IM BLICKFELD

Neue Betriebsrenten kommen schwer in die Gänge

Von Antje Kullrich, Düsseldorf Börsen-Zeitung, 18.10.2018 Es sah aus wie ein großer Wurf: Als sich die Politik im vergangenen Jahr auf eine Reform der Betriebsrenten einigte, konnten am neuen Sozialpartnermodell, kurz "Nahles-Rente", alle...

Neue Betriebsrenten kommen schwer in die Gänge

Von Antje Kullrich, DüsseldorfEs sah aus wie ein großer Wurf: Als sich die Politik im vergangenen Jahr auf eine Reform der Betriebsrenten einigte, konnten am neuen Sozialpartnermodell, kurz “Nahles-Rente”, alle Beteiligten etwas Gutes finden: Die Arbeitgeber müssen in der neuen Welt tariflich vereinbarter Altersvorsorge keine Garantien mehr geben und die Arbeitnehmer können sich über verbindliche Zuschüsse ihrer Arbeitgeber freuen. Doch um die Nahles-Rente ist es ein Dreivierteljahr nach dem Inkrafttreten des Betriebsrentenstärkungsgesetzes (BRSG) ziemlich ruhig. Denn sie ist bis jetzt ein Phantom. In keinem der 2018 getätigten Tarifabschlüsse hat es eine Vereinbarung zum Sozialpartnermodell gegeben.Dabei scharren die Versicherer mit den Füßen. Sie wittern zumindest vom Volumen her ein großes Geschäft. Mehrere Konsortien haben sich gebildet, erste Anbieter ließen verlauten, fertige Produktlösungen in petto zu haben. Sehr erklärungsbedürftigDoch die Stimmung bei den Tarifpartnern ist verhalten bis zögerlich, vor allem auf Gewerkschaftsseite. Zwar sehen viele Funktionäre durchaus die Vorteile bei der neuen Form der Betriebsrenten, halten sie aber doch für schwer vermittelbar. Denn Garantien stehen bei den Bundesbürgern nach wie vor hoch im Kurs. Dass sie im Dauerzinstief nur zu sehr hohen Kosten darstellbar sind, ist sehr erklärungsbedürftig.Ganz frisch hat sich die Chemieindustrie im September auf einen neuen Tarifvertrag geeinigt. Zum Sozialpartnermodell gab es jedoch nicht einmal eine Absichtserklärung. “In der Chemie-Tarifrunde 2018 standen andere Themen wie Arbeit 4.0 im Vordergrund der Verhandlungen”, sagt Klaus-Peter Stiller, Hauptgeschäftsführer des Bundesarbeitgeberverbands Chemie (BAVC). “Aufgrund der starken Verankerung der betrieblichen Altersvorsorge (bAV) in der chemischen Industrie sieht die IG BCE zudem derzeit keinen akuten Handlungsbedarf. Gleichwohl betrachten wir die neue Option des Sozialpartnermodells mit reiner Beitragszusage und Zielrente als wichtigen Hebel für die weitere Verbreitung der bAV.”Tatsächlich ist der Handlungsdruck in der Chemieindustrie nicht so groß. Denn die weite Verbreitung betrieblicher Altersvorsorge, die mit der Betriebsrentenreform gestärkt werden soll, ist in der Branche schon Realität. Laut BAVC sind 70 % der Arbeitnehmer über betriebliche Lösungen wie hauseigene Pensionskassen abgesichert, dazu kommt noch der branchenweite Chemie-Pensionsfonds, der nochmals 80 % der Beschäftigten erfasst. Viele Arbeitnehmer haben also bereits zwei Verträge in der betrieblichen Altersvorsorge.Bis jetzt wagt sich kaum ein Tarifpartner aus der Deckung. Die IG Metall beispielsweise spricht von einem längeren Diskussionsprozess. “Wir suchen eine Lösung, die langfristig, nachhaltig und tragfähig ist”, sagte ein Sprecher auf Anfrage. Möglicherweise werde der Gewerkschaftstag im Herbst 2019 zu dem Thema einen Beschluss fassen. Bei den Metallern wird es also noch dauern. Hier geht es auch um die Frage, was aus der Metallrente wird. Das branchenweite Versorgungswerk zählt rund 700 000 Versicherte. Ohnehin ist die Konkurrenz und künftige Koexistenz lang bestehender Altsysteme zu den neuen Betriebsrenten ein viel diskutiertes Thema.Verdi zeigt sich grundsätzlich aufgeschlossen für das Instrumentarium des Betriebsrentenstärkungsgesetzes. “Wir sind dran, aber bis es spruchreife Vereinbarungen gibt, wird es noch dauern”, sagt Norbert Reuter, Leiter der tarifpolitischen Grundsatzabteilung. Viele Detailfragen, zum Beispiel zur Förderung, seien noch ungeklärt und würden derzeit mit den zuständigen Ministerien diskutiert. Reuter sieht vor allem bei den Arbeitgebern, die bislang keine betriebliche Altersvorsorge anbieten, ein großes Zögern: “Klare Arbeitgebersignale fehlen noch.”Es dürfte also eher noch Jahre denn Monate dauern, bis sich das Sozialpartnermodell in der Breite durchsetzen könnte. Berater haben ihre einst optimistischen Prognosen zeitlich mittlerweile etwas gestreckt. Einige vehemente GegnerNach einer aktuellen, von Axa in Auftrag gegebenen Umfrage lehnt es knapp ein Viertel der Gewerkschaften (22 %) kategorisch ab, in Verhandlungen zu einem Sozialpartnermodell einzusteigen. Auch unter den befragten Arbeitgeberverbänden wollen 18 % keine tarifvertragliche Vereinbarung dazu zu treffen.Aus Sicht der Anbieter in der Versicherungswirtschaft weist die Nahles-Rente neben vieler Vorteile einen großen Nachteil auf: Den Versichererkonsortien stehen starke Partner gegenüber, die wegen des Volumens an Geschäft, das sie mitbringen, die Konditionen zu einem Gutteil diktieren können. Für die Versicherer bedeutet das eine voraussichtlich geringere Profitabilität. Doch gleichzeitig sind die neuen Betriebsrenten hoch attraktiv: Da sie keine Garantien beinhalten, müssen die Versicherer das Geschäft mit deutlich weniger Kapital unterlegen als die bisherigen Verträge in der bAV. Außerdem ist der Zugang zu ganzen Branchen als Kundengruppen verlockend – wobei Cross-Selling-Potenziale in der Branche in der Vergangenheit schon häufig überschätzt wurden.Doch auch auf Anbieterseite ist noch nicht alles fertig: Die Allianz Leben befindet sich noch in der Entwicklung und arbeitet nach Angaben eines Sprechers gemeinsam mit der Konzernschwester Allianz Global Investors an einem modularen Angebot für das Sozialpartnermodell. Bei Ergo heißt es: “Wir haben noch kein Produkt.” Ob und welche Pläne es für die Nahles-Rente gebe, dazu wollte sich der Versicherer nicht äußern. Das Rentenwerk, eine Kooperation von Barmenia, Debeka, Gothaer, HUK-Coburg und Stuttgarter, meldete sich schon im Frühjahr einsatzbereit: Das Produkt, eine fondsgebundene Direktversicherung, sei fertig. Nur der erste Kunde fehlt.