IM BLICKFELD

Zinsreform hält Aufseher und Marktteilnehmer in Atem

Von Bernd Neubacher, Frankfurt Börsen-Zeitung, 7.11.2019 Die Reform der Zinssätze Eonia und Euribor hält Aufsicht und Marktteilnehmer in Atem. Nachdem der Übernachtsatz Estr als Nachfolger des noch bis Ende 2021 fortexistierenden Eonia eingeführt...

Zinsreform hält Aufseher und Marktteilnehmer in Atem

Von Bernd Neubacher, FrankfurtDie Reform der Zinssätze Eonia und Euribor hält Aufsicht und Marktteilnehmer in Atem. Nachdem der Übernachtsatz Estr als Nachfolger des noch bis Ende 2021 fortexistierenden Eonia eingeführt worden ist, rücken die praktischen Probleme der Umstellung in den Blickpunkt. So drängt sich etwa die Frage auf, wie bis Ende 2021 das Volumen der noch auf Eonia und Euribor lautenden Kontrakte zu steuern ist.Im Libor-Raum haben bereits die Alarmglocken geklingelt. Denn wie Daten des London Clearing House (LCH) zeigen, hat das Kontraktvolumen der über Anfang 2022 hinausreichenden Vereinbarungen keineswegs ab-, sondern vielmehr deutlich zugenommen, da nun zusehends kürzere Laufzeiten über den Stichtag Ende 2021 hinaus Bestand haben (siehe Grafik). In Großbritannien hat die Notenbank den Marktteilnehmern daher schon Konsequenzen angedroht. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) hat dies auf den Plan gerufen. Wie eine Sprecherin auf Anfrage mitteilt, hat die dort angesiedelte Bankenaufsicht von den Großbanken der Eurozone Daten angefordert, um sich einen Überblick über die auf Eonia und Euribor basierenden Engagements sowie über deren Laufzeiten zu verschaffen. Derzeit analysiere man die Ergebnisse, bevor über die nächsten Schritte entschieden werde, heißt es.Die Reform der Zins-Benchmarks Eonia und Euribor ist für Europas Banken nach der Derivate-Richtlinie Emir, der Finanzrichtlinie Mifid II, dem Brexit und der Zahlungsdiensterichtlinie PSD2 das nächste Mammutprojekt. Nach Zinsmanipulationsskandalen in der Vergangenheit wird der auf Bankenangaben basierende Eonia abgelöst vom Übernachtsatz Estr, den die EZB mit Hilfe der Geldmarktstatistik ermittelt.Der Euribor für längere Ausreichungen behält seinen Namen, seine Basis aber sollen nicht mehr Preisangaben von Banken, sondern reale Transaktionen sein, hilfsweise vergleichbare Geschäfte sowie in letzter Instanz Schätzungen – dass sich dieser “hybride” Ansatz durchsetzt, wird im Markt schon jetzt bezweifelt. Simulationen zeigten für einige Laufzeiten eine zu starke Abhängigkeit von solchen Schätzungen, heißt es. Nach einer Probezeit von etwa zwei Jahren werde diese Benchmark daher vor allem für internationale Investoren ihre Relevanz verlieren.Auf dem Spiel steht einiges: Am Eonia hängen Derivateverträge im Volumen von 22 Bill. Euro. An den Euribor sind Papiere über 109 Bill. Euro gekoppelt. Um einen friktionsarmen Übergang zu sichern, hatten Eurolands Bankenaufseher die Institute vor Monaten aufgefordert, ihnen bis Ende Juli detailliert darzulegen, welche Schlüsselrisiken sie im Zuge der Umstellung sehen, wie sie diese mindern wollen und welcher Manager in der Bank die Reform verantwortet. Ob die Aufseher ihr Feedback auf diese Erhebung publizieren werden, etwa in Form einer Leitlinie, ist dem Vernehmen nach noch offen. Im Markt herrscht bisher nicht der Eindruck vor, als wollte die Aufsicht den Instituten ohne Not Knüppel zwischen die Beine werfen. Auch die EZB wolle, dass die Zinsreform glücke, und systemische Risiken vermeiden.In Großbritannien bescheinigte die Financial Conduct Authority (FCA) einigen Instituten bereits im Juni öffentlich, dass dem Management schlicht die erforderlichen Informationen fehlten, welche Libor-Kontrakte wann und wo fällig werden – vor dem Hintergrund, dass Banken ihre Kontrahenten in jedem einzelnen Fall dazu bewegen müssen, über 2021 hinausreichende Vereinbarungen anzupassen, ist dies ein bemerkenswerter Befund.Komplex werden kann ein solches Unterfangen vor allem, wenn Verträge unterschiedliche Währungsräume betreffen, für die wiederum unterschiedliche Zinsreformen geplant sind, und Banken es überdies womöglich mit Parteien zu tun haben, die ihrerseits keinen Zwang haben, auf Estr zu wechseln. Auch stehen Banken vor der Frage, wann sie die Bewertung ihres Geschäfts auf Estr umstellen sollen. Erst am Dienstag hat eine von der EZB initiierte Arbeitsgruppe einen 40 Seiten starken Bericht unter anderem zu der Frage veröffentlicht, welche Folgen eine Umstellung für die Bilanzierung von Absicherungsinstrumenten hat. Kompliziert wird es, wenn der Vertrag zu einem anderen Zeitpunkt umgestellt wird als die zugehörige Absicherung.Unter Juristen werden weitere Risiken herumgereicht. Zwar ist Estr für die Zeit Ende 2021 als “Eonia minus 8,5 Basispunkte” definiert, so dass einfache Arbitrage-Geschäfte nicht möglich sind. Beobachter erinnern indes an das Jahr 2008, als der Übernacht-Swap-Satz (OIS) den Libor als Maßstab für die Diskontierung cash-besicherter Swaps ablöste und manche Bank mit rechtem Timing beim Wechsel Reibach machte – auch weil der niedrigere Swap-Satz in einer höheren Zahlungsverpflichtung und damit höheren Vorauszahlungen resultierte.Es sei kein Zufall, wenn sich etwa Makro-Hedgefonds auch angesichts der Möglichkeiten im außerbörslichen Derivatemarkt intensiv mit der Zinsreform befassten, heißt es. Denkbar seien auch Fälle, in denen sich Derivatehändler eines Hauses Informationen darüber zu Nutze machten, wann ihre Bank die Verträge großer Kunden umstelle. Banken sollten nicht nur vermehrt Personal im Kreditgeschäft und der IT vorhalten, sondern sich auch wappnen für Ansprüche von Kunden. Denn manch einer argumentiere womöglich, er wäre mit einer Umstellung der Verträge zu einem anderen Zeitpunkt besser gefahren.