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Fieberhafte Aktivitäten am US-Geldmarkt

Von Peter De Thier, Washington Börsen-Zeitung, 3.10.2019 Zum ersten Mal seit der globalen Finanzkrise hat die US-Notenbank Mitte September mit einer Serie von Repo-Geschäften die Märkte wieder mit Liquidität versorgt und wird die...

Fieberhafte Aktivitäten am US-Geldmarkt

Von Peter De Thier, WashingtonZum ersten Mal seit der globalen Finanzkrise hat die US-Notenbank Mitte September mit einer Serie von Repo-Geschäften die Märkte wieder mit Liquidität versorgt und wird die Geldmarkttransaktionen bis Ende nächster Woche fortsetzen. Die Gründe waren seinerzeit nahe liegend: Fällige Steuerzahlungen der Unternehmen sowie Zahlungstermine für neue Anleihenemissionen fielen zeitlich zusammen und hatten zu kurzfristigen Engpässen geführt, die es zu überbrücken galt. Auch strukturelle ProblemeExperten vermuten allerdings, dass sich hinter der plötzlich auftretenden Knappheit auch strukturelle Probleme verbergen könnten und der Transmissionsmechanismus am Geldmarkt ins Wanken geraten könnte. Beunruhigend sei insbesondere die Tatsache, dass unklar bleibt, inwieweit die Fed auf die Liquiditätsprobleme vorbereitet war, heißt es. Folglich wisse man nicht, ob die Währungshüter auch künftig Gewehr bei Fuß stehen würden, sollten sich ähnliche Abweichungen wiederholen.Gegeben hatte es das nämlich seit über einem Jahrzehnt nicht mehr: Über die Federal Reserve Bank von New York, quasi das Bindeglied zwischen den Währungshütern in Washington und den Finanzmärkten, hatte die Notenbank unmittelbar vor der Sitzung ihres Offenmarktausschusses (FOMC) fast 130 Mrd. Dollar in die Märkte gepumpt. Zudem kündigte John Williams, Präsident der New Yorker Fed an, die Geldmarktgeschäfte mindestens bis zum 10. Oktober fortsetzen zu wollen.Unverzichtbar war das Notprogramm, welches die Fed über Nacht aus dem Boden gestampft hatte, weil die schlagartig gestiegene Nachfrage nach Liquidität die kurzfristigen Zinsen in die Höhe schießen ließ. Im Rahmen der Repo-Geschäfte, bei denen der Zins in der Regel nur wenige Basispunkte über der Federal Funds Rate liegt, boten Investoren für Bares zeitweise über 9 % und stellten als Gegenleistung Staatstitel sowie hypothekenbesicherte Anleihen zur Verfügung.Zudem kletterte die Secured Overnight Financing Rate (Sofr), die als Libor-Ersatz vorgesehen ist, über 5 %, und selbst die Fed Funds Rate überschoss kurze Zeit ihren Zielkorridor. Dieser hatte vor der FOMC-Sitzung zwischen 2,0 und 2,25 % gelegen und wurde dann vom Lenkungsgremium der Notenbank um 25 Basispunkte herabgesetzt. Ungenutzte GelegenheitMarktteilnehmer rätseln unter anderem, warum Banken, die ja seit Beginn der Niedrigzinspolitik auf der Suche nach höheren Renditen sind, nicht die Gelegenheit nutzen, angesichts der gestiegenen Zinssätze kurzfristige Profite einzustreichen. Eine Erklärung hat Narayana Kocherlakota, Expräsident der Fed von Minneapolis parat: “Als Folge der strikteren Finanzmarktregulierung können Banken nicht so leicht wie vor zehn Jahren ihre Überschussreserven mobilisieren und anderen Geldhäusern zur Verfügung stellen”, so Kocherlakota. Erschwert werde die Kreditvergabe vor allem durch die höheren Kapitalanforderungen an die Kreditinstitute.Eine Lösung könnte nach Ansicht des Nationalökonomen darin bestehen, eine ständige Repo-Fazilität einzurichten. Dies würde bedeuten, dass wie auch im Gefolge der Krise die Fed praktisch täglich Geldmarktgeschäfte abwickelt, um sicherzustellen, dass die Fed Funds Rate sich stets innerhalb der vorgegebenen Zielzone bewegt. Sorgen bereitet einigen Analysten aber auch die Tatsache, dass die Fed von der Notwendigkeit der Repo-Geschäfte offenbar auf dem falschen Fuß erwischt wurde. Geplant waren Geldmarkttransaktionen nämlich nicht, zumindest nicht im laufenden Jahr. Nun aber pumpt die Zentralbank täglich frisches Geld ins System und wickelte allein am Montag Repo-Geschäfte im Wert von 63,5 Mrd. Dollar ab. Diese hingen damit zusammen, dass sich die Banken am letzten Tag des Quartals mit der kurzfristigen Kreditvergabe zurückhielten, um größere Kapitalpolster auszuweisen.Sowohl Notenbankchef Jerome Powell als auch John Williams, der als Chef der New Yorker Fed über die Abwicklung der Geldmarktgeschäfte wacht, betonen, dass “alles unter Kontrolle” sei.Nachdenklich stimmt Experten allerdings auch ein umstrittener Personalwechsel beim New Yorker Ableger der Zentralbank, mit dem Williams vor einigen Monaten überrascht hatte. Im Mai mussten sowohl der Chef des Open Market Desk, der für die Abwicklung der Repo-Geschäfte zuständig war, als auch der Direktor der Abteilung für Finanzdienstleistungen den Hut nehmen. Folglich könnten strukturelle Veränderungen und unklare Kompetenzverteilung zu der Verwirrung wenigstens beigetragen haben. Neue Anleihekäufe?Schließlich erfuhren Marktteilnehmer am Tag der ersten Eingriffe seitens der Fed nur wenige Minuten vor Börsenbeginn von den Repo-Geschäften. Nervös machen Investoren auch wachsende Ängste vor einer möglichen Rezession sowie das damit verbundene Risiko weiterer Liquiditätsengpässe. Bei der Ende Oktober anstehenden FOMC-Sitzung will die Fed daher über Möglichkeiten diskutieren, künftig mit Anleihekäufen ihre Bilanzsumme langsam wieder auszuweiten. Damit könnten die Währungshüter sicherstellen, dass Knappheiten am Geldmarkt nicht rückwirkend bekämpft, sondern vorbeugend im Keim erstickt würden. Hinweise darauf könnte Powell bereits am Freitag in einer mit Spannung erwarteten Rede geben.