Umstellung auf Zinsbenchmarks kommt voran

Neuer Euro-Übernachtsatz ab Oktober - Offene Fragen zum Euribor und zur Berechnung von Terminsätzen

Umstellung auf Zinsbenchmarks kommt voran

Die Uhr läuft. Manipulationsanfällige Referenzzinssätze wie Libor, Euribor und Eonia müssen bald ersetzt werden, es kommt auf die Finanzinstitute und Marktteilnehmer viel Arbeit zu. Die Umstellung bei den Übernachtsätzen dürfte dabei das kleinere Problem sein, wurde auf dem Eurobörsentag deutlich.dm Frankfurt – Ab dem 1. Januar 2022 gilt eine neue Zeitrechnung für alle Geschäfte in der EU, die auf Referenzzinssätzen basieren. Das bedeutet erhebliche Umstellungen für Banken und Marktteilnehmer. Es werde aber “keinen Big Bang” geben, sondern ein Zeitfenster von 27 Monaten, um an den neuen Märkten für die neuen Zinsbenchmarks teilzunehmen, sagte Dirk Stemmer, Partner bei der Unternehmensberatung PwC, auf dem Eurobörsentag der Börsen-Zeitung. In der Eurozone wird zunächst der bisherige Übernachtsatz Eonia durch die von der Europäischen Zentralbank (EZB) berechnete neue Euro Short Term Rate Estr abgelöst, die manipulationssicher und regulierungskonform sein soll. “Auf die Banken kommt eine Menge zu”, sagte Cornelia Holthausen, Vizedirektorin Market Operation bei der EZB, welche die mit der Zinssatzumstellung befasste branchenweite Arbeitsgruppe begleitet. Kein GesetzDie Unsicherheit über den Prozess ist dabei im Vergleich zur Situation vor rund einem Jahr deutlich geschwunden, waren sich die Teilnehmer einer Paneldiskussion einig. Ein Meilenstein wird erreicht, wenn die EZB ab 2. Oktober den Estr veröffentlicht. Außerdem hat die EZB den Risikoaufschlag (Spread) bekannt gegeben, mit dem in einer Übergangszeit bis Ende 2021 dann der Eonia berechnet wird. Er beträgt 8,5 Basispunkte und bleibt fix. Dies erleichtert die Kalkulation für die Banken, die aber dennoch womöglich nicht darum herumkommen dürften, für Kunden beide Zinssätze anzeigen zu können, wie Michael Schneider, Global Head of Liquidity and Collateral Management der DZ Bank, erklärte. Er beziffert die Kosten für die Umstellung in seinem Haus von Eonia auf Estr auf rund 1 Mill. Euro.Abgesehen von Anpassungen an den IT-Systemen – geschuldet etwa dem gegenüber Eonia späteren Veröffentlichungszeitpunkt von Estr – fallen etliche Vertragsänderungen an, etwa in Derivatgeschäften, die auf Eonia basieren. Ingo Mainert, Chief Investment Officer Multi Asset Europe bei Allianz Global Investors, sprach von “Papierflut”, doch dürfte zumindest im Interbankenmarkt der Aufwand noch einigermaßen überschaubar bleiben, da dort oft Rahmenverträge zum Einsatz kommen. Anders könnte dies jedoch im Retailmarkt aussehen, wo etwa Verträge für Immobilienkredite betroffen sind. Holthausen wies dabei darauf hin, dass es kein Gesetz geben werde, das die Vertragsumstellung regele. Dieser Wunsch ist von Banken geäußert worden, die dabei mögliche juristische Komplikationen befürchten (vgl. BZ vom 13. Februar).Auch Silvio Lenk, Bereichsleiter Treasury bei der Deka, begrüßte den Zeitplan der Umstellung und den festen Spread. Fahrt werde die Umstellung im Übernachtsatz voraussichtlich dann aufnehmen, wenn die zentralen Gegenparteien, also das zur London Stock Exchange gehörende Clearinghaus LCH und die zur Deutschen Börse gehörende Eurex Clearing, in ihrem Price Alignement Interest (PAI) und in der Diskontierung auf Estr umgestellt haben. Laut Stemmer dürfte dies im zweiten Quartal des kommenden Jahres geschehen. Daraus erwartet er dann auch mehr Aktivität im Derivatemarkt. Langfristig unsicherDoch gibt es noch einige ungelöste Probleme für den Markt. Zum einen fehlt eine Terminkurve. In der Eurozone dürfte zwar der Euribor in modifizierter Form als regulierungskonformer Term-Satz zum Einsatz kommen – die belgische Finanzaufsicht muss noch grünes Licht erteilen. Doch gingen Michael Steiner und Silvio Lenk davon aus, dass sich über die Jahre eine Terminkurve über Derivate auf dem neuen Übernachtsatz Estr entwickeln dürfte, da dieser mehr Vertrauen genießt und der “hybride” Euribor, der vor allem im Retailmarkt zum Einsatz kommt ist, an Bedeutung verliert. Auch Cornelia Holthausen sagte: “Langfristig ist die Zukunft des Euribor unsicher.”Ein weiteres Problem stellen die unterschiedlichen Arten der neuen Zinsbenchmarks dar. Weltweit gibt es besicherte und unbesicherte Sätze (vgl. Grafik). Gerade in dem für deutsche Banken wichtigen Cross-Currency-Swapmarkt könne dies Unsicherheitspotenzial bergen und in Krisen womöglich zu unerwünschten Ausschlägen führen, die niemand wolle, so Steiner.