Brüssel

Grabenkämpfe im Europaparlament

Die Sozialdemokraten machen im EU-Parlament mobil gegen „Schönfärberei des europafeindlichen Rechtsextremismus“. Auf den ersten Blick geht es um Schweden und Italien – auf den zweiten schon um die nächste Europawahl.

Grabenkämpfe im Europaparlament

Die nächste Europawahl ist zwar noch eineinhalb Jahre entfernt. Im EU-Parlament steigt aber bei dem ein oder anderen jetzt schon die Temperatur. In Straßburg bekam man in den vergangenen Tagen bereits einen ersten Eindruck, wie polarisierend der Wahlkampf werden könnte. So setzten die Sozialdemokraten vor dem Hintergrund der Regierungsbildungen in Schweden und Italien eine Debatte über die „Schönfärberei des europafeindlichen Rechtsextremismus in der EU“ auf die Tagesordnung, um insbesondere die Christdemokraten und Liberale zu attackieren. Jede Fraktion, die mit der extremen Rechten in der Regierung kooperiere, mache sich der Normalisierung extremistischer Ansichten in der Gesellschaft und der Aushöhlung der EU und ihrer Werte schuldig, so die sozialdemokratische Botschaft.

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Im EU-Parlament bilden derzeit 63 Abgeordnete die extrem rechte Fraktion „Identität und Demokratie“ (ID). Dazu gehören Politiker der italienischen Lega, von Rassemblement National aus Frankreich, des belgischen Vlaams Belang sowie der AfD. Es gibt aber auch noch die etwas moderatere Fraktion der „Europäischen Konservativen und Reformer“ (EKR), die auf 62 Abgeordnete kommt – unter anderem vom italienischen Wahlsieger Fratelli d’Italia, von den Schwedendemokraten, der spanischen Vox- oder auch der polnischen PiS-Partei. Zählt man auch noch einige offiziell fraktionslose Abgeordnete – etwa von der ungarischen Regierungspartei Fidesz – hinzu, summiert sich der Anteil der rechten Nationalisten, Extremisten und Populisten im aktuellen EU-Parlament auf deutlich über 20%. Bislang galt innerhalb der großen demokratischen Fraktionen eigentlich immer die Übereinkunft, mit diesem Teil des Plenums nicht zu kooperieren. Doch zumindest die SPD-Abgeordnete Gabriele Bischoff hat bereits Annäherungen der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP) an die EKR beobachtet. Für sie ist es vor allem der Partei- und Fraktionschef der EVP, der CSU-Politiker Manfred Weber, der die Situation verharmlost, wie Bischoff im Parlament betonte. Weber, der schon früher durch seine nachsichtige Haltung gegenüber dem früheren EVP-Mitglied Fidesz aufgefallen war, steht insbesondere seit der Italien-Wahl in der Kritik, bei der er nachdrücklich Silvio Berlus­coni und seine Forza-Partei unterstützt hatte. Genau: Jenen Ex-Regierungschef, der sich erst in dieser Woche wieder rühmte, „süße Briefe“ mit dem russischen Kriegsherrn Wladimir Putin ausgetauscht und von diesem erst gerade 20 Flaschen Wodka zum Geburtstag erhalten zu haben – was nebenbei auch noch gegen die EU-Sanktionen verstoßen hat. „Das Problem ist nicht, dass sie ultrakonservativ oder Euroskeptiker sind. Das ist Teil des politischen Pluralismus“, sagte die Fraktionschefin der Sozialdemokraten im EU-Parlament, die Spanierin Iratxe Garcìa Pérez. Das Problem sei vielmehr, dass Rechtspopulisten die Institutionen untergraben. Die Trump- und Putin-Freunde nutzten die Demokratie, um Freiheiten und Rechte zu schwächen.

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In der Parlamentsdebatte keilten die so angegriffenen Abgeordneten aus dem rechts-konservativen Lager mit deutlichen Worten zurück. Die junge Lega-Abgeordnete Isabella Toraglieri bezeichnete die Linke als „undemokratisch“, da sie Wahlergebnisse nur akzeptiere, wenn sie selbst als Sieger hervorgehe. Der Pole Patryk Jaki von der EKR-Fraktion sprach sogar von einer „Diktatur der Linken“ und erkannte einen „Rassismus gegen uns“. Und Nicolaus Fest, Leiter der AfD-Delegation im EU-Parlament, verwies spöttisch darauf, dass jetzt ja die „linke Kulturhegemonie“ zerbreche – in Schweden, Italien, Ungarn, Polen und auch bald in Frankreich. Der Ton wird auf jeden Fall rauer im Parlament, wo die letzten eineinhalb Jahre der Legislatur angebrochen sind. In der EU werden die Wahlausgänge in Schweden und Italien aber schon früher ihren Niederschlag finden: wohl schon auf dem nächsten regulären EU-Gipfel im Dezember und spätestens am 1. Januar 2023, wenn Schweden die EU-Ratspräsidentschaft antritt.                                                     (Börsen-Zeitung,

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