ESG in der IR-Arbeit - Gekommen, um zu bleiben

Nur wer die Thematik als integralen Teil seiner Kapitalmarktstory versteht, wird im langfristigen Wettbewerb um Kapital bestehen können

ESG in der IR-Arbeit - Gekommen, um zu bleiben

Die breite gesellschaftliche Debatte zum Umgang mit umweltverträglichem Wirtschaften (Environment), der Sicherstellung sozialer Mindeststandards (Social) und nicht zuletzt zeitgemäßer Unternehmensführung (Governance) wirkt sich auch auf die Arbeit der Investor-Relations(IR)-Funktionen aus.Es ist richtig, bis vor weniger als zwei Jahren spielte die ESG-Thematik im Berufsbild des traditionellen Investor-Relations-Managers häufig allenfalls eine Nebenrolle. Natürlich gibt es seit geraumer Zeit in jedem gut gemanagten Unternehmen Verantwortliche für Umweltschutzbelange. Insbesondere Unternehmen mit einem hohen Risikopotenzial in Sachen Umwelt (klassischerweise in der Chemiebranche oder dem Energiebereich) haben seit langem hohe operative Standards, und IR berichtet entsprechend intensiv. Ansonsten gehörte der Nachhaltigkeitsbericht nicht zum Standard-Handgepäck des Investor-Relations-Managers. Eine jüngere EntwicklungDass die einschlägigen Inhalte der ESG-Arbeit jedoch Eingang in die regelmäßige Kommunikation mit institutionellen Investoren finden, ist eine jüngere Entwicklung. Erweiterte Berichtspflichten sorgen für zusätzliche Aufmerksamkeit, und entsprechend werden auf der Buyside Ressourcen und Expertise weiter aufgestockt. Sogenannte Stewardship-Teams werden – wieder einmal – aus dem angelsächsischen Raum heraus zum Standard. Zwar stehen dabei Governance-Aspekte im Vordergrund, doch sind Tendenzen absehbar, dass sich der Themenkreis ausweitet.Zunehmend spezifisches Interesse am Themenkreis ESG trifft dabei idealerweise auf eine professionelle und zielgruppengerechte Aufbereitung der entsprechenden Fakten. Die Grundregeln sind dann auch dieselben wie in der bisherigen IR-Praxis: Die Informationen zu den ESG-Themen sollten nach den nun folgenden Kriterien ausgewählt und aufbereitet werden.1. Entscheidungsrelevanz – Nicht “Viel hilft viel”, sondern eine klar strukturierte Darstellung der zu erwartenden nachgefragten Sachverhalte sind auch hier der Schlüssel zu einem erfolgreichen Informationstransfer.2. Übersichtlichkeit – Ein häufig anzutreffender Nachteil vieler separater Umwelt- oder Nachhaltigkeitsberichte ist die erhebliche Redundanz zu den Angaben, die bereits im regulären Geschäftsbericht und vor allem im Lagebericht zu finden sind. Eine fokussierte Darstellung der Sachverhalte erhöht hier das Verständnis.3. Zeitnähe – Noch ist eine unterjährige Bereitstellung extrafinanzieller Themen nicht die Regel. Für die Aktualisierung der jährlichen Angaben ist aber die zeitgleiche Bereitstellung mit der finanziellen Berichterstattung Standard.Die Aufbereitung durch Investor Relations weicht damit nicht von der Herangehensweise bei klassischen operativen und finanziellen Inhalten ab. Auch hier ist die Investor-Relations-Funktion der natürliche Kristallisationspunkt, an dem interne Information gesichtet, gefiltert und aufbereitet wird. Die lange Zeit herrschende Sichtweise der Finanzmärkte, kurzfristige ökonomische Erfolge zu erwirtschaften, wurde bereits durch die größere Fokussierung auf die langfristige und stabile Entwicklung von Kennzahlen aufgebrochen. Wer es heute aber ernst mit der Verzahnung von finanziellen und extrafinanziellen Kennzahlen in der Unternehmensstrategie meint, der sollte das ESG-Reporting dort ansiedeln, wo diese Kennzahlen zusammengeführt und überprüft werden: klassischerweise im Controlling.Unternehmen sind daher gut beraten, ESG-Themen in ihre Unternehmensführung zu integrieren sowie entsprechende Kennzahlen zu erheben und aufzubereiten, wenn sie langfristig Bestand haben wollen. In vielen Organisationsstrukturen sind die Verantwortlichkeiten für die einzelnen Themenbereiche an verschiedenen Stellen zu finden. Zwar gibt es häufig eine verantwortliche Stelle für die E-Themen, während die Fragen der sozialen Standards gewöhnlich aus der Human-Resources-Funktion heraus gesteuert werden. Die Governance-Praxis wird naturgemäß aus den Gremien gesteuert und von der Rechtsfunktion beziehungsweise Investor Relations begleitet.Wo die Verantwortung für das Themenbündel Environment, Social, Governance im Unternehmen liegt, ist in diesem Zusammenhang eher zweitrangig. Vielmehr müssen Unternehmen neue Wege finden, alle internen ESG-Stakeholder effektiv zu vernetzen. Nur wenn die Stakeholder aus verschiedenen Disziplinen und über das gesamte Unternehmen hinweg in den internen ESG-Dialog eingebunden werden, kann es ein unternehmensweites, einheitliches Verständnis über die Chancen und Risiken die aus ESG-Themen resultieren, geben und darüber, wie diese in unternehmensspezifischen Metriken gemessen, überwacht und aktiv adressiert werden können, um langfristig Werte zu schaffen.Dabei ist es essenziell, dass Investor Relations eine aktive und zentrale Rolle im ESG-Unternehmensgefüge einnimmt. Nur so kann sichergestellt werden, dass der Finanzmarkt alle notwendigen Informationen erhält und im Umkehrschluss auch Stimmungen zu ESG-Themen aus dem Markt effizient nach innen kommuniziert werden können.Viele Investor-Relations-Abteilungen haben deshalb ihre Reihen mit dezidierten ESG-Spezialisten er-gänzt oder sind dabei, diese aufzubauen. Perspektivisch wird dieser Bereich von allen IR-Mitarbeitern zu beherrschen sein. Denn der Kapitalmarkt braucht dringend Informationslieferanten und kann immer nur diejenigen Informationen verarbeiten, auf die er Zugriff hat. Leisten können das nur die jeweiligen Investor-Relations-Funktionen.Dabei muss man sich der Tatsache bewusst sein, dass ESG-Kommunikation genau wie die traditionelle Investorenkommunikation keine Einbahnstraße ist. Investoren mit klarem Fokus auf ESG haben klare Vorstellungen und Ziele und scheuen sich nicht davor, diese einzufordern und den Finger in die Wunde zu legen. Wer also seine ESG-Aktivitäten so aufzieht, dass sie bestenfalls als Feigenblatt dienen, der sei gewarnt. Allzu durchsichtig ist die reine Erweiterung der allgemeinen Investorenpräsentation um symbolhafte Bildchen und Quotenziele. Wo finden sich ESG-Themen in Verhaltenskodexen und internen Richtlinien wieder? Wie beeinflussen Environment-, Social- und Governance-Themen steuerungswirksame Kennzahlen? Und welchen Einfluss haben nicht zuletzt diese Themen auf die Managementvergütung?In Zukunft wird sich das Selbstverständnis von Investor Relations also wandeln müssen, denn Investor Relations ohne Kernkompetenzen und belastbare Struktur zu extrafinanziellen Kennzahlen ist schon heute nicht mehr marktgerecht. Auch wer ESG nur als nächsten kurzfristigen Trend abtut, wird es zukünftig schwer haben, im Wettbewerb um Kapital an den globalen Finanzmärkten zu bestehen, denn ESG ist gekommen, um zu bleiben. Angetrieben wird dieser Trend in Zukunft durch noch stärker steigendes gesellschaftliches Bewusstsein für nachhaltige Werte.Die Nachwirkungen der Finanzkrise 2008 sind heute immer noch zu spüren, und die Finanzwirtschaft hat eine hohe Motivation, das Vertrauen in die Branche und ihre Produkte zurückzugewinnen. Bei dieser schwierigen Aufgabe erweisen sich nachvollziehbare ESG-Strategien als wertvoll, sofern es gelingt diese als vertrauenswürdig am Markt zu etablieren. Letztendlich wird der Druck der Kunden über die Nachfrage nach nachhaltigen, sprich ESG-Standards entsprechenden, (Finanz-)Produkten gerade die Landschaft der Finanzwirtschaft signifikant und langfristig verändern. Erfolgreiche Investor-Relations-Funktionen tragen dem Rechnung. Martin Ziegenbalg, Executive Vice President Investor Relations der Deutsche Post DHL Group