LEITARTIKEL

Politik trifft Finanzplatz

Wir haben ein trauriges Jubiläum zu beweinen. Zehn Jahre ist es in diesem September her, dass in Berlin die Diskussion über eine Finanztransaktionssteuer losbrach. Gewiss nicht zum ersten Mal. Die nach dem US-Nobelpreisträger für...

Politik trifft Finanzplatz

Wir haben ein trauriges Jubiläum zu beweinen. Zehn Jahre ist es in diesem September her, dass in Berlin die Diskussion über eine Finanztransaktionssteuer losbrach. Gewiss nicht zum ersten Mal. Die nach dem US-Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften James Tobin benannte, als Instrument zur Einhegung kurzfristiger Devisenspekulationen konzipierte “Tobin Tax” war ja schon seit 1972 ein beliebtes Thema von Globalisierungskritikern und Politikern. Doch mit der Finanzmarktkrise bekamen die Vorkämpfer einer “Robin-Hood-Steuer” richtig Oberwasser, galt es doch, die Verursacher des ganzen Schlamassels an dessen Kosten zu beteiligen. Hierzulande war die SPD – Bundesfinanzminister damals: Peer Steinbrück – die treibende Kraft bei dem Vorhaben, “das Komasaufen auf den Finanzmärkten” zu beenden. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich keineswegs abgeneigt.Zehn Jahre danach gibt es in Deutschland und auf gemeinschaftlicher europäischer Ebene erfreulicherweise noch immer keine – schon der Begriff ist ein Ungetüm – Finanztransaktionssteuer. Die Diskussion aber ist mitnichten tot, im Gegenteil: Noch zehn europäische Finanzminister, darunter Steinbrücks Nachnachfolger Olaf Scholz (SPD), bosseln im Rahmen der vom EU-Vertrag zugelassenen “Verstärkten Zusammenarbeit” von mindestens neun Ländern unverdrossen an dem obskuren Objekt der Begierde aller Finanzmarktbändiger. Dieses ist freilich im Vergleich zu den Entwürfen von 2009 nicht mehr wiederzuerkennen – was die Sache nicht besser macht.Anfangs war nicht nur an eine EU-weite Einführung gedacht. Um Ausweichreaktionen zu vermeiden, sollte der Fiskus daneben in den 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländern im Grunde bei sämtlichen Finanzgeschäften die Hand aufhalten. Doch nicht nur der Kreis der willigen Staaten hat sich dezimiert. Von den zu belastenden Finanzprodukten ist nur ein einziges übrig geblieben: Aktien. Und das erwartete Steueraufkommen verkümmerte während der siebenjährigen Verhandlungen seit der Vorlage eines formellen Vorschlags durch die EU-Kommission von auf die Gemeinschaftsebene hochgerechneten jährlichen 57 Mrd. Euro zu einer Marginalie von 3,5 Mrd. Euro für den verbliebenen Zehnerclub.Wenn Politik auf Finanzplatz trifft, ist nicht erst seit Beginn der Finanz- und Staatsschuldenkrisen vor zwölf Jahren der Konflikt eher die Regel und der Konsens die Ausnahme. Der Dogmatismus aber, mit dem sich die Bundesregierung und vor allem der bisher nicht durchweg durch Verbohrtheit aufgefallene zuständige Fachminister, der zudem mit Jörg Kukies einen Kapitalmarktprofi und Ex-Topbanker als Staatssekretär beschäftigt, in Sachen Aktiensteuer allen überzeugenden ökonomischen Argumenten verschließen, ist schon sehr speziell. Und die aktuell geplante Beschränkung der Steuer nicht etwa auf irgendwelche exotischen Zockerpapiere, sondern ausgerechnet auf Aktien kann man aus volkswirtschaftlicher Sicht wie auch mit Blick auf die private Altersvorsorge nur als Perversion der Grundidee deuten. Waren etwa Aktiengeschäfte schuld an der Krise? Also kann eine Aktiensteuer auch nicht die angeblich bezweckte Stabilisierung der Märkte bewirken. Da müsste man schon bei kunstvoll strukturierten und gehebelten Instrumenten ansetzen.Auch in anderer Hinsicht träfe der Obolus exakt die Falschen: nicht die Krisenverursacher in Investmentbanken, sondern Anleger und Vorsorgesparer, die die Aktiensteuer am Ende genauso tragen müssten wie beim Kauf eines Rings Fleischwurst die Mehrwertsteuer – die geht ja auch nicht auf Rechnung des Metzgers. Mit der Besteuerung von Finanztransaktionen würde mithin keines der vorgeschützten Ziele erreicht. Stattdessen wären ungeheure Kollateralschäden programmiert: für die gewerbliche Wirtschaft, deren Finanzierungsbedingungen sich verschlechterten, somit für Wachstum und Beschäftigung. Für 10 Millionen Aktien- und Fondssparer, die zur Kasse gebeten würden, und zig Millionen weitere, für die Versicherer oder Pensionskassen in Aktien investieren. Für den Finanzplatz Deutschland, der erneut grob fahrlässig im internationalen Standortwettbewerb zurückgeworfen würde. Während Krethi und Plethi über die Vorzüge einer Kapitalmarktunion schwadronieren, würde die Steuer obendrein die Refragmentierung der europäischen Märkte fördern und das Steuerrecht in der EU in einen noch bunteren Flickenteppich verwandeln – die Transaktionssteuer wäre folglich zu allem Überfluss auch noch antieuropäisch.——Von Bernd WittkowskiMit der Finanztransaktionssteuer würde keines der vorgeschützten Ziele erreicht. Stattdessen wären ungeheure Kollateralschäden programmiert.——