Altersvorsorge

Wenn der Traum vom eigenen Heim zur Illusion wird

Deutschland war in Europa schon immer Schlusslicht bei der Wohneigentumsquote. Zuletzt zeigte der Trend zudem nach unten. Jungen Menschen gelingt es heutzutage viel seltener als früheren Generationen, den Traum vom eigenen Haus zu verwirklichen.

Wenn der Traum vom eigenen Heim zur Illusion wird

Von Silke Stoltenberg, Frankfurt

Seit Jahren kennen die Preise für Immobilien nur eine Richtung – nach oben. Während sich in vielen Regionen Hauseigentümer über den steigenden Wert ihrer Immobilie freuen können oder Spekulanten satte Renditen einfahren, hat zugleich ein besorgniserregender Prozess eingesetzt: Immer weniger junge Menschen können sich ein eigenes Häuschen leisten – mit weitreichenden Folgen für die eigene Altersvorsorge.

Schlusslicht in Europa

Deutschland ist im europäischen Vergleich ohnehin schon immer Schlusslicht in der Wohneigentumsquote gewesen. Nur jeder zweite Bürger wohnt hierzulande in eigenen vier Wänden, während es beim Spitzenreiter Rumänien 96% sind, wie Daten aus dem Jahr 2019 von Eurostat zur Wohneigentumsquote in Europa zeigen. Hinzu kommt: Fast die Hälfte der deutschen Häuslebesitzer ist verschuldet, während in Rumänien fast alle Eigentümer schuldenfrei sind. Zudem zeigen die Daten aus Deutschland, dass nach moderaten Steigerungen des Wohneigentums in den Vorjahren nunmehr eine Trendumkehr festzustellen ist. Nach einer Analyse von Empirica und LBS (Landesbausparkassen) Research, die eine andere Berechnungsgrundlage als die europäischen Statistiker haben, lag die Wohneigentumsquote 2018 nur noch bei 42% – das war ein Prozentpunkt weniger als fünf Jahre zuvor bei der vorherigen Erhebung.

Das schwach ausgeprägte Wohneigentum in Deutschland liegt dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) zufolge vor allem an der Wohnungspolitik direkt nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals wurde für den schnellen Wiederaufbau der Sozialwohnungsbau bevorzugt, viele Mietwohnungen entstanden. Zugleich gab es in anderen europäischen Ländern eine bewusst vorangetriebene Eigentumspolitik durch steuerliche Vorteile oder Mietenstopps. Die zwischen den Interessen der Mieter und Vermieter vergleichsweise ausgewogene Mietengesetzgebung in Deutschland sorgte für ein Übriges.

Es ist absehbar, dass in den kommenden Jahren hierzulande sogar noch weniger Bürger in den eigenen vier Wänden wohnen werden. Denn der Anteil der älteren Menschen unter den Immobilienbesitzern wächst stetig, während der Anteil der jungen Familien immer kleiner wird. Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) des DIW Berlin (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung), die regelmäßige Befragung von Privathaushalten in Deutschland, zeigte zuletzt, dass der Anteil der Eigentümerhaushalte mit einem Alter von über 65 Jahren 2019 bei 40% lag, während es im Jahr 2000 nur 27% waren. Der Anteil der unter 45-Jährigen halbierte sich im selben Zeitraum von mehr als 30% auf lediglich 15%.

„Wer es aber in jungen bis mittleren Jahren nicht geschafft hat, eine Immobilie zu erwerben, dem wird das zehn Jahre später noch viel unwahrscheinlicher gelingen – somit wird sich der Trend der abnehmenden Wohneigentumsquote in Deutschland in den nächsten Jahren fortsetzen, da zugleich ältere Wohneigentümer versterben. Das heißt perspektivisch, dass in den nächsten Jahrzehnten weniger Rentner in den eigenen vier Wänden leben, sondern zunehmend zur Miete“, sagt Irina Berenfeld, Referentin für Wohnungs- und Vermögenspolitik bei LBS Research. So ist der Anteil der 70- bis 79-Jährigen in Wohneigentum am höchsten von allen anderen Altersgruppen. Diese konnten im Gegensatz zur Kriegsgeneration insbesondere in Westdeutschland in jüngeren Jahren dank ihres Wohlstandsvorsprungs zu Wohneigentum kommen. Und die allermeisten von ihnen wohnen noch in den Gebäuden, die zumeist aus den 1970er Jahren stammen.

Geringere Zinsbelastung

Doch wie kommt es, dass es im Gegensatz zu dieser Generation den Jüngeren heutzutage nicht mehr gelingt, ein eigenes Häuschen zu bauen oder zu erwerben? Trotz steigender Einkommen und niedrigster Hypothekenzinsen, trotz gestiegener Erbschaften und Schenkungen durch die Elterngeneration an ihre Nachkommen? So ist die Belastung durchschnittlicher Einkommen mit den Kreditraten für ein Eigenheim mit 125 Quadratmetern Wohnfläche laut Empirica trotz der weiter gestiegenen Preise im Jahr 2020 immer noch niedriger gewesen als in der zweiten Hälfte der 2000er Jahre. Insgesamt hat ein Käufer heute bei gleichem Darlehensbetrag eine um etwa 133000 Euro geringere Zinsbelastung als noch 2008, hat das IW errechnet. Durchschnittlich sanken die Kosten zwischen 2011 und 2020 für ein Annuitätendarlehen um 6%.

Angesichts dieser Entwicklungen ist es erstaunlich, dass die Zahl der jüngeren Wohneigentumsbesitzer schrumpft. Der Knackpunkt ist aber der gestiegene Eigenkapitalbedarf als notwendiger Anteil an der Finanzierung. Denn die Faustregel besagt, dass mindestens 25% des Kaufpreises sowie die Erwerbsnebenkosten mit Eigenkapital bestritten werden sollten. Zugleich sollten die Kreditraten nicht mehr als 35% des Nettoeinkommens ausmachen.

Das Eigenkapital reicht nicht

Da die Preise für Immobilien, Baugrund, Baukosten und Nebenkosten in den vergangenen Jahren nach oben geschnellt sind, fehlt es immer mehr jungen Menschen an Eigenkapital, um sich den Traum vom eigenen Heim leisten zu können. Die Preise für Immobilien stiegen im Zeitraum 2005 bis 2020 nach Berechnungen des IW durchschnittlich um 75,3%. Das entspricht einem jährlichen Anstieg von 3,8%. Die Kosten für eine Immobilie betragen im Schnitt 354000 Euro. Das entspricht 7,4 Jahreshaushaltseinkommen (netto). In den Städten und Ballungsräumen liegen die Preise und Steigerungsraten über denjenigen der ländlichen Gegenden. In den Metropolen wuchsen die Preise um 134%, in den Landkreisen nur um knapp 60%.

Mit Blick nach vorn zeichnet sich keine Entspannung ab: Die Immobiliengesellschaften der LBS und Sparkassen erwarten bis Jahresende Preissteigerungen zwischen gut 4% für neue Reihenhäuser und knapp 7% für Bauland. Gebrauchte Einfamilienhäuser könnten sich demnach um rund 5% verteuern. Zugleich werden auch die Zinsbelastungen wieder zunehmen. Laut Deutscher Bank lagen die fünf- bis zehnjährigen Hypothekenzinsen zuletzt bei 1,06%. Angesichts gestiegener Kapitalmarktzinsen erwarten die Baufinanzierungsexperten des Instituts für das Jahresende 2021 bereits 1,25%.

Nebenkosten tun weh

Schmerzhaft ist auch der Anstieg der Baukosten in den vergangenen Jahren gewesen: Während die Verbraucherpreise im Jahr 2020 um gerade einmal 5,8% über ihrem Niveau von 2015 lagen, stiegen die Preise für Bauleistungen laut LBS Research im selben Zeitraum um 16,4%.

Zudem sind die Erwerbsnebenkosten (z.B. Grunderwerbsteuer, Maklerprovision, Notargebühren) eine immer größere Hürde beim Immobilienerwerb: Waren im Jahr 2010 noch 25761 Euro für eine durchschnittliche Eigentumsimmobilie von 132 Quadratmetern aufzubringen, lagen die Erwerbsnebenkosten dem IW zufolge im Jahr 2020 bei 44401 Euro. Das bedeutet einen Anstieg um 72%.

Wegen dieser enorm gestiegenen Gesamtkosten rund um die eigene Immobilie wächst das benötigte Kreditvolumen. Im Durchschnitt werden in Deutschland laut IW 85% der Immobilien über ein Darlehen finanziert. So wurden im vergangenen Jahr laut dem Verband deutscher Pfandbriefbanken für den Bau, die Modernisierung und den Erwerb von Wohnimmobilien Darlehen in Höhe von 250 Mrd. Euro zugesagt, was gegenüber dem Vorjahr einem Anstieg um rund 10% entspricht.

Wegen der gestiegenen Gesamtkosten steigt aber auch der Eigenkapitalanteil, den Häuslebauer mitbringen müssen. Gemäß Berechnungen von Empirica für 2020 hatten nur noch 241000 jüngere Mieterhaushalte zwischen 30 und 44 Jahren die Chance, durch ausreichend Eigenkapital den Sprung ins Eigentum zu schaffen. Das waren keine 5% der Haushalte dieser Altersgruppe, die das Potenzial zum Ersterwerb einer Immobilie hatten. Vor zehn Jahren waren es noch doppelt so viele (siehe Grafik). Die meisten Interessenten scheitern also weniger am Einkommen als an der Eigenkapital-Hürde.

Eine weiter abnehmende Wohneigentümerquote auf ohnehin niedrigem Niveau hat aber drastische Folgen für die finanzielle Situation im Alter. Denn je älter man wird, umso stärker steigt die Belastung durch Mietzahlungen, während die Aufwendungen für Instandhaltung und für das Abbezahlen der Kredite verhältnismäßig immer geringer werden. Ist der Eigentümer erst einmal schuldenfrei, werden die Vorteile des Eigentums immer größer. Der Wohneigentümer muss laut LBS Research nur noch jeden sechsten Euro fürs Wohnen ausgeben, der Mieter fast jeden dritten Euro (siehe Grafik). Laut DIW Berlin liegt bei zwei Dritteln aller älteren Mieterhaushalte die Wohnkostenbelastung über 30% des verfügbaren Einkommens (Stand 2017). Zwischen 1996 und 2016 stieg diesen Berechnungen zufolge die Wohnkostenbelastung für die älteren Mieterhaushalte wegen stark gestiegener Mieten um sieben Prozentpunkte auf rund 34% und für die älteren Eigentümerhaushalte lediglich um vier Prozentpunkte auf rund 15%.

Höhere Wohnkosten im Alter

„Angesichts der rückläufigen Wohneigentumsquote bei jüngeren Menschen ist absehbar, dass diese im Alter deutlich höhere Wohnkosten zu stemmen haben als die heutigen älteren Menschen“, so Berenfeld. Wachsen die Ausgaben fürs Wohnen stetig an, bleibt logischerweise weniger Luft zum Sparen für die Altersvorsorge. Zugleich legen laut Berenfeld Hausbesitzer einen guten Teil des Einkommens vorsorglich für erwartete Instandsetzungen zur Seite, weit über den Bedarf hinaus. Auch das trägt zum Vermögensaufbau fürs Alter wesentlich bei. In der Folge haben bereits Haushalte im Alter von 50 bis 59 Jahren bei gleichem monatlichen Nettoeinkommen als Eigentümer ein Vermögen laut Empirica/LBS von durchschnittlich 190100 Euro (Immobilienwert eingerechnet), während Mieter nur auf 35900 Euro kommen (Stand 2018). Das Vermögen der Eigentümer steigt laut Berechnungen des IW bei älteren Haushalten sogar auf deutlich über 200000 Euro, während es bei Mietern auf rund 30000 Euro fällt.

Wegen der niedrigen Zinsen hat Wohneigentum für die Altersvorsorge zuletzt noch an Stellenwert ge­wonnen. Lebensversicherungen und betriebliche Altersvorsorgesysteme bringen kaum noch Renditen, die Wertpapierkultur hierzulande ist trotz jüngster Besserungssignale nur schwach ausgeprägt. „Vor dem Hintergrund der Zinsentwicklung, aber auch wegen des zu erwartenden sinkenden Rentenniveaus ist privat genutztes Wohneigentum ein sehr sinnvoller Beitrag für die Altersvorsorge. Dabei sollte aber auch die individuelle Situation bedacht werden: Wer viel beruflich umziehen muss, für den ist eine eigene Immobilie zunächst kein Thema“, sagt Berenfeld. Später, wenn es dann doch in Frage komme, fehle es aber oft am Eigenkapital. Deshalb sollte regelmäßiges Sparen auch während des Mieter-Daseins nicht ausbleiben, meint sie. „Wichtig mit Blick auf die Immobilie ist auch, dass Eigentümer nicht auf einen steigenden Wert setzen sollten. Solange sie darin wohnen, ist es nicht entscheidend, ob Immobilien an Wert gewinnen oder verlieren.“

Gerade mit Blick auf die Zukunft der Riester-Rente oder künftig anderer Vorsorgekonzepte – ein Thema, das unter der neuen Bundesregierung wohl endlich angepackt werden dürfte –, ist es der LBS-Referentin sehr wichtig, eines zu betonen: „Egal, welche neuen Formen des Altersvorsorgesparens es künftig geben sollte, die Politik darf auf keinen Fall die Förderung des Wohneigentums vergessen.“

Was die Politik machen kann

Dass die Politik Maßnahmen zur Förderung des Wohneigentums ergreifen sollte, darin weiß sich Berenfeld mit den Wirtschaftsforschungsinstituten einig. Vorschläge, wie hierzulande jungen Menschen beim Immobilienerwerb geholfen werden könnte, gibt es zuhauf. Denkbar wären der Ausbau von bestehenden Sparfördermöglichkeiten (Wohnungsbauprämie, Arbeitnehmersparzulage, Wohn-Riester).

Auch raten die LBS-Experten dazu, das Baukindergeld neu aufzulegen, das 2023 ausläuft und nur für genehmigte oder gekaufte Objekte bis Ende März 2021 gilt. Auch die Senkung der Grunderwerbsteuer bei Erstbesitz wird von der LBS wie auch von anderen Wirtschaftsforschungsinstituten in die Diskussion eingebracht. Die Ausweisung von mehr Bauland hält Berenfeld ebenfalls für wichtig. Selbst in Städten sei dies möglich, indem auf geringerer Grundfläche mehr Geschosse gebaut würden. Dem DIW Berlin wiederum schwebt eine explizite Sozialkaufprämie vor, um insbesondere Menschen mit geringerem Einkommen und zu wenig Eigenkapital zu unterstützen.

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