TECHNISCHE ANALYSE

Der Dow Jones ist nach unten gut abgesichert

Von Jörg Scherer *) Börsen-Zeitung, 20.1.2021 Für Anleger war das Jahr 2020 reich an Herausforderungen: Coronakrise, Lockdown, negativer Ölpreis, erstmalige Insolvenz eines Dax-Konzerns oder generell Marktbewegungen in Rekordgeschwindigkeit, um nur...

Der Dow Jones ist nach unten gut abgesichert

Von Jörg Scherer *)Für Anleger war das Jahr 2020 reich an Herausforderungen: Coronakrise, Lockdown, negativer Ölpreis, erstmalige Insolvenz eines Dax-Konzerns oder generell Marktbewegungen in Rekordgeschwindigkeit, um nur einige Stichworte zu nennen. Charttechnisch schlägt sich der ganz besondere Jahrgang 2020 in diversen Aktienindizes in einem sog. “Außenstab” nieder. Dieses besondere Phänomen wählen wir als Ausgangspunkt für unseren Blick in die “große charttechnische Glaskugel” des neuen Jahres.Beginnen wir mit der Definition eines solchen “outside year”, welches sich durch ein tieferes Tief und ein gleichzeitig höheres Hoch auszeichnet. Die Grenzen des Vorjahres werden also gesprengt. Im konkreten Fall des Dow Jones umschließt die Hoch-Tief-Spanne von 2020 (30 637 vs. 18 214 Punkte) sogar die Pendants der drei vorangegangenen Jahre. Allein daran können Investoren nochmals den besonderen Charakter der zurückliegenden zwölf Monate erkennen. Insgesamt kommt solchen “outside candles” in der technischen Analyse eine besondere Bedeutung zu. Deshalb haben wir untersucht, welche Implikationen diese besondere Jahreskerze für die Kursentwicklung der kommenden zwölf Monate besitzt. Auf Basis der Daten seit 1897 kam es bei den amerikanischen Standardwerten zu insgesamt acht Außenstäben. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 75 % brachte das Folgejahr jenseits des Atlantiks weitere Kursgewinne. Der durchschnittliche Zuwachs fällt mit gut 13 % dabei im Vergleich zur gemittelten Performance der letzten 120 Jahre überdurchschnittlich aus. Das Phänomen “outside year” macht den Aktienoptimisten also Mut für 2021. Entscheidender MehrwertDie Analyse der grundsätzlichen Marktverfassung zählt zu den ganz großen Stärken der technischen Analyse. Die Fähigkeit, schnell und unkompliziert eine große Anzahl von Aktien zu überprüfen, liefert Anlegern einen entscheidenden Mehrwert. Deshalb darf der Blick auf die Advance-/Decline-Linie an dieser Stelle nicht fehlen. Der Saldo aus gestiegenen und gefallenen Aktien für alle an der Nyse notierten Papiere als ältester Marktbreiteindikator überhaupt eilt unverändert von einem Hoch zum nächsten. Die Mehrzahl der Titel trägt also weiterhin den laufenden Aufschwung, zumal die A-/D-Linien für den S&P 500, den Nasdaq Composite sowie für den Stoxx Europe 600 das gleiche Bild zeigen. Von diesen Überlegungen ausgehend ist es nur ein kleiner Schritt zum absoluten Rückgrat der technischen Analyse: der Dow-Theorie. Eine der Kernthesen lautete dabei: “Die Indizes müssen sich gegenseitig bestätigen!”. Gemeint waren der Dow Jones Industrial Average auf der einen und der Dow Jones Transportation auf der anderen Seite. Da beide Aktienbarometer praktisch auf Allzeithochs notieren, können Investoren einen Haken hinter diese Forderung machen. Mögliche WendepunkteAls zyklische Orientierungshilfe berücksichtigen wir insbesondere den Dekaden- und den US-Präsidentschaftszyklus. Die saisonalen Verlaufsvergleiche geben oftmals Hinweise auf mögliche Marktwendepunkte. Besonders zu schätzen wissen wir in diesem Kontext Situationen, in denen beide Zyklen Hand in Hand gehen. Leider ist das 2021 nur bedingt der Fall. Zur saisonalen Schnittmenge des typischen Verlaufs des Dow Jones in “1er-Jahren” bzw. in US-Nachwahljahren zählt, dass Kursgewinne in den ersten beiden Quartalen tendenziell leichter fallen sollten. Dagegen signalisieren beide Zyklen saisonalen Gegenwind in den heißen Sommermonaten. Dabei zeichnet sich das dritte Quartal durch besondere Rückschlagsgefahren aus. Innerhalb dieser möglicherweise holprigen Marktphase sticht der September nochmals negativ hervor, denn sowohl in Nachwahl- als auch in “1er-Jahren” neigt der neunte Monat zu einer sehr schwachen Kursentwicklung. So bringen zu Beginn der Dekade bspw. nur 16,7 % aller Septembermonate einen positiven Kursertrag. Fahrplan 2021Erstmals in seiner mehr als 120-jährigen Geschichte haben die US-Standardwerte im vierten Quartal 2020 die Marke von 30 000 Punkten überschritten. Inzwischen konnte der Dow Jones seinen Rekordstand bis auf 31 224 Punkte ausbauen. Mehr denn je gilt also: “The trend is your friend”. Charttechnisch kommen zwei weitere Katalysatoren hinzu. Zum einen liegt eine (aufwärts-)trendbestätigende Flagge vor, zum anderen bildet der gesamte 2020er-Rückschlag letztlich ein “V-förmiges” Kursmuster. Im “uncharted territory” ergeben sich die nächsten Anlaufziele in Form des kalkulatorischen Kursziels der angeführten Flagge (33 000 Punkte) sowie der 138,2 %-Fibonacci-Projektion des gesamten Baisseimpulses vom Frühjahr (33 906 Punkte). Zusammen mit einer Trendlinie, welche die Hochpunkte von 1929 und 1999/2000 verbindet, ergibt sich also ein durch unterschiedliche Verfahren der technischen Analyse abgesichertes Kurszielcluster bei gut 33 000 Punkten. Da wir einen eher zweigeteilten Investmentjahrgang erwarten, kommt auch dem Risikomanagement eine Schlüsselrolle zu. Die aktuelle Ausbruchssituation ermöglicht dabei auf Basis der Novemberkurslücke bzw. der oberen Flaggenbegrenzung bei knapp 29 000 Punkten eine relativ enge Absicherung. *) Jörg Scherer ist Leiter Technische Analyse bei HSBC Deutschland.