Märkte im Rotationsmodus

Umschichtung zu Value zeichnet sich ab - Entwicklung der Bondrenditen als entscheidender Faktor

Märkte im Rotationsmodus

An den Märkten zeichnet sich derzeit eine Rotation von Growth zu Value ab. Vor allem die Hoffnungen auf einen Corona-Impfstoff und einen Abbau der Mobilitätsbeschränkungen verleihen zyklischen Werten Antrieb. Auch die makroökonomische Lage verleitet Analysten zu äußerst optimistischen Prognosen.Von Alex Wehnert, FrankfurtNach der starken Outperformance der Growth-Werte im laufenden Jahr zeichnet sich laut Analysten nun eine Rotation hin zu Value ab. Ausgelöst werde diese Bewegung insbesondere durch die gewachsenen Hoffnungen auf einen Impfstoff gegen das Coronavirus und einen damit verbundenen baldigen Abbau der Mobilitätsbeschränkungen sowie einen Anstieg der ökonomischen Aktivität. Hinzu kommt laut der US-Investmentbank Goldman Sachs die mittlerweile rekordhohe Bewertungsschere zwischen Wachstumswerten und Zyklikern, die den Einstiegszeitpunkt bei Letzteren derzeit attraktiver erscheinen lasse. Gewaltige Performance-LückeAuch die Performancelücke zwischen beiden Anlageuniversen war nie größer, wie Rückrechnungen der US-Großbank J.P. Morgan bis ins Jahr 1975 belegen. Demnach wird dieses Jahr aller Voraussicht nach zudem das vierte in Folge, in dem Wachstumstitel ihre als werthaltig geltenden Gegenparts deutlich schlagen. Der aktuelle Growth-Megazyklus begann laut der UBS aber bereits mit der großen Finanzkrise von 2008. Nach den Kurseinbrüchen an den globalen Börsen schlug Value die Wachstumswerte in den folgenden Jahren zwar noch, doch diese holten stetig auf. Zwischen Beginn des laufenden Jahres und Anfang November schließlich hatte der MSCI World Value Index gegenüber dem MSCI World Growth eine Underperformance von über 30 Prozentpunkten hingelegt – seit Monatsbeginn gerechnet schneidet er allerdings um fünf Prozentpunkte besser ab als sein Wachstumswerte-Pendant.”Ein großer Teil der Value-Bewegung in den vergangenen Tagen wird nicht direkt durch den Impfstoff-Faktor angetrieben, sondern eher mittelbar durch den Anstieg der Anleiherenditen”, gibt die Schweizer Großbank UBS allerdings zu bedenken. Solange keine Klarheit bezüglich der weiteren Entwicklung der Realzinsen und der Inflation bestehe, sei der Ausblick für das gesamte Value-Universum daher noch unsicher. US-Wahlausgang dämpftDie Erwartungen diesbezüglich würden auch durch den Ausgang der US-Wahlen gedämpft, die für das Segment nach aktuellem Stand nicht ideal verlaufen seien. Die nun zu erwartende Entspannung in den Handelsbeziehungen werde zwar unter anderem dem Automobilsektor helfen. Doch ein republikanisch dominierter Senat werde wahrscheinlich kaum Fiskalstimuli in dem Umfang verabschieden, wie sie bei einem demokratischen Erdrutschsieg zu erwarten gewesen wären.Selbst wenn sich das Marktumfeld nicht radikal genug ändere, um eine langfristige Value-Erholung zu bedingen, lasse der extreme Startpunkt der aktuellen Rotation zumindest eine gewisse Neubepreisung am Markt erwarten. Segmente, die direkt von den bestehenden Mobilitätsbeschränkungen betroffen seien, dürften sich zudem ohnehin erholen. Dazu zählten die Aktien von Energiekonzernen und Freizeitanbietern sowie Titel aus dem Bauwesen. Die an der Euronext Amsterdam gelistete, im laufenden Jahr eigentlich stark unter Druck stehende Aktie des Immobilienunternehmens Unibail-Rodamco-Westfield beispielsweise hat bereits äußerst sprunghafte Kursanstiege hingelegt: Zwischen Ende Oktober und Mitte November gewann sie knapp 75 % an Wert.Die Investmentbank J.P. Morgan Cazenove macht bei den Marktteilnehmern allerdings ebenfalls noch viel Unsicherheit bezüglich der Nachhaltigkeit der Value-Rotation aus. “Beim Ausmaß der Marktumschichtung sind kurzfristige Rückschläge sicherlich nicht überraschend”, heißt es in einer aktuellen Analyse des Hauses. Allerdings sei im Gegensatz zur im Mai beobachteten und schnell wieder verflogenen Bewegung hin zu Value im Anschluss mit weiteren Kursanstiegen zu rechnen. Im Mai habe sich die Markterholung von der Coronakrise in einem zu frühen Stadium befunden, so dass ein nachhaltiger Anstieg der Bondrenditen noch nicht möglich gewesen sei. Dazu habe im Juni auch die US-Notenbank Fed mit ihrer Ankündigung beigetragen, so lange an ihrer ultraexpansiven geldpolitischen Ausrichtung festzuhalten, bis die Wirtschaft wieder auf Kurs sei. Zudem habe es damals durch die besorgniserregende Entwicklung am Arbeitsmarkt einen Umschwung des Lohnwachstums in den Negativbereich und durch die kollabierende Geldumlaufgeschwindigkeit einen starken disinflationären Impuls gegeben.Diese Vorzeichen haben sich laut den Analysten nun geändert: Der Arbeitsmarkt erhole sich zunehmend, die Lohnentwicklung habe wohl die Talsohle erreicht, und die Geldgeschwindigkeit ziehe derzeit wieder an, was im ersten Halbjahr 2021 zu höheren Bondrenditen führen und Value damit begünstigen werde. Zudem würden die makroökonomische Voraussetzungen in den ersten sechs Monaten des kommenden Jahres voraussichtlich ein reflationäres Regime mit stärkeren Einkaufsmanagerindizes, einer sinkenden Handelsunsicherheit und einem sich normalisierenden Konsum unterstützen. J.P. Morgan Cazenove geht deshalb davon aus, dass die Rotation hin zu Value sich über drei bis vier Quartale erstrecken könne, wie sie es auch zwischen 2016 und 2017 getan habe. Finanzwerte im BlickAktien aus dem Finanzsektor stellen laut den Analysten die beste Option dar, um das Portfolio auf ein reflationäres Szenario vorzubereiten. “Hier sind führende, gut aufgestellte Banken wie die BNP Paribas derzeit immer noch gezwungen, Dividenden zurückzuhalten”, unterstreicht die französische Anlagegesellschaft Clartan Associés. Dabei seien die Finanzinstitute nach wie vor sehr profitabel und würden 2020 voraussichtlich erneut einen Nettoertrag von knapp 8 Mrd. Euro erwirtschaften. So böten sie eine Dividendenrendite von ungefähr 6 %. – Wertberichtigt Seite 8