht, denn...

Digitale Zwillinge

Ein Rekord an Rückmeldungen – das ist die beeindruckende Bilanz der Konsultationen der Europäischen Zentralbank (EZB) zum digitalen Euro. Die große Resonanz zeigt, dass das Thema die Gemüter bewegt. Und das zu Recht, denn der digitale Euro und dessen Ausgestaltung bergen Chancen ebenso wie Risiken.Bei der rasant fortschreitenden Digitalisierung von wirtschaftlichen Prozessen nimmt digitales Geld eine Schlüsselfunktion ein. Dabei geht es im ersten Schritt um die Verbindung moderner Technologien mit einem weiter entwickelten Zahlungsverkehr. Doch dies kann nur ein Anfang sein. Denn vom Markt nachgefragt werden weitergehende Lösungen wie insbesondere Smart Contracts. Will die Europäische Union den Anschluss und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit in der Wirtschaft der Zukunft nicht verlieren, so führt kein Weg an einem digitalen Euro vorbei. Deshalb begrüßen wir als Bundesverband Öffentlicher Banken grundsätzlich die Initiative der EZB, sehen jedoch im Einzelnen auch Anpassungsbedarf.Geldpolitisch wird traditionell zwischen Zentralbankgeld und Giralgeld unterschieden, mit Bargeld als einer Sonderform von Zentralbankgeld. Zentralbankgeld umfasst insbesondere Guthaben der Banken bei den im Eurosystem zusammengeschlossenen Zentralbanken. Die Banken “schöpfen” ihrerseits Giralgeld und stellen es Unternehmen und Privatpersonen zur Verfügung. An Letzterem ist das Eurosystem nicht beteiligt. Der aktuelle Vorschlag der Europäischen Zentralbank sieht nun neben einer Ergänzung des traditionellen kontobasierten Zentralbankgeldes um einen “digitalen Euro” auch die Einführung eines direkten Zugangs von Verbrauchern und Unternehmen zum digitalen Euro der Zentralbanken vor. Hiermit würde die bewährte Trennung zweier Sphären im Kern aufgehoben. “Retail-Euro” birgt RisikenEin solcher digitaler “Retail-Euro” kann die Stabilität der Finanzwirtschaft und damit der Volkswirtschaft in ihrer Gesamtheit gefährden. So ist bei einer Krise die Flucht aus dem als unsicher empfundenen Giralgeld der Banken in den “zentralbankgesicherten” digitalen Euro vorhersehbar. Die hiermit verbundenen Abflüsse auf den von Banken geführten Konten können zu einer verminderten Liquidität der Banken führen. Dies reduzierte die Möglichkeiten der Kreditvergabe, was eine solche Krise zusätzlich verschärfen kann. Das sieht auch die Europäische Zentralbank und reagierte in ihrem Vorschlag mit einem zweistufigen Zinsmodell. Nur wenige 1 000 Euro sollen zinsfrei hinterlegt werden, darüber hinaus soll ein abschreckender “Verwahrzins” fällig werden. Aber dieses Modell wird in einem tatsächlichen Krisenfall die Abflüsse nicht verhindern können.Die Einführung eines Höchstbetrages wäre dem vorzuziehen, ist aber ebenfalls am Ende keine überzeugende Lösung. Denn die Diskussion um den digitalen Euro muss nicht nur der globalen geldpolitischen Bedeutung des Euro als Währung Rechnung tragen. Gleichzeitig benötigt die digitale Wirtschaft und die mit ihr verbundenen neuen Geschäftsmodelle digitales Geld ohne Betragsbegrenzung. Daher ist eine begrenzte Öffnung des Zugangs zu Zentralbankgeld für die Wirtschaft allenfalls von sehr überschaubarem Nutzen.Besser als die von der EZB vorgeschlagene “Retail”-Variante wäre eine Fortführung der traditionellen klaren Trennung von Zentralbankgeld in Form eines digitalen Euro und – darauf aufbauend – digitalem Giralgeld der Banken. Ein sogenannter digitaler “Wholesale-Euro” stünde dann – wie heute das Zentralbankgeld (mit Ausnahme von Bargeld) – ausschließlich Banken und Zentralbanken zur Verfügung.Die Banken würden ihrerseits ein digitales Giralgeld emittieren und an Verbraucher und Unternehmen ausgegeben. Ein digitales Giralgeld würde anteilig in digitalem “Wholesale”-Euro hinterlegt und somit mit dem Zentralbankgeld gekoppelt. Auf diese Weise kann zum Beispiel dem Risiko einer Kapitalflucht in Krisenzeiten begegnet werden.Neben dieser grundsätzlichen Entscheidung für eine Fortführung der bisher parallelen Sphären in der digitalen Welt, der Koexistenz von “Wholesale”-Euro und digitalem Giralgeld, gibt es noch weitere wesentliche Rahmenbedingungen, die für den wirtschaftlichen und politischen Erfolg eines digitalen Euro wichtig sind.Zum einen ist es unerlässlich, dass ein digitaler Euro universell einsetzbar ist und nicht auf bestimmte Zwecke, Räume, Dienste oder Nutzer beschränkt wird. Tatsächlich wird diskutiert, ob sich die Verwendung eines digitalen Euro an die Erfüllung bestimmter Bedingungen, zum Beispiel einer nachhaltigen Verwendung, knüpfen lässt. Dies ist bei näherem Nachdenken fatal. Denn nicht jeder wäre bereit, solche Euros als Bezahlung zu akzeptieren. Die Folgen einer beschränkten Akzeptanz und Differenzierung wären eine Minderung der Werthaltigkeit und enorme Effizienzverluste.Besonders wichtig ist zudem, dass auf eine direkte Verzinsung des digitalen Euros durch die EZB verzichtet wird, so wie heute das Bargeld auch nicht verzinst wird. Denn sonst käme es unweigerlich auch zu Wertunterschieden zwischen einem digitalen Euro einerseits und Bargeld andererseits. Diese könnten in letzter Konsequenz zu einer Aufspaltung der Währung führen und deren Einheitlichkeit unterlaufen.Die Digitalisierung schreitet mit großen Schritten voran. Um international wettbewerbsfähig und souverän in Währungsfragen zu bleiben, muss Europa jetzt handeln. Ein “Wholesale”-Euro als Basis für digitales Giralgeld wäre der richtige Weg. Für dieses digitale Giralgeld muss die Kreditwirtschaft mit Unterstützung der Europäischen Zentralbank einen Marktstandard definieren, der auf dem des digitalen Euro basieren sollte. Der VÖB wird sich in diesen Prozess mit vollem Engagement einbringen. Georg Baur ist Mitglied der Geschäftsleitung des Bundesverbands Öffentlicher Banken Deutschlands (VÖB). In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——Von Georg BaurUm wettbewerbsfähig zu bleiben, muss Europa jetzt handeln. Ein “Wholesale”-Euro als Basis für digitales Giralgeld wäre der richtige Weg.——