AUS DER BANKEN- UND FINANZGESCHICHTE

Finanzunternehmen zwischen Recht und Staat

Die Aufarbeitung der Finanzkrise zeigt einen Wandel der Sanktionsmittel, von dem vor allem die USA profitieren

Finanzunternehmen zwischen Recht und Staat

Von Cornelia Woll Kann die Politik die größten Unternehmen der Finanzwirtschaft überhaupt noch kontrollieren? Im Zuge der Aufarbeitung der jüngsten Finanzkrise beklagen Kritiker, Finanzinstitute entkämen dank ihrer strukturellen Bedeutung dem langen Arm der Politik und letztlich auch der Rechtsprechung. Verwundere es nicht, dass bis heute die Führungskräfte der Finanzwirtschaft kaum durch strafrechtliche Verfahren für Missbrauch zu Verantwortung gezogen worden seien?Tatsächlich kann man trotz aller Reformbemühungen der vergangenen Jahre nur eingeschränkt von einer staatlichen Kontrolle des Finanzsektors sprechen. Und was die Rechtsprechung betrifft, nahm die Aufarbeitung der Krise insbesondere die Form von Vergleichen an. Tatsächlich häuften sich im vergangenen Jahrzehnt die Fälle, in denen multinationale Unternehmen allgemeine Vergehen durch Geldbußen ausgleichen. Dabei handelt es sich um ein internationales Phänomen, das sich auch durch US-Rechtsprechung immer stärker verbreitet. Allerdings stellt die jüngste Entwicklung auch die Wertestrukturen unserer Wirtschaftsordnungen in Frage und bedarf letztlich einer europäischen Lösung. Schwindende KontrolleDie Frage, ob der Staat die Finanzwirtschaft noch kontrolliert oder überhaupt kontrollieren kann, mag sowohl Skeptiker als auch Optimisten befremden. Hat nicht die Finanzkrise die Ohnmacht der Politik, der Aufsichtsbehörden und der internationalen Wirtschaftsorganisationen offengelegt?, fragen die Skeptiker. Ganze Länder wie Island und Irland wurden von einer Bankenkrise in den Staatsbankrott getrieben. Selbst die größten Wirtschaftsnationen mussten in atemberaubenden Rettungsaktionen Milliarden aufwenden, um schwankende Finanzinstitute zu stützen, die Panik zu stoppen und den eingefrorenen Interbankenmarkt zu verflüssigen und so eine stärkere Ausweitung der Krise auf die Realwirtschaft zu vermeiden.Ganz im Gegenteil!, erwidern die Optimisten. Gerade die massiven Eingriffe zeigten doch, dass Staaten sowohl konventionelle als auch unkonventionelle Mittel besitzen, um ihre Wirtschaften zu stabilisieren. In den meisten Ländern konnte so ein Zusammenbruch der Wirtschaft vermieden werden. Vor allem hätten Politik und Regulierer gelernt, durch welche Fehler es überhaupt erst zur Krise kommen konnte und können diese nun gezielt korrigieren. Von Unternehmensseite ist zuweilen zu hören, dass die Regulierungsauflagen nun extrem hoch seien, dass man nur eingeschränkt von freien Märkten reden könne und dass der Staat und die Aufsichtsbehörden allgegenwärtig seien und weit ins wirtschaftliche Handeln eingriffen.Beide Positionen spiegeln wider, wie groß die gegenseitige Abhängigkeit von Staat und Finanzwirtschaft ist. Dieser Zustand bildete sich insbesondere nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Regimes 1971 heraus. Die daraus folgende Öffnung der Kapitalmärkte, niedrige Zinsen und zunehmende Liberalisierung führten zu einem rasanten Wachstum der weltweiten Finanzmärkte. Im gleichen Maße wuchs die private und öffentliche Verschuldung und ermöglichte Investitionen auch nach der Wirtschaftswunderzeit. Im Zuge dessen wurden Staaten und Haushalte deutlich stärker von den Schwankungen der Finanzmärkte abhängig. Niedrige Zinsen ermöglichen zwar “leichtes Geld”, Zinsschwankungen oder Wechselkursanpassungen können jedoch in der Folge das Gleichgewicht gesamter Nationen aus den Fugen bringen.Der Finanzsektor ist somit nicht nur wegen seines intrinsischen Wachstums bzw. den direkt und indirekt assoziierten Arbeitsplätzen von Bedeutung. Vielmehr spielt er eine zentrale Rolle für die Finanzierung der Realwirtschaft und der Staatsfinanzen. Daraus ergibt sich eine Vernetzung der Unternehmen untereinander und zugleich mit staatlichen Einrichtungen, die als “systemisches Risiko” bezeichnet wird. Finanzinstitute sind private Wirtschaftsakteure, aber sie produzieren ein öffentliches Gut: Kredit (und somit Geld). Dies wirft weitreichende Steuerungsfragen auf, insbesondere wenn Probleme auftauchen.Tatsächlich wurde das staatlich-private Zwitterdasein der Finanzinstitute durch die Finanzkrise auch für die Allgemeinheit erkennbar. So war und ist der größte Skandal das Aushebeln der Marktlogik, die den Handlungen aller Wirtschaftsakteure zugrunde liegen muss. Danach wird Erfolg durch Gewinn belohnt, Fehler durch Verlust bestraft, im schlimmsten Falle durch Bankrott. Ist dies nicht gegeben, spricht man in den Wirtschaftswissenschaften vom Anreiz zu fahrlässigem Verhalten, auf Englisch “Moral Hazard”.Tatsächlich blieben die in der Theorie gedachten Sanktionsmechanismen in der Finanzkrise aus. Der teilweise extrem hohe Gewinn, den die Finanzindustrie durch ihr riskantes Verhalten über Jahre erwirtschaften konnte, ging in private Taschen. Der Verlust, die Kosten, die entstanden, um den Zusammenbruch zu verhindern, wurden jedoch vom Staat und somit von den Steuerzahlern getragen. Ein US-amerikanischer Journalist bemerkte, dass Finanzkapitalismus ohne Bankrott kein Kapitalismus sei, sondern eine Art Sozialismus für Reiche.Dass sich solch desaströsen Verteilungskonsequenzen nie wiederholen können, wurde zur Grundaufgabe aller Reformmaßnahmen, die national, auf europäischer Ebene und international in den zurückliegenden zehn Jahren unternommen worden sind. Auch wenn ein Konsens besteht, dass die Rettungsmaßnahmen in der Finanzkrise notwendig waren, ist ebenso klar, dass sie große Verteilungsungerechtigkeiten zur Folge hatten.Wenn also nicht der Markt die Fehler der Finanzkrise bestraft, wie ist es mit dem Rechtsweg? Diese Frage stellt sich nicht zuletzt, weil offensichtlich ist, dass nicht nur Fehlentscheidungen, sondern auch ein bewusstes Spiel mit der Legalität zur Krise geführt haben. Können Entscheidungsträger innerhalb der Finanzinstitute dafür juristisch verantwortlich gemacht werden? Diese Frage wurde immer wieder laut, vor allem in den USA, wo die “New York Times” jüngst zum zehnten Jahrestag der Krise anprangerte, dass kein einziges Vorstandsmitglied der Wall Street strafrechtlich belangt wurde.Diese Zurückhaltung überrascht, gab es doch in den USA nach der Savings and Loans Crisis der 1980er-Jahre mehr als 800 strafrechtliche Verurteilungen. Allerdings betraf dies verhältnismäßig kleine Banken und Finanzinstitute, die auch nach der jüngsten Finanzkrise wieder in großem Maße von gerichtlichen Konsequenzen betroffen sind. So gab es in den USA seit 2008 bei den kleinen und mittelgroßen Banken – weit entfernt von der Wall Street – 355 strafrechtliche Verurteilungen, einschließlich Haftstrafen in 263 Fällen, wie der Special Investigator for the Troubled Asset Relief Plan berichtet.Auch in anderen Ländern zog man gerichtliche Konsequenzen. So wurden weltweit fast 50 Vorstandsmitglieder der Finanzindustrie im Zuge der Krise zu Haftstrafen verurteilt: über die Hälfte in Island mit 25 Strafurteilen wegen Marktmanipulation, Fälschung und Unterschlagung, gefolgt von Spanien mit elf Verurteilungen und Irland mit sieben.Wie konnte es jedoch zu dem überraschenden Ungleichgewicht zwischen Großbanken und kleineren Instituten kommen? Für Brandon Garett, US-Jurist und Autor eines Buchs mit dem bezeichnenden Titel “Too Big to Jail”, führt die Antwort auf die Frage, warum in den USA Großunternehmen immer weniger strafrechtlich belangt werden, in die Zeit des Enron-Skandals zurück. 2002 wurde die Prüfungsgesellschaft Arthur Andersen wegen Vernichtung von Enron-Akten strafrechtlich verfolgt. Der wirtschaftliche Schaden war noch vor Beendigung des Verfahrens so tiefgreifend, dass das Unternehmen aufgelöst wurde. Als drei Jahre später der Oberste Gerichtshof in der Berufung das Urteil revidierte, war das beschuldigte Unternehmen wirtschaftlich schon längst Geschichte.Dieser Fall macht deutlich, dass strafrechtliche Verfahren gegen Großunternehmen mit Marktdynamiken kollidieren. Die juristische Grundannahme, dass ein Angeklagter unschuldig ist, bis das Gegenteil bewiesen wurde, kann nicht an Marktteilnehmer vermittelt werden. Investoren und Mitarbeiter reagieren allein schon auf das Signal einer Verfahrenseröffnung. Sie können sich zurückziehen und somit das Unternehmen wirtschaftlich verurteilen, lange bevor die rechtlichen Fragen geklärt sind. Geldbußen in RekordhöheDieses Risiko wird nun immer weniger in Kauf genommen, da in den USA ein anderes Sanktionsmittel zur Verfügung steht: die sogenannten “Deferred Prosecution Settlements”, also Verhandlungen zur Einstellung einer strafrechtlichen Verfolgung. In diesen Verhandlungen erklärt sich ein Unternehmen dazu bereit, ohne Schuldbekenntnis eine Strafe zu zahlen und eine Reihe von Auflagen zu erfüllen, die zur Legitimierung der Unternehmensprozesse beitragen sollen. Im vergangenen Jahrzehnt führten Vergleiche und Geldbußen zu jährlich neuen Rekorden: Im Jahr 2015 erreichten sie allein auf Bundesniveau in den USA insgesamt mehr als 9 Mrd. Dollar.Im Zuge der Finanzkrise boten diese außergerichtlichen Verhandlungen einen Weg, die Verantwortlichen der Wall Street zur Verantwortung zu ziehen. Während im Finanzsektor vor 2009 wenige Verhandlungen stattgefunden hatten, stieg die Anzahl danach rasant an, auch weil sich das US Department of Justice nicht vorwerfen lassen wollte, bei der Finanzkrise untätig zuzusehen. Da sich Garretts Daten nur auf bundesweite Verfahren in den USA beziehen, kommt man zu weitaus beeindruckenderen Beträgen, wenn man alle US-Regulationsbehörden und einzelne Bundesstaaten hinzunimmt, wie es die Forschungsabteilung der “Financial Times” getan hat. Sie ermittelte Bußgelder von mehr als 50 Mrd. Dollar pro Jahr.Einzelne Finanzinstitute mussten mehr als 10 Mrd. Dollar zahlen, wie etwa Bank of America oder J.P. Morgan Chase, teilweise sogar über mehrere Jahre hinweg. Rekorde wurden aber auch durch einmalige Geldbußen in Milliardenhöhe gesetzt, wie etwa bei BNP Paribas, die zu einer Strafe von 9 Mrd. Dollar wegen Hintergehung der Wirtschaftssanktionen der Vereinigten Staaten gegenüber Ländern wie dem Sudan verurteilt wurde.Geldbußen in Milliardenhöhe als Sanktionen für wirtschaftliches Fehlverhalten sind somit zu einem wichtigen Element der internationalen Wirtschaftsordnung geworden. Somit ist Garant der Moral in der Finanzindustrie in vielen Fällen weder der Markt noch das Strafrecht, sondern Verhandlungen mit Staatsanwälten und Aufsichtsbehörden.Diese Verhandlungsmethode hat Vorteile für beide Seiten. Zum einen erleichtert sie die Aufarbeitung der Fälle, da sie dem Unternehmen Anreize bietet, zu kooperieren und interne Informationen freizugeben. Bedenkt man die Komplexität multinationaler Unternehmen, ist die Bedeutung solcher Kooperation nicht zu unterschätzen. Zum anderen gewährleistet diese Zusammenarbeit, dass Fälle überhaupt behandelt und abgeschlossen werden können und somit den Geschädigten ein Ausgleich gezahlt werden kann. Den Unternehmen ermöglicht die Kooperation, ihre Lizenz zu behalten und einer strafrechtlichen Verurteilung zu entgehen. Diese würde nämlich die Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen beeinträchtigen, was für die Konzerne von großer Bedeutung ist.Dennoch verschiebt diese Neuerung das Wertesystem der Marktordnung. Die Art der Rechtsfindung orientiert sich an der Größe des Unternehmens, nicht an der Schwere des Vergehens. Das Unternehmen als juristische Person wird zur Verantwortung gezogen, aber mit geringeren Konsequenzen als im Falle eines Schuldspruchs. Die Unternehmensleitung entkommt in vielen Fällen persönlichen Konsequenzen. Auch finanziell werden die Kosten nicht von den Entscheidungsträgern des Unternehmens geschultert, sondern von den Aktionären. Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob Wiederholungstaten durch die neue Verhandlungskultur effektiv eingedämmt werden können.Über diese Verhältnisse mag man mit den Schultern zucken und sie als amerikanische Entwicklung abtun. Da multinationale Unternehmen per Definition in mehreren Ländern tätig sind, unterliegen sie natürlich dem jeweiligen dortigen Rechtsrahmen. Aber aufgrund des Foreign Corrupt Practices Act, der Bestimmungen für die Verfolgung von Taten im Ausland enthält, können in den USA auch Vergehen untersucht werden, die nicht auf amerikanischem Boden stattfanden. Es kommt hinzu, dass US-Behörden in letzter Konsequenz immer die Unternehmenslizenz in den USA entziehen können. Dadurch entsteht eine extraterritoriale Reichweite des amerikanischen Rechts. Aus Marktmacht wird Rechtsprechung. Auf der AnklagebankTatsächlich sitzen in etwa einem Sechstel aller Fälle, die in den USA auf Bundesebene behandelt werden, ausländische Unternehmen auf der Anklagebank. Und dabei fällt insbesondere auf, dass rund 60 % aller Geldbußen aus den Jahren 2000 bis 2017 von ausländischen Unternehmen stammen: Dies waren 25 Mrd. Dollar insgesamt. Deutschland steht dabei mit 4,6 Mrd. Dollar an erster Stelle, gefolgt von der Schweiz, dem Vereinigten Königreich, Japan und Frankreich.Um aufzeigen zu können, ob es sich gezielt um Diskriminierung von ausländischen Firmen handelt, ist diese Datenanalyse zu oberflächlich. Dennoch wird klar, dass aus Rechtsprechung ein Instrument des Wirtschaftskrieges werden kann, wie man unlängst auch im jüngsten Fall der Auseinandersetzung der Vereinigten Staaten mit der chinesischen Technologiefirma Huawei sehen konnte.Spätestens wenn ein “Heimat”-Unternehmen, wie etwa Volkswagen und die Deutsche Bank in Deutschland oder Alstom und BNP Paribas in Frankreich, mehrere Milliarden an den amerikanischen Staat zahlt, wird die Politik eines Landes auf diese Entwicklung aufmerksam. Dabei stellen sich gleich zwei unangenehme Fragen: Erstens, wenn tatsächlich Korruption, Betrug, Untreue oder ähnliche Vergehen vorliegen, wieso sind die nationalen Staatsanwaltschaften oder Aufsichtsbehörden nicht tätig geworden? Zweitens, wenn ein heimisches Unternehmen hohe Bußgelder zahlen muss, wieso dann in den USA und nicht im Heimatland? Argumentiert man, dass regelmäßige Bußzahlungen gegenwärtig zur “cost of doing business” geworden sind, könnte man es sogar für ein funktionales Äquivalent für Steuereinnahmen halten. Die Frage, wieso dieses Geld von Unternehmen nicht in die eigene Staatskasse fließen soll, spiegelt unterschwellig chauvinistische Reaktionen wider, die mit dieser neuen Globalisierungsdynamik einhergehen.Tatsächlich ließ die Antwort der Politik nicht lange auf sich warten. Trotz erheblicher Unterschiede zum US-Rechtssystem importierten mehrere Länder in den vergangenen Jahren die Verhandlungskultur der amerikanischen Justiz. In Kanada, Brasilien, dem Vereinigten Königreich und Frankreich gibt es inzwischen ähnliche Möglichkeiten, Unternehmen strafrechtlich zu verfolgen und einen Vergleich zu erzielen. Das deutsche Recht schließt die strafrechtliche Verfolgung von Unternehmen zwar aus, sieht aber die Möglichkeit vor, die Einstellung des Verfahrens zu verhandeln.Länder wie Frankreich, das seinen Rechtsrahmen 2016 anpasste, betonen die Effizienz der neuen Instrumente. War die Aufarbeitung der Fälle für die Staatsanwaltschaft in vielen Unternehmen früher nahezu unmöglich, können sie seither auf interne Zusammenarbeit dringen. Außerdem ermöglichen die neuen Instrumente Teilhabe an US-Verfahren, wie jüngst 2018 bei einer gemeinsamen Verhandlung der amerikanischen und französischen Staatsanwälte mit der Bank Société Générale. In Frankreich freut man sich, endlich “wettbewerbsfähig” geworden zu sein – auch wenn sich der Wettbewerb in diesem Fall nicht auf die Wirtschaft, sondern auf die Teilhabe an Rechtsverfahren und Bußgeld-Zahlungen bezieht. Kampf um SanktionsmachtEs scheint sich also ein globaler Wettbewerb um die Sanktionsmacht über Großunternehmen zu entwickeln. Zwar geht dieses Phänomen über die Problematik der Finanzindustrie hinaus, doch ist diese ein prominentes Beispiel. Zur Aufarbeitung missbräuchlichen Verhaltens wird zunehmend mit Vergleichen und Geldbußen gearbeitet. Mit dieser ursprünglich US-amerikanischen Praxis geht somit eine globale Harmonisierung der juristischen Instrumente einher.Die Anpassung der nationalen Rechtsrahmen an die amerikanische Verhandlungsjustiz wirft allerdings weitreichende normative Fragen auf. Sich allein auf die amerikanische Rechtsprechung zu verlassen, erscheint in vielerlei Hinsicht unbefriedigend, weicht diese doch stark von den europäischen Ordnungen ab. Dennoch bietet es sich an, mit Blick auf die Globalisierung der Wirtschaft den bestehenden Rechtsrahmen zu überdenken, um sicherzustellen, dass auch in der Zukunft Sanktionen die Werte unserer Gesellschaft widerspiegeln. Dies kann bei multinationalen Wirtschaftsakteuren letztlich nur die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene gewährleisten, wie wir es zum Beispiel aus der Wettbewerbspolitik kennen.Strafrecht in Europa ist allerdings eine hauptsächlich nationale Kompetenz mit Koordinationsbefugnissen der Europäischen Kommission, die auch für ganz besonders schwere Fälle von Kriminalität mit grenzüberschreitenden Aspekten zuständig ist. Der Vertrag von Lissabon sieht jedoch die Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft vor, auf deren Gründung sich der Europäische Rat 2017 einigte. Voraussichtlich werden 20 Mitgliedstaaten Anfang 2021 eine Europäische Staatsanwaltschaft als unabhängige EU-Behörde gründen, die – in Luxemburg angesiedelt – der Bekämpfung von schweren, den finanziellen Interessen der EU schadenden Straftaten mit grenzüberschreitender Dimension dienen soll. Allein das Prozedere seit dem Jahr 2001 zur Gründung dieser Staatsanwaltschaft zeigt, wie sehr eine europäische strafrechtliche Kompetenz derzeit noch in Frage gestellt wird. Außerdem ist es jedem Beobachter Europas klar, dass im Moment kein günstiger Zeitpunkt zur Vertiefung europäischer Zusammenarbeit ist.Dennoch, oder gerade wegen der immer lauter werdenden Kritik an der Europäischen Union, erscheint Europa als einzig relevanter Lösungsansatz. Hört man nicht immer wieder, die EU sei ein technokratisches Gebilde mit demokratischem Defizit, das Wirtschaftsdynamiken über das Interesse der Bevölkerung setzt? Aber zur Korrektur dieses Vorwurfs bedarf es nicht nur der Stärkung der demokratischen Prozesse, sondern auch der Festigung des rechtlichen Rahmens für die stärksten Teilnehmer der Wirtschaft: die Unternehmen.