Stakeholder-Engagement als Schritt zur Risikominimierung

Deutschland und Großbritannien im Vergleich - Unterschiedliche Ausgangspunkte bei der Betreuung - Verlockende Karriereziele für heutige IR-Direktoren

Stakeholder-Engagement als Schritt zur Risikominimierung

Warum ein Artikel zum Thema Stakeholder-Engagement in einer Investor-Relations-(IR-)Beilage? Zudem: Bestehen in diesem Zusammenhang überhaupt Unterschiede zwischen deutschen und britischen Unternehmen? Wenn ja, spielt das eine Rolle für die Kommunikation mit Shareholdern?Als Board-Development-&-Executive-Search-Berater identifiziert Fidelio Leader mit Kapitalmarkterfahrung auf Board- und Geschäftsfüh-rer-Ebene und auf internationaler Basis. Fidelio berät auch Unternehmen in ihrem Bemühen, Stakeholder- und Shareholder-Engagement zu optimieren. In diesem Artikel analysieren wir Unterschiede zum Thema Stakeholder/Shareholder-Engagement zwischen zwei kerneuropäischen Märkten, Deutschland und Großbritannien, und haben auch die Meinung erfahrener IR-Direktoren in beiden Ländern berücksichtigt.Auf dieser Basis behaupten wir, dass Deutschland und Großbritannien unterschiedliche Ausgangspunkte bei der Betreuung ihrer Kern-Stakeholder haben, aber auch dass die sich schnell verändernde Landschaft für Stakeholder-Engagement in beiden Ländern eine nicht zu unterschätzende Gelegenheit für IR-Direktoren bietet.Meine Beschäftigung mit dieser Thematik – Shareholder-Engagement im Vergleich zu Stakeholder-Engagement – führt zurück zu den frühen 90er Jahren, als ich als Engländerin das Privileg genoss, fast eine Vorreiterin für den IR-Beruf in Deutschland zu sein. Von Anfang an waren Differenzen zwischen deutschen und britischen Unternehmen und ihrer jeweiligen Beziehung zu den Kapitalmärkten spürbar. Teilweise beruhte dieses Phänomen auf dem Timing. Der Begriff Investor Relations war in Amerika schon seit Jahrzehnten geläufig, in Großbritannien hatte sich die Rolle und Funktion von IR in den 70er und 80er Jahren stark entwickelt, während in Deutschland diese Entwicklung tatsächlich erst nach der Wiedervereinigung stattfand. Shareholder ValueTrotz enormen Kapitalbedarfs, verursacht durch die Wiedervereinigung Deutschlands, standen deutsche Unternehmen den kurzfristigen Absichten angelsächsischer Investoren misstrauisch gegenüber. Meines Erachtens basierte dieses Misstrauen nicht nur auf der damaligen Neuheit “Investor Relations”. Für angelsächsische Unternehmen war in den 90er Jahren bis ca. 2005 Shareholder Value ein breit akzeptierter Managementbegriff, und unter einigen Managern und Investoren gab es einige fast fanatische Anhänger dieses Prinzips. Laut den Shareholder-Value-Modellen waren die Aktionäre die wichtigsten Stakeholder eines Unternehmens, auch wenn diese Aktionäre weit verstreut und fragmentiert waren. Wenn Hedgefonds und Aktivisten in der Szene auftauchten, war das nicht begrüßenswert für IR und das Management, aber ihre Rolle wurde als Teil des normalen Wettbewerbs auf einem freien und effektiven Kapitalmarkt akzeptiert.Der Primat von institutionellen Investoren spiegelte sich auch in der Tatsache wider, dass viele IR-Teams in Großbritannien exklusiv institutionelle Investoren und natürlich auch Analysten, aber keine Kleinaktionäre und oft auch keine Bondholder betreuten. Das heißt, dass die IR-Funktion in Großbritannien sehr viel enger definiert war als in Deutschland, was teilweise noch heutzutage gilt.Jedes börsennotierte Unternehmen in Großbritannien ist verpflichtet, mit einem Corporate Broker zusammenzuarbeiten, um Beziehungen mit den Investoren zu unterstützen. Im Prinzip tragen diese Broker zu den IR-Aktivitäten bei, was wohl zu kleineren IR-Teams und niedrigeren Investitionen in Großbritannien geführt hat. Ohne Broker haben in Deutschland börsennotierte Werte größere IR-Teams aufgebaut, die die meisten Kern-IR-Aktivitäten innerbetrieblich getätigt haben. Langsam haben höhere IR-Budgets und größere Teams zum Erfolg geführt. Schon um den Zeitpunkt, als die Finanzkrise die Kapitalmärkte traf, begannen deutsche Firmen, internationale Preise für “Best in Class IR” zu gewinnen, und seitdem gab es auch Jahre, in denen es eher eine Überraschung war, wenn der “Grand Prix” europaweit nicht von einer deutschen Firma gewonnen wurde. Stakeholder ValueDiese größeren Teams in Deutschland haben auch gleichzeitig eine breitere Spanne von Stakeholdern betreut. Es war nicht ungewöhnlich für eine Dax-IR-Funktion, institutionelle Equity-Investoren zu betreuen, sowohl Kleinaktionäre als auch Bondholder. Häufig hatte IR auch eine Zuständigkeit für SRI (Socially Responsible Investment) und Finanzkommunikation mit den Finanzmedien. Zusätzlich gehört zu den Kleinaktionären auch eine steigende Anzahl von Mitarbeitern, und natürlich sind das eigene Management und der Aufsichtsrat Stakeholder.Diese breitere Stakeholder-Betreuung spiegelt eine Akzeptanz von Stakeholder Value wider. Der Zweck des Unternehmens ist Wertbeschaffung für Stakeholder sowie auch Shareholder. Unseres Erachtens ist diese breitere Definition von IR auch Ausdruck von unterschiedlichen industriellen und wirtschaftlichen Ansätzen den Stakeholdern gegenüber.Mittlerweile ist jedoch auch in Großbritannien die Akzeptanz von Shareholder Value komplexer geworden und wird teilweise in Frage gestellt. Als Auswirkung der Finanzkrise in den Jahren 2006 und 2007 hat das öffentliche Vertrauen in die Kapitalmärkte deutlich gelitten, da Kleinaktionäre und Sparer dramatische Einbußen hinnehmen mussten.Die Entstehung des UK Companies Act 2006 spiegelt diese Spannung zwischen dem Interesse der Shareholder und Stakeholder wider. Es wurde heftig über die Rechenschaftspflicht des Board und insbesondere darüber, ob Shareholder oder Stakeholder den Vorrang hätten, debattiert. Das Endergebnis lag dazwischen. UK-Direktoren haben eine Zuständigkeit, das Interesse und den Erfolg des Unternehmens zu fördern. Schon 2006 hat der Gesetzgeber eine einfache Vorrangstellung von Shareholdern in Frage gestellt. Der MittelwegAls Ergebnis der Finanzkrise haben Wirtschaftswissenschaftler und Regulatoren in Frage gestellt, ob eine fragmentierte Art von Besitztum für eine langfristige Wertschaffung effektiv ist. In Großbritannien bleibt man eher bei offenen Märkten, und Vorschläge zu zwei Klassen von Aktien für lang- und kurzfristige Investoren haben bis dato wenig Unterstützung gefunden. Professor John Kay hat jedoch verlangt, dass institutionelle Investoren mehr Verantwortung für den Erfolg des Unternehmens, in das sie investieren, übernehmen. Daher entstand “Stewardship”, was mittlerweile zunehmend politische und gesellschaftliche Akzeptanz gewonnen hat.Jetzt üben in der Hauptversammlungssaison von 2017 Aktionäre zunehmend Druck auf Unternehmen und Management dahingehend aus, bessere Governance vorzuweisen. Ein Hauptthema ist hierbei Vergütung: Warum sollte das Management viel verdienen, wenn Aktionäre, inklusive Rentner, keine Vorteile sehen? Hinzu kommt das Thema Diversität, und auf internationaler Basis werden von Vorsitzenden nachhaltige Pläne und Strategien verlangt, um Diversität im breitesten Sinne zu gewähren, egal ob informelle Ziele (Großbritannien) oder eine gesetzlich vorgeschriebene Quote (Deutschland) in situ sind.Es gibt auch einen einflussreichen Stakeholder, der in Großbritannien und den USA seine Präsenz gezeigt hat, nämlich der Populismus. In Großbritannien hat diese Bewegung unter anderem zu dem überraschenden Ergebnis des Brexit-Referendums geführt. Das Votum war sicherlich zum Teil gegen Brüssel und Westminster gerichtet, aber auch gegen die Banken und “Big Business”. Großes Erstaunen herrschte in Großbritannien, als Theresa May, die neue Premierministerin, als einen ihrer ersten Schritte im Amt Mitbestimmung und Mitarbeitervertretung im Aufsichtsrat/Board zur Diskussion vorschlug – ein Konzept, das in Deutschland verstanden wird, aber in Großbritannien eher fremd ist. Kulturell spezifische ModelleEs ist unwahrscheinlich, dass in Großbritannien Mitbestimmung eingeführt wird, und wir halten es für gesund, dass unterschiedliche und kulturell spezifische Modelle und Ansätze, auch Shareholdern und Stakeholdern gegenüber, in Großbritannien und Deutschland vorhanden sind. In beiden Ländern steigt jedoch das Board-Interesse an Stakeholder-Engagement, und zwar als Schritt zur Risikominimierung.Stakeholder üben enormen Einfluss aus, und die Rolle von Technologie und Social Media hat zur Folge, dass die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Stakeholder-Gruppen jetzt eine Sache von Sekunden ist. Koordinierte und regelmäßige Stakeholder-Kommunikation, auch seitens Aufsichtsrat, Vorstand und IR, ist unentbehrlich. Interessen wahrnehmenStakeholder-Engagement ist Chefsache. Traditionell hat der Vorstand eine anerkannte Zuständigkeit für diese Kommunikation. Jetzt kommt eine steigende Erwartung dazu, dass auch Aufsichtsrat (AR) und Non-Executive-Direktoren eine Rechenschaftspflicht gegenüber Aktionären und Stakeholdern ausüben und nachweisen müssen. Für IR-Direktoren liegt hierin eine Karrierechance. Stakeholder-Engagement ist ein Aspekt der Aufgaben von Führungskräften.Fidelio ermutigt IR-Direktoren, die Interessen von Aktionären gut zu pflegen, aber auch die Bedürfnisse von anderen Stakeholder-Gruppen gut zu verstehen, besonders wenn Governance eine Komponente ist. Fidelio ist bei Board Search aktiv – erfolgreiche Kandidaten benötigen mehr als eine enge Spezialisierung, wie zum Beispiel IR. Die Aufsichtsräte der Zukunft werden aber zweifellos effektiver sein, wenn Stakeholder- sowie Shareholder-Engagement zu einer anerkannten Board-Kompetenz wird. Genau darin liegt ein verlockendes Karriereziel für heutige IR-Direktoren.—Gillian Karran-Cumberlege, Leiterin des Bereichs Board Practice (Vorstandspraxis), Fidelio Partners, Board Development and Executive Search, London