IRO als Finanz-, Governance- und Kapitalmarktexperte

Komplexere Kapitalmärkte, anspruchsvollere Investoren, veränderte Wahrnehmung und hohes Reformtempo bei Regulierern erhöhen den Druck auf IR

IRO als Finanz-, Governance- und Kapitalmarktexperte

Investor-Relations-Officer (IROs) haben Träume und Alpträume. Zu den Träumen gehört die Gewinnung neuer, langfristig orientierter Investoren. Wenn diese dann noch zu den Global Playern gehören, ist die Welt in Ordnung. Die Alpträume sehen anders aus, sie drehen sich beispielsweise um eine einwandfreie Umsetzung der Datenschutzgrundverordnung.In den vergangenen Jahren gab es zahlreiche gesetzliche und regulatorische Herausforderungen. Wo Anfang 2016 Aktiengesetz und Wertpapierhandelsgesetz zur Basisausstattung auf dem IR-Schreibtisch gehörten, sind nunmehr zahlreiche gesetzliche Bestimmungen zu berücksichtigen. Dazu gehören unter anderem die Marktmissbrauchsverordnung und begleitende Rechtsakte, aber auch die Umsetzung des Gesetzes zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (Arug II), die Neufassung des Corporate Governance Kodex und aktuell die Coronavirus-Pandemie bedingten Neuerungen für die Ausgestaltung von Hauptversammlungen in virtuellem Format. Der Versuch, den Kapitalmarkt europaweit zu vereinheitlichen, hat dazu geführt, dass die rechtliche Situation immer komplexer geworden ist und IROs gut und gerne 90 Gesetze, Verordnungen und Verlautbarungen kennen und beachten müssen. Dies wirkt sich teilweise massiv auf die IR-Arbeit aus.Alles Themen, bei denen IROs über profundes Fachwissen und eine gute Verbindung zu eigenen und externen Rechtsspezialisten verfügen müssen. IROs sind daher gut beraten, sich frühzeitig mit den wichtigsten Rechtsquellen zu befassen. Aber bei dem herrschenden Reformtempo ist es eine kaum zu bewältigende Herausforderung, stets auf dem Laufenden zu bleiben.Bei Themen wie Marktmissbrauchsregelungen oder Stimmrechtsmitteilungen ist der Druck besonders hoch, da die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) bei Sanktionen mittlerweile nicht zimperlich ist und die eine oder andere BaFin-Strafe auch gut und gerne im sechsstelligen Bereich liegt. Hier zeigt sich, wie wichtig die richtige operative Ausgestaltung und Personalausstattung einer IR-Abteilung sein kann.Das Thema Organvergütung steht bereits seit einiger Zeit im verstärkten Fokus der Anleger. Dass hier Bedarf an einem sehr intensiven Dialog mit Stimmrechtsberatern und aktiven Investoren besteht, haben die Ablehnungen von Vergütungskonzepten bei einigen prominenten Emittenten 2019 gezeigt.Die Betreuung der Investoren ist anspruchsvoller und aufwändiger geworden, da häufig nicht das traditionelle Portfoliomanagement-Team zuständig ist, sondern separate, spezialisierte Corporate-Governance-Abteilungen. Häufig ist bei diesem Thema auch der Aufsichtsratsvorsitzende bei bestimmten Fragen zu Vorstand, Vergütung und Corporate Governance eingebunden. Wer hier über einen kapitalmarkterfahrenen Aufsichtsratsvorsitzenden verfügt, kann sich glücklich schätzen. In den anderen Fällen kommt IR teilweise auch eine Coaching-Aufgabe zu.Schwierig sind darüber hinaus die Grenzen der Vergleichbarkeit von Rechtsräumen, Branchen und Unternehmen, die sich beispielsweise in der Diskrepanz zwischen der angelsächsischen und deutschen Corporate Governance zeigen. Gerade Emittenten mit einem sehr international geprägten Aktionariat stehen hier immer wieder vor der Herausforderung, die unterschiedlichen Regelungen erläutern zu müssen. Zusätzlich kommen im Bereich ESG (Environment Social Governance) bei den ökologischen und sozialen Aspekten kontinuierlich steigende Reportinganforderungen hinzu.Für Unternehmen ist ESG nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Zukunftssicherung und der Nachhaltigkeit der Geschäftstätigkeit zu sehen. Es gilt, die Leistungen adäquat darzustellen, so dass sie von Stakeholdern entsprechend wahrgenommen werden. Dazu zählen neben den Investoren mit oft verstärkten ESG-Abteilungen auch spezialisierte ESG-Ratingagenturen. Größere Emittenten verlassen sich hier auf die Zusammenarbeit von Investor Relations und der eigenen Nachhaltigkeitsabteilung. Doch gerade kleinere Emittenten ohne eigenen Nachhaltigkeitsspezialisten und mit einer personell schwach ausgestatteten IR-Abteilung tun sich oft schwer. Die zusätzlichen ESG-Themen führen bei manchen IROs zwangsläufig zu Kapazitätsengpässen und entsprechender Fokussierung auf wenige Themen.Alle diese Themen berühren die strategischen Aufgaben von IR mehr denn je, denn IR hat die werttreibende Aufgabe der Vermittlung der Equity Story des Unternehmens und der entsprechenden Schaffung der gesamthaften Wahrnehmung. Ein klarer, professioneller und verlässlicher Auftritt erleichtert die Beziehungspflege und fördert den Dialog mit dem Kapitalmarkt und vermittelt zwischen den Interessen des Managements und der Finanzmarktakteure. Im Erfolgsfalle werden damit – auch in Krisenzeiten – eine faire Bewertung, optimale Kapitalkosten sowie ein belastbarer Fremdkapitalzugang gesichert. Komplexere VerhaltensweisenHierbei sehen sich IROs zunehmenden komplexeren Verhaltensweisen von Kapitalmarktakteuren und Funktionsweisen von Märkten gegenüber. So bereiten die durch Mifid II (Markets in Financial Instruments Directive) ausgelösten Veränderungen bei der Analysten-Coverage und dem Investoren-Zugang bei Konferenzen und Roadshows manchem IRO Kopfzerbrechen.Viele kleinere und teilweise auch mittelgroße Emittenten sehen sich mit einer niedrigeren externen Coverage konfrontiert. Damit fehlen wichtige Multiplikatoren im Aktienmarketing. Sollte die Liquidität im Aktienhandel durch die geringere Aufmerksamkeit am Kapitalmarkt leiden, könnte der Aktienkurs stagnieren und zu einer Unterbewertung führen. Daher müssen Emittenten heute mehr denn je die Wahrnehmung am Markt selbst gestalten, anstatt dies der Sell-Side zu überlassen. Damit ist eine stärkere Verzahnung von IR und Unternehmensmarketing beziehungsweise -kommunikation wichtig. IR muss die passenden Investoren selbst identifizieren und dann über die passenden Kanäle und Plattformen, ihre Equity Story transportieren.Der Einsatz von Big Data und Social Media ist in IR noch nicht sehr weit verbreitet, wird aber an Bedeutung gewinnen. Die Unternehmenskommunikationsteams haben in den vergangenen Jahren zunehmend digitale Targeting-Techniken eingeführt, um die Beziehungen zu ihren Zielgruppen zu personalisieren. Im Gegensatz dazu tut sich Investor Relations bislang oft schwer, digitale Techniken anzuwenden.Dabei ist es auch Aufgabe von IR, sich nicht nur mit dem teilweise aggressiven und handelsgetriebenen Agieren von Hedgefonds und auch den teilweise unbeliebten Short-Sellern, sondern auch mit der immer stärker werdenden Rolle passiver Investoren auseinanderzusetzen. Deren Handelsstrategien sind oftmals indexorientiert und die Entscheidungsträger richten sich häufig nicht an der fundamentalen Entwicklung der Unternehmen aus, was den Dialog mit dieser Investorengruppe massiv erschwert.Als relativ neue Entwicklung ist das Auftreten aktivistischer Investoren zu sehen. Einen “Investor” zu erleben, der – begleitet von einer aggressiven Medienkampagne – mit einer geringen Beteiligung am Unternehmen strukturelle Veränderungen und teilweise auch Wechsel an der Unternehmensspitze verlangt, ist zumindest anstrengend. Wenn sich der aktivistische Investor mit einem in der Öffentlichkeit verbreiteten Brief beim Zielunternehmen meldet, steigt der Stresslevel von IROs massiv. Entsprechend sind börsennotierte Firmen gut beraten, einen strategischen Abwehrplan in der Schublade zu haben, der alle Kommunikationsdisziplinen umfasst.Dass der Fokus permanent auf der Gewinnung neuer Investoren, der Verbreiterung der Anlegerbasis und auf einer Umplatzierungsstrategie – falls sich ein Großaktionär von Paketen trennt – liegt, ist selbstverständlich, aber in der Praxis anspruchsvoll. Denn der “neue” Investor kommt vielleicht erst ins Aktionariat, wenn der Free Float gestiegen ist oder eine bestimmte Indexzugehörigkeit erreicht ist.Wichtig sind auch sehr gute Kenntnisse von Bilanzierungsmethoden und hier vor allem der möglichen Auswirkungen von Veränderungen beim Rechnungslegungsstandard. Ein klassisches Beispiel waren hier die Änderungen bei IFRS 16, den Änderungen bei der Bilanzierung von Leasingforderungen und -verbindlichkeiten. Von einigen Firmen hätten sich Investoren gewünscht, frühzeitig ein umfassendes Bild über die Auswirkungen auf Bilanz- und Ergebnisrechnung zu erhalten. Hier sind IROs gefordert, als Sparringspartner für Chief Financial Officer (CFO) und Bilanzabteilung frühzeitig entscheidende Anregungen zu geben, was der Markt erwartet.Den komplexer werdenden Themen stehen auch einige Vereinfachungen gegenüber. Hierzu zählt zum Beispiel die 2018 für viele börsennotierte Gesellschaften gegebene Möglichkeit, die vormals umfangreichen und kaum von Investoren genutzten Quartalsberichte durch schlanke, aber aussagekräftige Quartalsmitteilungen zu ersetzen. Hier hat der Berufsverband der IR-Verantwortlichen, der DIRK – Deutscher Investor Relations Verband, im Zusammenspiel mit anderen Verbänden hervorragende Arbeit geleistet. Aktuell hat die Europäische Kommission das ehrgeizige Projekt “Taxonomie” sehr weit oben auf der Agenda. Ob dies zur erhofften Standardisierung der Datenerhebung und -bereitstellung und damit zu spürbaren Erleichterungen im Reporting führen wird, bleibt abzuwarten.In den Disziplinen Finanzen und Finanzierung, Regulatorik, Beziehungspflege und Kapitalmarkt sind die Anforderungen an IR deutlich gestiegen. Gestiegen sein sollten idealerweise auch die Anforderungen und die Unterstützung des eigenen Managements an und für Investor Relations, die ihre IR-Verantwortlichen fördern und als Sparringspartner sehen und damit wertschöpfendes Potenzial nutzen. Das ist der Traum von IR. Zum nächsten Alptraum gehört dann wieder die Umsetzung des neuen Formats zur Finanzberichterstattung – im XBRL-Format. Petra Müller, Corporate Vice President Investor Relations & Communications bei der Siltronic AG und Horst Bertram, Senior Manager Investor Relations bei der Siltronic AG