Brasilien

Belastungs­probe für Lula

Brasiliens Börse gehörte im vorigen Jahr zu den weltweit ertragreichsten Anlageplätzen. Mit diesem Trend könnte 2023 nun Schluss sein.

Belastungs­probe für Lula

Der Sturm auf die Herzkammer der brasilianischen Demokratie hatte Auswirkungen auch an den Finanzmärkten. Obwohl die Behörden am Montag die Macht über die Hauptstadt zurückgewonnen und den Regierungsbezirk unter Kontrolle der nationalen Regierung gestellt hatten, fielen sowohl der Ibovespa-Index als auch der Real um je 1%. Auch wenn Marktteilnehmer wie J.P. Morgan das als kurzzeitige Folge medialer Aufmerksamkeit einordnen, werfen die gewaltsamen Vorgänge in Südamerikas wichtigster Volkswirtschaft doch Fragen auf: Müssen Investoren in Brasilien künftig einen Risikoaufschlag einkalkulieren? Und gilt das womöglich auch für andere Länder der Region, die seit dem Neujahrstag fast ausschließlich von linken Regierungen geführt wird, die ihren Wählern versprochen haben, die sozialen Folgen der Pandemie und der Unruhewelle in den Andenländern auszugleichen?

Damals, 2019, waren die meisten Staaten der Region von wirtschaftsfreundlichen Regierungen geführt worden, die ideale Ziele für linke Proteste waren. Nun sind die Linken selbst an der Macht und müssen damit rechnen, Ziel von Protesten zu werden, die zum Teil inszeniert werden von Kräften, die von Demokratie gar nichts halten. In den vergangenen Jahren haben viele Arme gelernt, wie sie Politiker am besten unter Druck setzen: mit Protesten, die direkt an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gehen. Im Mai 2018 legten streikende Lkw-Fahrer Brasilien fast gänzlich lahm und verursachten Milliardenausfälle. Ähnliches könnte wieder drohen, denn in einem Land, das 90% seiner Waren per Lkw verfrachtet, zählen viele Transporteure zu den glühendsten Bolsonaro-Fans.

Brasiliens Regierung hat ein hartes Vorgehen gegen die Randalierer angekündigt. Und die Justiz hat die Exekutive aufgefordert, strategische Ziele wie die Raffinerie Duque de Caixas nahe Rio de Janeiro zu schützen.

Brasiliens Börse gehörte im vorigen Jahr – unter schwierigen Bedingungen von hohen Zinsen und erheblicher Inflation – zu den weltweit ertragreichsten Anlageplätzen. Und viele hofften auf weitere Besserung nach dem Lula-Sieg, der nicht nur in Washington beklatscht wurde, in Berlin oder Brüssel, sondern auch in Peking, das dem Mercosur ein Freihandelsabkommen angeboten hat, wie Brasiliens Wirtschaftsmedien inmitten des Chaos am Montag berichteten.

Brasilien bleibt seit einem Jahrzehnt unter seinem enormen Potenzial und hätte längst wieder das Zeug zu jenem „Land der Zukunft“, das der Wiener Emigrant Stefan Zweig 1941 pries. Aber nach den Geschehen vom Sonntag muss es erstmal mit der Gegenwart klarkommen.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.