Umfrage

Finanznot macht sich unter Verbrauchern breit

Eine Umfrage zeichnet ein düsteres Bild über die finanziellen Nöte der Verbraucher in Deutschland. Immer mehr Menschen müssen entscheiden, welche Rechnungen sie nicht bezahlen.

Finanznot macht sich unter Verbrauchern breit

Wie sich die finanzielle Lage der deutschen Verbraucher in den kommenden Monaten entwickelt, hat für viele Beteiligte große Auswirkungen. Ob am Monatsende mehr Geld auf dem Konto bleibt oder weniger, trifft in erster Linie Menschen, aber auch die Unternehmen und Banken, die Rechnungen verschicken oder Kreditraten einfordern.

Um die finanzielle Lage und die Entwicklungen beim Zahlungsverhalten abzuschätzen, hat der Finanz- und Inkassodienstleister Intrum europaweit in 24 Ländern gut 24000 Verbraucher nach ihrem Zahlungsverhalten und ihrer finanziellen Gesundheit gefragt.

Allein in Deutschland hat das Unternehmen täglich im Durchschnitt rund 15000 Kontakte mit Menschen oder Unternehmen, die eine oder mehrere offene Forderungen haben. „Wenn Sie ein Schreiben oder einen Anruf von Intrum erhalten haben, dann haben Sie möglicherweise offene Schulden. Das kann jedem passieren.“ So heißt es auf der Internetseite, und das ist für Intrum das Geschäftsmodell. Unternehmen bietet das Haus Forderungsmanagement, Kreditrisikobewertung, Mahnservice, Inkasso und mehr.

Stimmung eingetrübt

Die Stimmung unter den Verbrauchern in Deutschland trübt sich deutlich ein, so ein zentrales Ergebnis der Studie. Bei 64% der Befragten wachsen die Rechnungen schneller als das Einkommen, viele hätten eine „Rechnungsangst“ insbesondere vor den anstehenden Energierechnungen und machen sich Sorgen, dass sie sich keinen komfortablen Ruhestand mehr leisten können aufgrund der Auswirkungen der Krise.

Erschreckend sei auch, dass 24% der Befragten nach dem Bezahlen aller Rechnungen über weniger als 10% ihres Einkommens verfügen. Geschenke, Spenden, aber auch Restaurantbesuche fallen ganz weg oder werden drastisch gekürzt, so die Einschätzung von Marc Knothe, CEO von Intrum in Deutschland und Österreich.

Wenn es um die nicht bezahlten Rechnungen geht, sind die Zahlen der Umfrage ebenfalls ernüchternd. Ein Viertel der deutschen Verbraucher hat in den letzten zwölf Monaten mindestens eine Rechnung nicht bezahlt. Davon gaben 41% an, dass sie ihre Rechnungen nicht pünktlich bezahlt haben, weil ihnen das Geld fehlte. 38% haben es vergessen. Weitere 11% sagten, dass ihr Arbeitgeber nicht in der Lage war, ihr Gehalt zu zahlen. Und immerhin 10% gerieten in Verzug, weil sie nicht glaubten, dass das Rechnungsunternehmen etwas unternehmen würde, um die Zahlung einzutreiben.

Online-Shopping zuletzt

Die Aussichten hinsichtlich Zahlungsmoral oder besser der Fähigkeit, Rechnungen pünktlich zu begleichen, sind ernüchternd. 22% der Befragten rechnen damit, dass sie 2023 einige weniger wichtige Rechnungen nicht bezahlen können, um ihre lebensnotwendigen Ausgaben zu bestreiten. Verbraucher, die damit rechnen, dass sie in den nächsten zwölf Monaten ihre Rechnungen nicht bezahlen können, werden am ehesten bei Rechnungen im elektronischen Handel und in Online-Shops in Verzug kommen. Auf die Frage, welche Rechnungen sie am ehesten nicht bezahlen würden, nannten 31% der Verbraucher die Forderungen von Händlern für Bestellungen im Internet oder per Post.

„Bei den Rechnungen gibt es so etwas wie einen Dominoeffekt. Erst werden die vermeintlich weniger wichtigen nicht bezahlt, wie beispielsweise Forderungen aus dem Online-Shopping. In einer späteren Phase kann es auch Rechnungen von Energieversorgern oder Telekommunikationsfirmen treffen“, sagt Knothe­.

Künftige Schuldenprobleme

Neben offenen Rechnungen sind es auch nicht bezahlte Kreditraten, die Intrum tätig werden lassen. Dabei zeigt sich, dass in bestimmten Kundengruppen Ratenkauf („Kaufe jetzt, bezahle später“) zu einem Problem werden können. „Jüngere Verbraucher fühlen sich in besonderem Maße in ihrem sozialen Leben beeinträchtigt und greifen viel häufiger als ältere Verbraucher zu Buy now, pay later (BNPL), um die steigenden Kosten zu decken“, heißt es in dem Bericht. Diese Angewohnheit könne zu Schuldenproblemen führen. In Deutschland gaben 33% der befragten Millennials an, dass sie zunehmend BNPL nutzen, um die Kosten für ihr Leben zu decken, verglichen mit nur 6% der Babyboomer.

Kredite und Kreditkartenlimits werden von 24% der Befragten genutzt, um Rechnungen zu bezahlen. In der Gruppe, die derzeit jeden Monat zusätzlich Kredit aufnimmt, finden sich oft Eltern, um Dinge für ihre Kinder zu kaufen. Im Durchschnitt haben 77% der Eltern aus diesem Grund einen Kredit aufgenommen oder ihre Kreditkarte ausgereizt, heißt es in der Studie.

Der Inkassokonzern weist aber auch darauf hin, dass man nicht das Ziel habe, Menschen in den Schuldenturm zu treiben. „Rund 213000 Menschen konnte Intrum Deutschland in den vergangenen zwölf Monaten helfen, durch eine erfolgreich vereinbarte Ratenzahlung wieder schuldenfrei zu werden“, berichtet Knothe.

Banken nicht vorbereitet

Die Ergebnisse der Umfrage sind aus Sicht von Intrum besonders für Unternehmen und Banken interessant, die so die Entwicklungen der kommenden Monate besser abschätzen können. Insgesamt arbeitet Int­rum in Deutschland mit mehreren 10000 Adressen zusammen. Dabei entfallen rund 70% des Geschäfts auf den Retailbereich. „Welche Rechnungen nicht bezahlt werden und wie hoch dieser Anteil ist, dient als Frühindikator für die Banken. Sie müssen sich 2023 auf steigende Forderungsausfälle einstellen und für diese Vorgänge Ressourcen aufbauen sowie die Prozesse schaffen“, sagt Knothe. Allerdings sieht er die Fi­nanzbranche hinsichtlich des Forderungsmanagements kritisch. „Die Banken haben es verschlafen, sich auf einen Anstieg bei den Ausfällen vorzubereiten. Im Bereich der Forderungsbearbeitung ist noch viel zu wenig automatisiert, stattdessen werden viele Vorgänge noch von Hand erledigt.“ Sein Haus biete Banken vom Transfer fauler Kredite oder dem Kauf von Portfolios bis hin zur Übernahme von Beschäftigten ein breites Spektrum.

EZB-Daten mit Zeitverzug

An den offiziellen Zahlen zu faulen Krediten zeigt sich der Trend der Umfrage von Intrum nicht. Das liegt auch daran, dass die Europäische Zentralbank die Bankenstatistik mit zwei Monaten Zeitverzug veröffentlicht. Per Ende Juni berichtet die EZB sogar, dass sich der Anteil der notleidenden Kredite oder Non-Performing Loans (NPLs) bei Banken in den EU-Staaten auf 1,9% verringert hat, verglichen mit 2,3% im Vorjahr. Auf Länderebene gibt es bei NPLs erhebliche Unterschiede. Als NPLs zählen Kredite, die seit mindestens 90 Tagen fällig sind oder bei denen es unwahrscheinlich ist, dass sie zurückgezahlt werden.

Der niedrige Anteil notleidender Kredite in den Bankbilanzen steht nach Einschätzungen von Beobachtern im Widerspruch zur aktuellen wirtschaftlichen und finanziellen Lage. Angesichts von Zinsanstieg, Inflation und Lieferproblemen wären mehr Kreditausfälle nicht überraschend. Für 2023 erwarteten aber nicht nur die Experten von Intrum, sondern auch befragte Risikomanager im NPL-Barometer der Frankfurt School und der Bundesvereinigung Kreditankauf und Servicing (BKS) einen deutlichen Zuwachs bei notleidenden Krediten.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.