Neue risikofreie Zinssätze bergen neue Probleme

Starke Ausschläge in den USA - Eurex Repo warnt vor Volatilität in Umfeld steigender Zinsen

Neue risikofreie Zinssätze bergen neue Probleme

Von Dietegen Müller, FrankfurtDie Ablösung von manipulationsanfälligen Referenzzinssätzen gestaltet sich schwieriger als erwartet. Dies zeigt sich in den USA, wo als Nachfolger des Libor 2018 die besicherte Übernachtsatz Secured Overnight Financing Rate (SOFR) eingeführt wurde. Auf den SOFR, der anders als Libor besichert ist und auf realen Transaktionen beruht, sollen auch auf Dollar lautende Kredite und Derivate ausgestellt werden. SOFR basiert auf Transaktionen im Treasury-Wertpapierpensionsmarkt – dem Markt, in dem Markteilnehmer sich kurzfristig über Rückkaufvereinbarungen mit US-Staatsanleihen finanzieren können.Die Bank of America Merrill Lynch (BoAML) meint, dass die US-Notenbank künftig als Absicherung auftreten müsse, um den kurzfristigen Finanzierungsmarkt vor dem Austrocknen zu bewahren. Anlass dafür war der überraschend starke Anstieg des SOFR Ende 2018. Am 31. Dezember stieg er auf 3,15 %, was 75 Basispunkte mehr war als der Zinssatz für Überschussreserven der US-Notenbank Fed. Starke Ausschläge waren auch in den Repo-Sätzen festzustellen.Dies werfe die Frage auf, wie und wann die US-Notenbank eingreifen werde, um solche Schwankungen zu mindern, schreiben die Analysten von BoAML. Der Markt für Wertpapierpensionsgeschäfte (Repos) sei zunehmend fragil und anfällig auf sich veränderndes Verhalten von Marktteilnehmern geworden, insbesondere von Banken und Händlern, so die Analysten der US-Großbank. Es sei nötig, dass die Fed ein neues Programm einführe, das die Reposätze deckelt. Die US-Notenbank selbst hat im Zusammenhang mit der Volatilität in kurzfristigen Zinssätzen bereits von “neue Fazilitäten zur Deckelung” gesprochen.Eine Erklärung für die Ausschläge in den USA sieht Frank Odendall, Head of Buy-Side Repo Solutions von Eurex Repo, im Verhalten der Banken und in möglichen bilanzstichtagsbezogenen Effekten. “Die Banken horten hochqualitative liquide Assets – etwa Staatsanleihen -, damit sie sich im Fall einer Marktverwerfung jederzeit besichert refinanzieren können. Denn im unbesicherten Markt wird dies nicht möglich sein. Das hat die Finanzkrise gezeigt.” Besichert oder unbesichertDie starken Ausschläge in den USA haben auch in Europa die Diskussion über die Ausgestaltung der Referenzzinssätze neu angefacht. Während der neue US-Satz SOFR wie auch die Swiss Average Rate Overnight (Saron) besichert sind, haben sich die Briten mit dem Sterling Overnight Index Average (Sonia) für einen unbesicherten Satz entschieden. In der Eurozone wird die unbesicherte Euro Short Term Rate (Ester) favorisiert. Odendall hält es für nachvollziehbar, dass die Amerikaner sich für einen besicherten Satz als risikofreien Referenzsatz entschieden haben. “Dort findet der größte Teil des Marktes statt.” Er ist der Meinung, dass auch für Europa ein besicherter Referenzzinssatz besser wäre als ein unbesicherter – zumindest für die Buy-Side-Adressen. Die vom zur Deutschen Börse gehörenden Indexanbieter Stoxx berechnete GC Pooling Deferred Rate bezieht sich auf besicherte Euro-Finanzierungstransaktionen am Eurex-Repo-GC-Pooling-Markt.Nachdem in einer Marktbefragung der Europäischen Zentralbank (EZB) deutlich geworden ist, dass eine Mehrheit der Befragten den von der EZB berechnete Ester favorisieren und nur eine Minderheit die vom Indexanbieter Stoxx berechnete GC Pooling Deferred Rate, scheint das Rennen gelaufen zu sein. Ester soll ab Oktober täglich aktuell publiziert werden. Volatiler Spread”Viele Pensionsfonds würden es begrüßen, wenn statt Ester die GC Pooling Deferred Funding Rate als Benchmark verwendet würde. Denn die Pensionsfonds sitzen auf viel Cash, dürfen dies aber nicht in großem Umfang unbesichert anlegen”, sagt aber Odendall. Der Eurex-Manager räumt ein, dass das Volumen auf GC Pooling schon länger darunter leidet, weil kaum jemand im Niedrigzinsumfeld besichert Geld anlegen will: “Es gibt fast 2 Billionen Euro Überschussliquidität im Markt.” Die Differenz zwischen unbesichertem und besicherten Geldmarktsatz sei gering, dürfte laut dem Eurex-Manager aber volatiler werden, sollten die Zinsen steigen. “Das ist für alle schlecht, denn mal gewinne ich, mal verliere ich. Da ist ein neues Risiko abzusichern, da müssen neu zu entwickelnde Derivate genutzt werden, um sich abzusichern.”Ester sei zudem nicht in einer Stressphase des Marktes getestet worden. Was geschehe etwa, wenn eine große deutsche, französische oder niederländische Bank in Schwierigkeiten gerate, bei der große Assetmanager ihr Geld unbesichert geparkt haben und damit einen großen Anteil der Volumina im Ester-Satz stellen? Als Konsequenz dürften die Gegenparteien ihre Risikopositionen gegenüber diesen Geldhäusern signifikant zurückfahren.Odendall moniert auch, dass Ester nicht wirklich ein paneuropäischer Referenzsatz sei: “Wie in der EZB-Konsultation nachzulesen ist, fließen rund 40 % der in Ester erfassten Transaktionen von französischen Banken ein, rund 30 % von deutschen Banken und jeweils etwa 10 % von niederländischen und belgischen Instituten. Spanien und Italien liefern nur marginale Beiträge.” Die Zahlen beziehen sich auf die Geldmarktstatistik (MMSR). Auf die Frage, was bei der GC Pooling Deferred Rate geschehen würde, wenn Italien als größter Eurozone-Emittent nicht mehr mit Investment Grade bewertet würde, sagt Odendall, dann würden sich eben die Gewichtungen der verbliebenen Investment-Grade-Anleihen verschieben. Ob Staatsanleihen EZB-fähig sind, entscheide die Zentralbank.