Nachhaltigkeit

ESG-Reporting geht in die entscheidende Phase

Die EU-Kommission muss absehbar die Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung vollenden. Nach harscher Kritik der Emittenten wurden die Entwürfe gestrafft, doch die Komplexität bleibt hoch.

ESG-Reporting geht in die entscheidende Phase

In der europäischen Nachhaltigkeitsberichterstattung kommt es zum Schwur. Ende November vergangenen Jahres hat Erfrag, die auf EU-Ebene für die Entwicklung der Standards eingesetzte Expertengruppe, den ersten Satz an finalen Entwürfen für das ESG-Reporting an die EU-Kommission übergeben. Den regulatorischen Rahmen dafür steckt die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) ab; sie verpflichtet die Unternehmen auf eine umfangreiche Offenlegung von Nachhaltigkeitsinformationen.

Die EU fordert den Unternehmen mit der Richtlinie sehr differenzierte Informationen und genau definierte Kennzahlen ab – über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg. Damit soll eine Vergleichbarkeit der Informationen und eine einheitliche Anwendung garantiert werden.

Im Sinne der EU-Taxonomie ist die Berichterstattung auch Mittel zum Zweck. Sie soll nicht nur Transparenz schaffen, sondern gleichzeitig dazu motivieren, dass sich Firmen mit den ökologischen und sozialen Auswirkungen ihres Handelns auseinandersetzen und prüfen, ob ihr Geschäftsmodell nachhaltig ist. Transparenz soll idealtypisch für Transformation sorgen.

Viel Gegenwind

Im Konsultationsverfahren für die Entwürfe der European Sustainability Reporting Standards (ESRS) hagelte es von Emittentenseite viel Kritik an den vorgeschlagenen Regeln. Sie seien zu umfangreich und komplex und in ihrer Begrifflichkeit weit von den globalen Regelentwürfen des internationalen Standardsetzers ISSB entfernt, wurde moniert. Auf diese Einwände hat Efrag nach eigener Aussage reagiert, die Vorgaben gestrafft und eindeutiger gefasst.

Der Ball liegt nun bei der EU-Kommission, der es freisteht, die ESRS-Entwürfe nach eigenem Gusto inhaltlich zu überarbeiten, bevor sie diese bis zum 30. Juni auf dem Wege delegierter Rechtsakte verabschieden wird. Die EU-Kommission wird sich in der inhaltlichen Würdigung in einer Konsultation mit verschiedenen Institutionen abstimmen, darunter europäische Aufsichtsbehörden wie ESMA, EBA oder EIOPA, und die ESG-Ex­pertengruppen der einzelnen Mitgliedstaaten. Im Anschluss daran haben der Europäische Rat und das Europäische Parlament zwei Monate Zeit, ihre Bedenken zu äußern. Die Anwendung der neuen ESG-Reporting-Standards ist zeitlich gestaffelt worden, wobei die ersten Unternehmen erstmals für das Geschäftsjahr 2024 ihre Nachhaltigkeitsberichterstattung nach den EU-Vor­gaben veröffentlichen müssen.

Mit diesem ersten Wurf an Standards wird es mittelfristig nicht getan sein. Die Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Deloitte geht in einer Analyse davon aus, dass Efrag voraussichtlich im November 2023 einen zweiten Satz an European Sustainability Reporting Standards an die EU-Kommission geben wird. Diese Standards sollen erneut im Wege delegierter Rechtsakte erlassen werden, und zwar bis 30. Juni 2024. Dieser zweite Satz an Normen wird laut Deloitte spezifische Regeln für kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) sowie für Nicht-EU-Unternehmen enthalten. Auch die ersten branchenspezifischen Standards könnten dann auf dem Tisch liegen. Weitere auf Branchen bezogene Regeln, ein dritter und vierter Satz mit insgesamt etwa 40 Standards, würden in der Folgezeit erarbeitet und vermutlich im Laufe der Jahre 2024 und 2025 an die EU-Kommission weitergeleitet.

Aus Sicht des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW) sind einige Punkte in den überarbeiteten Standards von Efrag durchaus positiv zu bewerten. Die Anpassung der Efrag-Entwürfe in Struktur und Begrifflichkeit geht aus Sicht von IDW-Vorstandssprecher Klaus-Peter Naumann in die richtige Richtung. Denn damit nähere man sich den Vorschlägen des internationalen Standardsetzers ISSB. „Efrag ist offensichtlich bemüht, sich nicht zu weit von den Standards des ISSB zu entfernen“, sagt Naumann. Es bleibe aber an der für sich unbefriedigenden Situation, dass es in der Nachhaltigkeitsberichterstattung neben den globalen Standards noch europäische geben wird, schränkt er ein.

Er verstehe sehr wohl, dass sich die EU beim Thema ESG als First Mover betrachte und das Momentum nutzen wolle. „International tätige Unternehmen werden aber dennoch globale Standards benötigen. Denn es braucht international einheitliche Spielregeln im ESG-Reporting“, unterstreicht Naumann. Am Ende sollte es aus seiner Sicht keine Abweichungen zwischen den beiden Standardsetzern Efrag und ISSB geben. „Mit der Angleichung von Struktur und Begrifflichkeiten ist die Voraussetzung für eine Harmonisierung der beiden Welten geschaffen“, gibt er sich zuversichtlich.

Mit Blick auf die von Efrag veranlassten Anpassungen hebt Naumann hervor, dass es im ursprünglichen Entwurf eine zentrale Aussage gegeben habe, dass jedes in den Standards genannte Nachhaltigkeitsthema als wesentlich und damit berichtspflichtig anzusehen ist. Man bezeichnete dies als eine widerlegbare Annahme, die sogenannte „Rebuttable Presumption“. Das hatte zur Folge, dass ein Unternehmen alle Berichtspflichten erfüllen musste, wenn es nicht explizit darlegen konnte, dass die Wesentlichkeit einer geforderten Information nicht gegeben ist. „Damit war eine recht hohe Hürde aufgebaut worden“, sagt Naumann. Das habe Efrag neu geregelt. Auf die „Rebuttable Presumption“ werde verzichtet. Stattdessen müsse jedes Unternehmen nun individuell entscheiden, ob eine Angabe für die Adressaten relevant sei. Das reduziere die Komplexität.

Aus ursprünglich 13 Standardentwürfen sind nun zwölf geworden, weil Efrag zwei zusammengeführt hat. Die Anzahl der einzelnen Berichtsanforderungen ist deutlich von 136 auf 84, die der sogenannten Datenpunkte, also Angabepflichten, von 2 161 auf 1 144 zusammengestrichen worden.

„Das spricht für eine deutliche Reduktion der Komplexität, doch rund 1 000 Datenpunkte sind immer noch extrem viel“, meint Naumann. Man müsse sich genau ansehen, ob man diese Datenpunkte alle benötige. „Solche Informationen bereitzustellen, kostet die Unternehmen viel Geld, sie zu prüfen kostet erneut viel Geld, sie zu verstehen und auszuwerten kostet die Adressaten schließlich ebenfalls viel Geld“, sagt der IDW-Vertreter.

Das Ganze müsse einer Kosten-Nutzen-Abwägung standhalten. „In der Finanzberichterstattung sehen wir auch, dass in vielen Bereichen mit zahlreichen KPIs gearbeitet wird, sich die Analysten dann aber doch nur auf wenige Kernkennzahlen stützen. Die Reduktion der Anforderungen sieht toll aus, wir sollten uns davon aber nicht blenden lassen“, mahnt Naumann.

Kein Sprung ins kalte Wasser

Aus Sicht von Efrag soll es Anwendungserleichterungen für die ersten Berichtsjahre geben; zum Beispiel können bestimmte Angaben finanzieller Aspekte aus Umweltthemen qualitativ statt quantitativ gegeben werden. „Ich finde es gut, dass man an der Stelle anerkennt, dass die Unternehmen in diese Berichtspflichten reinwachsen müssen. Ob diese Einzelregelungen umfänglich genug sind, muss man sich anschauen“, unterstreicht Naumann. Das IDW habe sich grundsätzlich für eine schrittweise Implementierungsphase ausgesprochen, mit Erleichterungen abhängig von Struktur und Größe der Unternehmen.

Nach Kenntnis des IDW dürfte die EU-Kommission im März 2023 noch eine kurze Frist für öffentliche Stellungnahmen einräumen. Mit Blick auf das Konsultationsverfahren warnt Naumann: „Es darf keine Alibi-Veranstaltung werden.“ Denn dann sei die Konsultation nicht hilfreich und man hätte mit den vorliegenden Efrag-Standards bereits das Endergebnis des Prozesses gesehen. „Eine Konsultation sollte das Ziel haben, die Sachargumente der Betroffenen zu hören und sie dann entsprechend zu würdigen.“

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