Ambroise Fayolle, EIB

Warnung vor Investitionslücken

Ambroise Fayolle, Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank (EIB) sieht als Folge der Coronakrise auch in Deutschland „besorgniserregende Investitionslücken“ auf Unternehmensseite – insbesondere im verarbeitenden Gewerbe. Erste Finanzierungen aus ihrem neuen Garantiefonds der EIB laufen jetzt auch in Deutschland an.

Warnung vor Investitionslücken

Andreas Heitker.

Herr Fayolle, die EIB-Gruppe hat 2020 etwa ein Drittel ihrer Finanzierungsmittel für die unmittelbare Hilfe zur Bewältigung der Corona-Pandemie genutzt. Wie sah die Situation in Deutschland aus?

Auch in Deutschland war die EIB-Gruppe – also Europäische Investitionsbank und Europäischer Investitionsfonds – sehr aktiv. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang vor allem zwei Aspekte hervorheben. Wir haben mit Darlehen über 100 Mill. Euro an Biontech – dies war bereits die zweite Finanzierung des Unternehmens – und 75 Mill. Euro an Curevac frühzeitig aktiv dazu beigetragen, die Bekämpfung der Covid-19-Pandemie zu beschleunigen. Darüber hinaus haben wir Therapien gegen Covid-19 sowie Testtechnologien unterstützt und angeboten, mit weiteren Finanzspritzen die Entwicklung der Impfstoff-Produktionsstätten zu forcieren.

Und was war mit günstigen Krediten an kleine und mittlere Betriebe, die in der Krise besonders gebeutelt sind?

Hier stehen wir in Deutschland natürlich nicht an vorderster Front. Da ist die Bundesrepublik mit der KfW und regionalen Förderinstituten sehr gut aufgestellt. Aber wir bieten besonders mit sogenannten Risksharing-Angeboten an Banken diesen die Möglichkeit, ihre Bilanzen zu entlasten, so dass sie neuen Spielraum haben, frische Mittel an KMU zu vergeben, wie wir das etwa mit der Landesbank Baden-Württemberg und der Commerzbank gemacht haben.

Welche deutschen Unternehmen beziehungsweise Sektoren haben im vergangenen Jahr denn besonders von der EIB profitiert?

Die Stärkung von Innovation steht in Deutschland traditionell an der Spitze, was bei einem führenden Wirtschaftsstandort in Europa nicht verwundert. Beispiele aus dem Gesundheitssektor habe ich ja bereits genannt, andere kamen aus den Sektoren Software, Digitalisierung und nachhaltige Industriepolitik, insbesondere im Bereich der Chemie. Ein Beispiel ist Wacker Chemie: Hier haben wir mit Unterstützung der Investitionsoffensive für Europa (EFSI) für Forschung und Entwicklung 290 Mill. Euro bereitgestellt. Damit unterstützen wir die Bemühungen des Unternehmens hin zu vollständiger Klimaneutralität bis 2050.

Wie hoch waren denn die EIB-Finanzierungen in Deutschland im letzten Jahr insgesamt?

Insgesamt haben wir für den Bereich Innovation Finanzierungen von fast 2,1 Mrd. Euro bereitgestellt. Aber auch der Klimaschutz und die Mittelstandsförderung waren mit 1,7 Mrd. beziehungsweise 1,6 Mrd. Euro Schwerpunkte der EIB-Gruppe. Alles in allem beliefen sich die Finanzierungen der EIB-Gruppe in Deutschland auf 6,9 Mrd. Euro, davon entfielen auf die EIB 6 Mrd. Euro.

Die Finanzierungen der EIB-Gruppe sind in Deutschland damit von zuletzt 6,1 Mrd. im Jahr 2019 deutlich gestiegen. Wie ist das zu erklären?

Das hat natürlich mit der intensiven Bekämpfung der Covid-Pandemie sowie dem energischen Kampf gegen den Klimawandel zu tun. Das gilt im Übrigen nicht nur für Deutschland, sondern zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamten Aktivitäten der EIB-Gruppe im vergangenen Jahr. Wir sind als Bank der EU in der Lage, uns an den internationalen Kapitalmärkten günstig zu refinanzieren, und wir reichen die günstigen Konditionen, zusammen mit langen Laufzeiten, an unsere Kunden weiter. Allerdings war und ist das aktuelle Niedrigzinsumfeld in Deutschland eine echte Herausforderung. Deshalb spricht es besonders für die EIB-Gruppe, dass wir unser Geschäftsvolumen im vergangenen Jahr haben ausweiten können.

Und welche Erwartungen haben Sie an 2021?

Wir hoffen, ausgehend von unserer Pipeline, dass wir in Deutschland in diesem Jahr ein ähnlich gutes Ergebnis wie 2020 erzielen können. Allerdings ist natürlich jeder Ausblick angesichts der aktuellen Covid-19-Pandemie mit Risiko behaftet.

Ein wichtiger Beitrag der EIB zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie sollte 2020 eigentlich auch der neue Europäische Garantiefonds (EGF) sein, über den bis zu 200 Mrd. Euro für Unternehmen bereitgestellt werden sollen. Der EGF war dann aber erst im November einsatzfähig. Warum hat es so lange gedauert, den Fonds an den Start zu bekommen?

Hier muss ich Sie korrigieren. Der Europäische Garantiefonds war bereits im Juli vergangenen Jahres einsatzfähig, nachdem, der Satzung des EGF folgend, das nötige Kapital von 60% durch die Mitgliedstaaten gezeichnet war. Die ersten Operationen wurden dann bereits im Oktober beschlossen. Allerdings konnten die Transaktionen erst unterzeichnet werden, nachdem die grundsätzliche beihilferechtliche Prüfung für den Garantiefonds durch die Europäische Kommission erfolgt war. Das ist Mitte Dezember geschehen.

Der ESM mit seinem Pandemieprogramm und die EU-Kommission mit Sure waren deutlich schneller.

Lassen Sie mich hier unterstreichen: Ein solches Programm aufzulegen und in etwas mehr als einem halben Jahr zum Laufen zu bringen, ist sehr beachtlich. Wir müssen uns immer vor Augen halten, dass wir hier über Finanzierungen im dreistelligen Milliardenbereich reden. Da ist Sorgfalt bei der Umsetzung mehr als angebracht.

Und warum wollten sich nicht alle EU-Mitgliedstaaten bei dem Garantiefonds beteiligen?

Sehen Sie, wir haben mit dem Garantiefonds eine ehrgeizige paneuropäische Antwort auf die Pandemie geliefert. Die Finanzminister der EU hatten uns aufgefordert, rasch zu handeln, und genau das haben wir getan. Mit unserer auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU) spezialisierten Tochtergesellschaft EIF sorgen wir durch den EGF gemeinsam mit nationalen und europäischen Partnern dafür, dass unsere Hilfe dort ankommt, wo sie am dringendsten gebraucht wird. Das ist wirkliche europäische Solidarität. Allerdings war von Beginn an klar, dass die Struktur offen und außerhalb der Bilanz der EIB-Gruppe angelegt wird. Es ist und bleibt daher Sache der einzelnen Mitgliedstaaten, sich für das gemeinsame Unterstützungsprogramm zu entscheiden – und mehr als 20 Staaten sind mit dabei. Ich denke, das spricht für sich.

Welchen Beitrag erhofft sich die EIB in diesem Jahr von dem Garantiefonds? Wie schnell soll jetzt das Geld ausgegeben werden?

Das Programm nimmt zurzeit schnell an Fahrt auf. Im Moment ist ein durch die Garantien gestütztes Finanzierungsvolumen von mehr als 10 Mrd. Euro gebilligt. Das soll bis zur Jahresmitte auf 50 Mrd. Euro hochgefahren werden.

Und wie viel Geld aus dem EGF können deutsche Unternehmen erwarten?

Das Interesse aus Deutschland ist ganz klar vorhanden, und erste Transaktionen sollen in den kommenden Wochen abgeschlossen werden. Allerdings müssen wir für Deutschland immer im Auge behalten, dass die Mittel aus dem Garantiefonds lediglich ergänzenden Charakter zu den Stützungsaktionen der KfW haben werden. Das Hauptaugenmerk des Garantiefonds liegt in Ländern, die finanziell nicht so stark aufgestellt sind wie Deutschland.

Eine weitere Folge der Krise wird nach Einschätzung der EIB eine gewaltige Investitionslücke in Europa sein. Wie stark betrifft dies auch deutsche Unternehmen?

Ja, der neue Investitionsbericht der Bank zeigt besorgniserregende Investitionslücken auf, davon ist auch Deutschland nicht ausgenommen. Fast jedes zweite Unternehmen mit Investitionsplänen in Deutschland will wegen der Covid-19-Pandemie weniger als geplant investieren. Das gilt besonders für Firmen im verarbeitenden Gewerbe. Natürlich wird es am Ende vom Verlauf der Pandemie abhängen, wie stark die Unternehmen ihre Ausgaben zurückfahren, aber gerade für kleine und mittelgroße Betriebe ist es von erheblicher Bedeutung, vor allem bei der Digitalisierung nicht zu stark auf die Bremse zu treten, denn hier besteht grundsätzlich erheblicher Handlungsbedarf. Gerade die Erfahrung der letzten Monate hat dies vielerorts nochmals verdeutlicht.

Betreffen die Investitionskürzungen auch Bereiche wie etwa den Klimaschutz?

Ja. Gleiches gilt auch für den Bereich Klima und Energieeffizienz, wo erhebliche Investitionen vonnöten sind. Lassen Sie mich hier auch noch einmal betonen: Klimaschutz und Innovation sind eng miteinander verwoben. Ohne technologische Neuerung unter Einbindung der Digitalisierung werden wir den Kampf gegen den Klimawandel nicht gewinnen.

Die EIB hat im November 2020 eine Roadmap für ihre Entwicklung hin zu einer „Klimabank“ beschlossen. Was werden die größten Veränderungen bis 2025 sein – für die Bank und für ihre Kunden?

Der Klimabank-Fahrplan der EIB-Gruppe ist unser neuer strategischer und operativer Handlungsrahmen, als Klimabank der Europäischen Union. Die EIB-Gruppe hat sich mit dem Fahrplan drei übergeordnete Ziele gesetzt: erstens, bis 2025 den Anteil der Investitionen in Klimaschutz und ökologische Nachhaltigkeit auf über 50% unserer jährlichen Finanzierungen zu erhöhen; zweitens, im anstehenden, für die Bekämpfung des Klimawandels kritischen Jahrzehnts grüne Investitionen von einer Billion Euro anzustoßen, und drittens, per Ende 2020 sämtliche neuen Finanzierungen an den Zielen des Pariser Abkommens auszurichten.

Was folgt daraus ganz konkret?

Daraus folgt im Umkehrschluss, dass zahlreiche Investitionen jetzt für die EIB-Gruppe tabu sind: Das betrifft Investitionen, die auf die herkömmliche Nutzung fossiler Energieträger setzen wie zum Beispiel den Bau neuer konventioneller Kraftwerke, CO2-intensive Landwirtschaft oder die Erweiterung der Kapazität von Flughäfen und den Bau neuer konventioneller, energieintensiver Kraftwerke.

Und sonst?

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch noch anmerken, dass der Fokus der Bank im Kampf gegen den Klimawandel nicht nur auf der Kreditseite liegt, sondern auch in der Refinanzierung: Die EIB hat bereits 2007 die erste grüne Anleihe begeben und ist damals sehr belächelt worden. Heute hat der Markt für Green Bonds ein Volumen von mehr als 900 Mrd. Euro, und wir sind stolz auf unsere Vorreiterrolle. Wir hören aber bei Green Bonds nicht auf, sondern erweitern das Spektrum unserer Nachhaltigkeitsanleihen jetzt auch auf Investitionen im Wassersektor, im Bildungs- und im Gesundheitswesen und seit neustem auch auf den Erhalt von Biodiversität.

Welche Auswirkungen hat die stärkere Hinwendung in Richtung Klimafinanzierung für Deutschland?

Die EIB-Gruppe sieht sich auf dem Weg zu einer kohlenstoffarmen, klimaresilienten und ökologisch nachhaltigen Wirtschaft als starker Partner Deutschlands, zum Beispiel mit Projekten zur Stärkung der Energieeffizienz von bezahlbarem Wohnraum, zur Förderung von innovativen Lade- und Energiemanagementsystemen für Elektrofahrzeuge und zur Forschung und Entwicklung für Klimaschutz in der Landwirtschaft.

Wie viel Geld haben Sie denn 2020 in Deutschland für Klima-Investitionen in die Hand genommen?

Insgesamt haben wir im vergangenen Jahr in Deutschland Projekte, die direkt, aber auch solche, die mit der Erforschung neuer Technologien mittelbar zum Klimaschutz beitragen, im Volumen von 2,8 Mrd. Euro finanziert, das ist knapp die Hälfte des Investmentvolumens der EIB. Eine solch starke Präsenz auf dem Weg zu einer dekarbonisierten Wirtschaft wollen wir ebenfalls in diesem Jahr in Deutschland zeigen, wie im Übrigen auch im gesamten Europa. Dafür stehen EU-weit 25 Mrd. Euro zur Verfügung.

Reichen die Klima-Investitionen der deutschen Unternehmen aus Sicht der EIB aus?

Was mich dabei gerade für Deutschland sehr positiv stimmt, sind Zahlen aus unserer jüngsten Investitionsstudie für Deutschland. Danach hat jede zweite Firma – sprich: 52% – bereits Investitionen zur Verbesserung der Energieeffizienz vorgenommen, was ein deutlicher Sprung zum Vorjahr ist, als es nur 39% waren. Außerdem wollen in den kommenden drei Jahren sieben von zehn Firmen Schritte zur Reduzierung des Energieverbrauchs vornehmen. Das deckt sich mit unserem übergeordneten Ziel, die aktuellen Investitionen zur Überwindung der Covid-19-Krise für eine Umstellung auf eine klima- und umweltfreundliche Wirtschaft zu nutzen.

Das Interview führte