China

In der Reform-Sackgasse

Chinas Volkskongress verändert das Verhältnis von Partei- und Regierungsebene fundamental. Das verheißt nichts Gutes.

In der Reform-Sackgasse

Vorhang zu beim chinesischen Volkskongress bedeutet in diesem Jahr Vorhang auf für eine neue Fünfjahresperiode, mit der jegliche Zweifel beseitigt werden, dass Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping mit einer eigenhändig verlesenen Führungsmannschaft frei schalten, walten und „durchregieren“ kann. Letzteres ist der Knackpunkt. Auf dem Volkskongress hat Xi einen als institutionelles Reformpaket apostrophierten Plan für weitreichende Veränderungen im Regierungsgefüge durchwinken lassen. Die Maßnahmen sind nicht im Detail vorgestellt worden, aber die Stoßrichtung ist klar zu erkennen. Es geht darum, entscheidende Ausschnitte des Verwaltungsapparats einer direkteren Kontrolle durch die Parteiführung unterstellen.

Im Zentrum des Revirements steht eine noch weitreichendere und institutionell abgesicherte Unterwerfung von Regierungsfunktionen unter das Diktat der „Parteidisziplin“. Für den flüchtigen Beobachter mag das nicht wahnsinnig aufregend klingen. Man hatte in den vergangenen fünf Jahren schließlich nicht den Eindruck, dass der Parteichef irgendwelche Probleme damit hatte, seine Vorstellungen durchzusetzen – und beispielsweise die partieller Wirtschaftssabotage gleichkommende Null-Covid-Politik in aller Härte implementieren zu lassen. Dennoch besteht ein gewaltiger Unterschied darin, ob der erste Mann im Staat dem Regierungsapparat seinen Willen aufzwingt, was auch in Präsidialdemokratien wie den USA oder Frankreich gang und gäbe ist, oder aber die grundsätzliche Kompetenzverteilung so ummodelt, dass der Regierungsapparat ihm gehört.

Nach den Erfahrungen mit der Allmacht des Volksrepublikgründers Mao und dem Chaos der Kulturrevolution ließ der um grundlegende politische und wirtschaftliche Reformen bemühte neue Taktgeber Deng Xiaoping ein Machtverteilungssystem mit zwei fundamentalen Prinzipien etablieren. Zum einen die in der Verfassung der Kommunistischen Partei verankerte Abkehr von einem „Personenkult“ und daran geknüpft die Vorstellung eines kollektiven Führungsgremiums in Gestalt des Ständigen Ausschusses des Politbüros. Zum anderen etablierte er die Aufgabentrennung zwischen Partei und Staat. Damit wurde die Rolle der Kommunistischen Partei als allem übergeordnete Instanz absolut gewahrt. Dennoch sollte der Staat als Verwaltungs- und Regierungsinstanz ein Eigenleben führen, zu dem allem voran die wirtschaftliche Planungskompetenz und Durchführungsverantwortung gehören.

Man kann mit Blick auf 40 Jahre Wirtschaftswunder seit der von Deng eingeleiteten „Reform und Öffnung“ Chinas schlecht behaupten, dass sich das Prinzip einer Trennlinie zwischen der Partei und dem Staatsrat als Regierungsorgan nicht irgendwie bewährt hätte. Über Chinas tatsächliches Reformtempo in den vergangenen vier Jahrzehnten kann man sich trefflich streiten. Aber unverkennbar ist, dass in den letzten fünf Jahren die Bereitschaft zu strukturellen Reformen stark gelitten hat, die Entfaltungsmöglichkeiten der privaten Unternehmenswirtschaft massiv eingeschränkt wurden und die Partei „mit Xi in ihrem Kern“ auf eine Art und Weise ins Zentrum der Gesellschaft rückt wie seit Maos Zeiten nicht mehr gesehen.

Der jetzt vom Volkskongress verabschiedete Plan zur Neuordnung der Regierungsstrukturen wird als ein Effizienzprogramm verkauft. Mit der weiter gehenden Zentralisierung von Entscheidungskompetenzen sollen Reibungsverluste angegangen werden, die aus dem für China charakteristischen Parallelwirken einer Partei- und einer Regierungsbürokratie entstehen. Das klingt vernünftig, denn das jetzige System hat nicht nur auf Verwaltungskostenebene seine Tücken. Effizienzgewinne sind aber nicht die Triebfeder des Ganzen.

Ein wichtiges Element des Regierungsumbaus soll die Neuordnung der Finanzregulierung und der Kompetenzverteilung zwischen den Aufsichtsbehörden einschließlich der Zentralbank sein. Man weiß noch zu wenig darüber, um ein Urteil fällen zu können, ob dies der Systemrisikokontrolle zugutekommen und einen Fort- oder Rückschritt in Chinas Kapitalmarktorientierung bedeuten wird. Was man aber weiß, ist, dass der Präsident neben der Technologiesphäre auch den Finanzsektor als einen Schlüsselbereich ansieht, über den die Partei eine allumfassende Kontrolle erhalten will, und der Regierung das Zepter aus der Hand nimmt. Damit ist schon einmal absehbar, dass einer der Kernpunkte der institutionellen „Reform“ denkbar wenig mit dem Motto „Reform und Öffnung“ zu tun haben wird.

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