US-Staatsanleihen

Clearing-Reform soll anfälligen Treasury-Handel stabilisieren

Eine verpatzte Auktion von US-Staatsanleihen lenkt die Aufmerksamkeit der Marktteilnehmer auf Risiken im Clearing. Denn die dort aktiven Intermediäre müssen täglich Trades in schwindelerregender Höhe verrechnen – und werden dabei zunehmend durch Cyberangriffe gestört.

Clearing-Reform soll anfälligen Treasury-Handel stabilisieren

Risiken im Clearing beunruhigen Bondinvestoren

Cyberangriffe auf Intermediäre als Gefahr für Finanzstabilität – US-Börsenaufsicht SEC will Anleihehandel durch Reform stabilisieren

Eine verpatzte Auktion von US-Staatsanleihen lenkt die Aufmerksamkeit der Marktteilnehmer auf Risiken im Clearing. Denn die dort aktiven, teils schwach kapitalisierten Intermediäre müssen täglich Trades in schwindelerregender Höhe verrechnen – und werden dabei zunehmend durch Cyberangriffe gestört.

Von Alex Wehnert, New York

Verwerfungen im 25 Bill. Dollar schweren Treasury-Markt rücken Anfälligkeiten der US-Handelsinfrastruktur ins Rampenlicht. So hat eine verpatzte Emission von US-Staatsanleihen im November Diskussionen über die Clearing-Systeme ausgelöst, über die Primärhändler und Investoren ihre Trades verrechnen und somit die Abwicklung vorbereiten.

Bei der fraglichen Auktion mussten die als Dealer eingespannten Banken nahezu 25% der begebenen 30-Jährigen Treasuries im Gesamtvolumen von 24 Mrd. Dollar auf die eigenen Bücher nehmen.  Der Anteil fiel damit nahezu doppelt so hoch aus wie im Schnitt der vergangenen sechs Monate. Angesichts der niedrigen Beteiligung an der Auktion schnellte die Rendite der T-Bonds in die Höhe, bevor Spekulationen über Zinssenkungen der Federal Reserve die Investoren wieder beruhigten.

Als Grund für die Dislokation führt Charlie McElligott, Makro-Stratege bei der japanischen Investmentbank Nomura in New York, zwar einerseits fundamentale Nachfragefaktoren und ein wenig attraktives Rendite-Risiko-Profil langlaufender Treasuries nach der vorangegangenen Bondmarktrally an. Andererseits habe sich aber ein Hackerangriff auf den US-Arm der chinesischen Großbank ICBC bemerkbar gemacht. Denn die US-Sparte ICBC Financial Services ist wie die Finanzriesen J.P. Morgan und Goldman Sachs und viele spezialisierte Finanzvermittler Mitglied der Fixed Income Clearing Corporation (FICC), einer zentralen Institution im Staatsanleihemarkt.

Insbesondere im Clearing von Repo-Geschäften für Hedgefonds nimmt die New Yorker Vertretung der Chinesen eine überproportional große Rolle ein. In dem Segment interagieren die Risikovehikel und andere Eigner großer Wertpapierbestände, darunter Banken und Broker-Dealer, mit Investoren wie Geldmarktfonds, um sich kurzfristig Liquidität zu sichern. Dabei verkaufen sie zumeist festverzinsliche Titel und erwerben sie am nächsten Tag zu einem geringfügig höheren Preis zurück, die Differenz streichen die Investoren als Zinsertrag ein.

Wichtiger Intermediär

ICBC Financial Services ist eins der Häuser, das bei diesen Trades zwischengeschaltet ist und Forderungen sowie Verbindlichkeiten durch Verrechnung ausgleicht. Im Rahmen solcher sogenannten Triparty-Repo-Transaktionen kümmern sich Clearing-Banken als Intermediäre zwischen Wertpapier-Käufern und -Verkäufern auch um die Verwahrung der Sicherheiten und sollen insgesamt dazu beitragen, das Kontrahentenrisiko für die Marktteilnehmer zu reduzieren.

Zumindest im Repo-Markt haben Drittparteien bereits stark an Bedeutung gewonnen. Das monatliche Volumen der Triparty-Repo-Transaktionen hat in den vergangenen Jahren deutlich zugelegt. Belief es sich gemäß der Federal Reserve von New York Anfang 2011 noch auf etwas mehr als 1,6 Bill. Dollar, stieg es im laufenden Jahr auf über 4,8 Bill. Dollar. Im Dezember fällt es mit über 3,8 Bill. Dollar noch immer rund doppelt so hoch aus wie im Durchschnitt des vergangenen Jahrzehnts. Die meisten Transaktionen lassen sich dabei über Fedwire, das elektronische Settlement-System der US-Notenbank, abwickeln. Ein weitaus geringerer Teil, bei dem unter anderem Unternehmensanleihen und hypothekenbesicherte Wertpapiere zum Einsatz kommen, läuft außerhalb von Fedwire ab.

Der Hackerangriff auf den New Yorker ICBC-Arm störte die Abläufe im Segment indes massiv. Dabei nutzten die Cyberkriminellen Angriffspunkte über Cloud-Systeme, die Regulatoren bereits in den Wochen und Monaten zuvor angemahnt hatten. Infolge der Attacke war der Intermediär gezwungen, einen Teil seiner Systeme zu isolieren. Er unterbrach die direkten Verbindungen zum Treasury-Markt und zu einer Plattform der Bank of New York Mellon, über die seine Trades abgewickelt werden. ICBC schuldete dem US-Geldhaus daraufhin zeitweise 9 Mrd. Dollar – ein Vielfaches des Nettokapitals der amerikanischen Clearing-Einheit.

Die chinesische Mutter musste der Sparte darauf Mittel zuführen, um offene Trades abwickeln zu können. Zeitweise stand wohl die Notlösung im Raum, einen mit USB-Sticks ausgerüsteten Boten zwischen den Handelsräumen an der Wall Street hin und her zu schicken, um Transaktionen manuell ausführen zu können. Der Vorgang verschreckte selbst Marktteilnehmer, die ihre Trades nicht über ICBC Financial Services clearen. Insgesamt wurden am 9. November – dem Tag, an dem der Hack durchsickerte – gemäß Daten der FICC-Mutter Depositary Trust Clearing Coporation Treasury-Trades im Volumen von insgesamt mehr als 62 Mrd. Dollar nicht ausgeführt.

Der Vorfall weckt Sorgen um die Stabilität des Staatsanleihemarktes. Die Analysten von Morningstar warnen vor einem möglichen Zusammenbruch mit weitreichenden Folgen. „Eine ausreichend lange Unterbrechung des Treasury-Clearings kann potenziell einen Default oder ein Force-majeure-Ereignis bei vielen Derivaten auslösen“, heißt es in einem Bericht des Analysedienstes. Schließlich sei es üblich, Kontrakte durch US-Staatsanleihen zu besichern. Breche das Clearing zusammen, könnten viele Marktteilnehmer also plötzlich und gleichzeitig aufgrund höherer Gewalt von Zahlungsverpflichtungen entbunden werden.

Institutionen schweigen sich aus

Sprecher der Fixed Income Clearing Corporation wollten sich gegenüber der Börsen-Zeitung nicht zu den Gefahren einer konzertierten Cyberattacke auf mehrere ihrer Mitglieder oder der Notwendigkeit zusätzlicher Schutzmaßnahmen äußern. Das US-Finanzministerium reagierte nicht auf eine Anfrage zu möglichen systemischen Risiken durch die Abhängigkeit bestimmter Teile des Treasury-Markts von kleinen, schwach kapitalisierten Intermediären. Und Stimmen aus dem Umfeld der Federal Reserve, die sich infolge ihres Bilanzabbaus in wesentlich geringerem Umfang an Staatsanleiheauktionen beteiligt als in den Vorjahren, spielen den Einfluss des Cyberangriffs bei ICBC Financial Services auf den Gesamtmarkt herunter.

Allerdings treibt Cybersecurity-Experten und Investoren vor allem eine Frage um: Wenn schon auf Mitglieder der FICC als Institution im US-Markt aufgrund von unzureichenden Sicherheitsmaßnahmen kein hundertprozentiger Verlass mehr ist, welche Gefahren lauern dann noch abseits des zentralen Clearings? Denn im breiten Treasury-Sekundärmarkt, in dem Trades im Volumen von mehr als 530 Mrd. Dollar pro Tag gecleart werden, kommen laut der US-Börsenaufsicht SEC 68% der Transaktionen über bilaterales Clearing zustande.

Der Großteil davon wiederum läuft tatsächlich direkt zwischen Tradern und nicht durch Geschäfte zwischen einem Händler und einem spezialisierten Finanzvermittler wie einem Inter-Dealer Broker ab. Weitere 19,4% werden „hybrid“ gecleart. Sie laufen also über die Plattform eines Inter-Dealer Brokers ab, wobei ein Kontrahent seine Transaktion zum zentralen Clearing einreicht und der andere den Trade bilateral mit dem Finanzvermittler verrechnet. Heißt im Klartext: Weniger als 13% aller Cash-Transaktionen am Treasury-Sekundärmarkt werden vollständig zentral gecleart.

Die SEC will das ändern und hat Mitte Dezember Regeln finalisiert, durch die das zentrale Clearing ausgeweitet werden soll. Vorgeschlagen hatte die Börsenaufsicht die Reform bereits im September 2022, jetzt soll der Treasury-Markt durch sie „effizienter, kompetitiver und widerstandsfähiger“ werden, wie Behördenchef Gary Gensler betonte. Nun sollen praktisch alle Teilnehmer ihre Staatsanleihe-Trades zentral clearen lassen – es sei denn, sie interagieren mit einer Zentralbank, einem Nationalstaat, einer internationalen Finanzorganisation oder einem Privatanleger. Die Clearinghäuser sollen indes angehalten werden, notwendige Besicherungen präziser zu berechnen und konsequenter einzusammeln. Zudem müssen sie sicherstellen, dass sie Marktteilnehmern jederzeit Zugang zu ihren Plattformen bieten können.

Warnung vor Flaschenhals

Die britische Großbank Barclays befürchtet hingegen, dass die Neuregulierung das Gegenteil des beabsichtigen Effekts erreichen wird. Denn die Fixed Income Clearing Corporation stelle derzeit die einzige in den USA verfügbare zentrale Clearing-Plattform für Treasury-Trades und Repo-Geschäfte bereit. Dies bedeutet einen Unterschied zur Situation in anderen Märkten, zum Beispiel in Europa, wo mehr zentrale Dienstleister zur Verfügung stehen. Durch die Reform könnte sich die Aktivität auf den FICC-Systemen laut Barclays-Stratege Joseph Abate mehr als verdoppeln. Dies könne zu einem Flaschenhals bei der Verrechnung und schließlich auch bei der Abwicklung der Trades führen, den das zentrale Clearing eigentlich verhindern solle. US-Intermediäre müssen nun wohl vor allem ihre Sicherheitsmaßnahmen stärken, um die angespannten Nerven der Anleiheinvestoren zu beruhigen.

xaw New York
BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.