Martin Werding

„Kapitaldeckung ist die einzige Alternative“

An Kapitaldeckung führt kein Weg mehr vorbei, soll das Rentensystem stabil bleiben. Für den Wirtschaftsweisen Martin Werding gehört sie aber besser in die private Vorsorge als in die gesetzliche Rente.

„Kapitaldeckung ist die einzige Alternative“

Angela Wefers.

Herr Professor Werding, die Regierung will mit dem Generationenkapital die Kapitaldeckung in die gesetzliche Rente einführen. Gehört Kapitaldeckung nicht besser zur privaten Vorsorge?

Kapitaldeckung in einem Pufferfonds in der gesetzlichen Rente – das gibt es in anderen Staaten auch. Die USA machen dies seit den 1980er Jahren. Viel wichtiger ist, wie die Mittel angelegt werden.

Taugt das geplante Modell denn?

Der Gedanke, ertragsstarke Aktien zu verwenden, stößt in der deutschen Öffentlichkeit auf leichtes Unbehagen. Eine entscheidende Frage ist zudem nur zu drei Vierteln beantwortet: Es soll kein Kapital in das Rentensystem fließen, sondern geliehenes Geld. Eventuell werden auch Beteiligungen des Bundes dazugestellt. Für die Rentenfinanzierung stehen auf Dauer nur Erträge zur Verfügung, aber kein Kapital. Es bleibt sogar nur die Renditedifferenz zwischen dem, was der Bund für die Verschuldung zahlen muss und was er am Aktienmarkt erwirtschaften kann.

Das heißt, es ist zu wenig?

Dies wird einen relativ kleinen Effekt haben – selbst wenn der Bund über 15 Jahre einen Kapitalstock akkumuliert. Stellt der Bund jedes Jahr 10 Mrd. Euro ein, werden daraus mit thesaurierter Rendite rund 200 bis 220 Mrd. Euro. Bei einer Aktienrendite von 6% bis 7% und Staatsschuldzins von 2% hat der Bund nur 10 bis 15 Mrd. Euro zusätzlich, um laufende Renten zu finanzieren. Bislang ist wenig beachtet, dass nicht die gesamte Zinsdifferenz ausgeschüttet werden kann. Ein Teil der Rendite müsste proportional zu den wachsenden Rentenausgaben stehen bleiben.

In welcher Relation steht dies zu den Ausgaben?

Die gesetzliche Rentenversicherung gibt heute 350 Mrd. Euro im Jahr aus. In 15 Jahren wachsen die Ausgaben auf mehr als 400 Mrd. Euro. Die Kapitaldeckung liefert also nur einen Bruchteil dazu. Sie wird nicht ausreichen, das Sicherungsniveau der Rente bei der Haltelinie von 48% über 2025 hinaus abzuriegeln.

Was wäre dafür nötig?

Ende der 2030er Jahre werden 30 bis 40 Mrd. Euro benötigt, zusätzlich zum normalen Bundeszuschuss – und das wächst jedes Jahr weiter. Die Rechnung gilt zudem für heutige Preise. Das Versprechen, allein mit der Kapitaldeckung dauerhaft das Rentenniveau zu stabilisieren, ist nicht sonderlich realistisch.

Wie müsste der gesetzliche Fonds abgesichert werden?

Zweistellige Milliardenbeträge sind im gesetzlichen Rentensystem ganz schnell weg. Die politische Kontrolle muss dafür sorgen, dass das Geld nur für diesen Zweck genutzt und nicht vorzeitig verausgabt wird. Mir ist die Governance in der ersten Säule doch ein bisschen schwach.

Was wäre da besser?

Das wäre eine Reform in der dritten Säule. Dort lösen sich solche Dinge von allein. Die Einzahler haben ihr Konto, erzielen dort Erträge und können darauf zurückgreifen, wenn sie in Rente gehen. Vor allem würde tatsächlich eingezahlt. Dies belastet die Versicherten. Aber das Vermögen gehört ihnen und sie können es zusammen mit den Erträgen verwenden. Der Hebel wäre viel größer.

Das bessere Konzept wäre es also, Kapital auch zu verzehren?

Das ist ganz normal: Sie sparen, lassen die Erträge etwas stehen und können irgendwann den Vermögensbestand aufbrauchen.

In der SPD und auch bei den Grünen gibt es Vorbehalte. Kapitalmarkt ist Teufelszeug. Ist das kreditfinanzierte Generationenkapital zumindest ein Einstieg?

Es ist ein Schritt in diese Richtung. Wir müssen unser Alterssicherungssystem jetzt sehr schnell im demografischen Wandel auf die Entwicklung in den nächsten 15 Jahren einstellen: auf einen starken Anstieg des Alten-Quotienten, auch des Rentner-Quotienten. Was dafür erforderlich ist, ist verschieden eilig. Kapitaldeckung ist immer eilig, weil man die Ansparzeit braucht.

Welche Dinge müssen jetzt getan werden?

Misstrauen gegenüber der Kapitaldeckung können wir uns nicht leisten. Es gab Börsencrashs. Aber mit vergleichsweise riskanten Anlagen wie Aktien kann man bei einem langen Zeithorizont wie bei der Alterssicherung wesentlich besser umgehen.

Die Kritiker fühlen sich dennoch mit dem Umlagesystem wohler.

Kapitaldeckung ist schwierig. Man kann auch viel falsch machen. Aber die gute alte Umlagefinanzierung führt uns in noch viel größere Probleme. Daran ist nichts riskant, sondern das ist sehr gut vorhersagbar. Kapitaldeckung ist die einzige Alternative bei einer Bevölkerungsstruktur, die ungeeignet ist, die umlagefinanzierte Altersvorsorge fortzusetzen.

Wie muss neujustiert werden?

Es kommen zwei Dinge zusammen: Wir müssen von dieser enormen Ausgabendynamik herunter, die der demografische Wandel unter dem geltenden Recht erzeugen würde. Und wir müssen den jungen Leuten den Raum verschaffen, neben den sowieso schon hohen Beiträgen zum Rentensystem eben auch noch ergänzend vorzusorgen.

Wäre auch eine – neue – Umverteilungskomponente nötig?

Es ist eine von mehreren Möglichkeiten. Ich würde als erstes die Altersgrenze weiter heraufsetzen. Das stößt nirgends auf Begeisterung. Bundessozialminister Hubertus Heil hat es sogar als „unfair“ bezeichnet.

Ist es denn nicht unfair?

Bis 2031 steigt das Rentenalter auf 67 Jahre. Wird es weiter erhöht, geht die steigende Lebenserwartung nicht allein zulasten der Jüngeren, der Beitragszahler. Ein Teil muss auch von den Rentnern aufgefangen werden. Die Menschen bleiben länger gesund und erwerbsfähig. Es wäre unfair, die jüngeren Leute dafür zahlen zu lassen, dass die Älteren immer länger leben und eine Rente auf dem bisherigen Niveau haben wollen.

Würden Sie die Lebensarbeitszeit auch nur um einen Teil der höheren Lebenserwartung verlängern?

Das passt absolut. Wir haben ganz grob 40 Jahre Erwerbsphase und eine mittlere Rentenlaufzeit von 20 Jahren. Bei einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit um zwei Drittel der höheren Lebenserwartung halten wir das Verhältnis konstant. Der Effekt der höheren Lebenserwartung wird dadurch für die Rentenfinanzen exakt neutralisiert.

Können Altersgrenze und Kapitaldeckung die doppelte Haltelinie in der gesetzlichen Rente sichern?

Mit der Rentenreform 2001 wurde auch das Ziel eines konstanten Rentenniveaus aufgegeben. Wegen des demografischen Wandels wurde damals begonnen, das Rentenniveau ganz langsam abzusenken. Die Einführung der Riester-Rente sollte diese Vorsorgelücke füllen und das Sicherungsniveau konstant halten. Die Kombination von Umlage und Kapitaldeckung ist – intelligent gesteuert – die Grundlage, dass Haltelinien sowohl für die Finanzierungsseite als auch für die Erträge ohne Versicherung machbar sind.

Es hat aber nicht funktioniert.

Wir hätten früher auf breiterer Basis einsteigen müssen. Wer jetzt auf das Rentenalter zugeht und nicht ergänzend und ausreichend vorgesorgt hat, dessen Sicherungsniveau wird sinken.

Ist die Riester-Rente noch zu retten? Die Anbieter beklagen zu enge Regulierung, die Verbraucherschützer zu hohe Kosten.

Beide Seiten haben recht. Die Garantie der eingezahlten Beiträge müssen die Versicherer einhalten. Sie hat in der Niedrigzinssituation nicht mehr funktioniert. Die Lage wird ein Stück weit verschärft durch relativ hohe Kosten wie Provisionen. Das hat die Rendite nach Kosten zuletzt in den negativen Bereich gedrückt. Die Regulierung plus die Entwicklung des Finanzmarktsegments sogenannter sicherer Anlagen haben das System schachmatt gesetzt.

Verdienen vor allem die Anbieter?

Für die Regulierung und die Situation an den Finanzmärkten können die Anbieter nichts. Aber im internationalen Vergleich haben wir tatsächlich enorm hohe Kosten. Die ergänzende private Vorsorge ist ein aufwendiges Geschäft. Die Anbieter müssen einzelne Kunden ins Boot bekommen. Gruppenverträge wären ein weniger kostspieliges Vehikel. In anderen europäischen Ländern sind die Kosten der privaten Anbieter erkennbar heruntergegangen. Dies liegt auch an einem staatlichen Vorsorgefonds, mit dem die privaten Anbieter konkurrieren.

Würde das für einen staatlichen Fonds sprechen, den die Anbieter vehement ablehnen?

Ein staatlicher Fonds ist eine Möglichkeit. Zur Kostensenkung brauchen wir auf jeden Fall eine stärkere Standardisierung. Dann gibt es nicht mehr so viel zu erklären. Auch für die Kunden wird es leichter.

Private Anbieter böten damit ein Standardprodukt neben einem öffentlich verwalteten Fonds an?

Genau. Wir hätten einen Standard. Wichtig ist: Machen wir die Vorsorge endlich verbindlich, zumindest im Sinne eines Obligatoriums mit Opt-out? Dann brauchen wir etwas für die Unentschlossenen. Das wäre ein staatlicher Defaultfonds. Dessen Standardprodukt könnten private Anbieter jederzeit imitieren. Sie können versuchen, noch besser zu sein, ohne unrealistische Versprechen zu machen. Wettbewerb kann es geben. Das ist ja auch in Schweden so. Der staatliche Fonds hat beeindruckende 40% Marktanteil. Aber 60% sind von anderen Anbietern.

Was genau kennzeichnet den Defaultfonds?

Bei einer Form von quasi obligatorischer oder obligatorischer Vorsorgeform wird es Personen geben, die sich nicht oder nicht schnell genug entscheiden können. Bis zu einem bestimmten Stichtag muss jeder erklärt haben, wo er die obligatorische oder mit Opt-out versehene Vorsorge realisiert. Diejenigen, die bis dahin nichts machen, werden dem Fonds zugewiesen.

Wäre ein Defaultfonds hilfreich für mehr Wettbewerb? Die Anbieter von Vorsorgeprodukten halten so etwas für einen wettbewerbswidrigen Eingriff des Staates.

Der Staat reguliert den Finanzmarkt ohnehin stark. Ein staatlicher Fonds zwingt die Anbieter, darüber nachzudenken, wie sie ihre Produkte attraktiver machen können, um im Wettbewerb mit einer staatlichen obligatorischen Anlage bestehen zu können.

Was ist so reizvoll am Opt-out?

Es dreht die klassische Entscheidungsschwäche der Anleger um. Das ist das Schöne daran. Wer sich bisher nicht entscheiden konnte, der macht auch künftig nichts. Bei einer Opt-out-Lösung erhält er aber eine – im Idealfall brauchbare – Form der Altersvorsorge verpasst. In Großbritannien werden die Betriebsrenten stark ausgebaut: auto-enrolments with opt-out. Jeder wird automatisch als Arbeitnehmer dort angemeldet, kann aber herausoptieren.

Warum brauchen wir das Opt-out überhaupt?

Um zu vermeiden, dass wir jemanden zwingen, für das Alter noch mehr zu sparen, als er oder sie eigentlich sollte. Neben einer staatlich geformten, ergänzenden privaten Kapitaldeckung sollten auch andere Formen möglich sein. Wenn jemand in selbst genutztes Immobilienvermögen investiert, kann das zumindest phasenweise so viel Haushaltseinkommen beanspruchen, dass er es nicht schafft, noch etwas für die vorgeschriebene Form kapitalgedeckte Vorsorge aufzubringen. Oder wer in die zweite Säule der betrieblichen Vorsorge relativ viel seines laufenden Einkommens steckt, muss dann nicht noch mehr in der dritten Säule tun.

Braucht ein Opt-out den Nachweis anderweitigen Sparens?

Das kann man überlegen. Die Erwartung ist, dass mit einem Opt-out die Beteiligung deutlich höher wird. Internationale Erfahrungen etwa in den USA oder in Großbritannien deuten darauf hin. Wenn diejenigen, die herausoptiert haben, tatsächlich eine andere Form der Altersvorsorge haben, kämen wir zu 100% Abdeckung für die ergänzende Altersvorsorge. Wie scharf der Nachweis gestellt ist, lässt sich gestalten. Wichtig ist ein ganz klares Framing: Wofür gibt es den Opt-out und was wird von den Menschen erwartet?

Gibt es auch hierzulande Erfahrungen damit?

In Deutschland gibt es sie nur in einem nicht so ermutigenden Bereich, den Minijobbern. Aber das halte ich für ein Sonderphänomen.

Wie sieht es mit Garantien für ein Standardprodukt aus? Bei der Riester-Rente sind sie ein Problem.

Deutsche Bürgerinnen und Bürger erwarten so was wie Garantien. Die Anbieter können deshalb auch nicht ohne Weiteres davon weg.

Sie plädieren dafür?

Für den Regulierungsrahmen ist die Frage der Garantien sehr wichtig. Die Verbraucherschützer sind sehr offensiv und halten selbst bei der Aktienanlage Garantien nicht für erforderlich. In einem Lebenszyklus-Modell wird in einem gewissen Lebensalter der individuelle Aktienanteil im Portfolio heruntergefahren, um Risiken zu vermeiden. Das ist kein Zauberwerk und internationaler Standard.

Welche Varianten gibt es bei Garantien?

Würden nur noch 80% der Einzahlungen garantiert, könnte dies die Klemme für die Riester-Produkte lösen. Bei normalisierten Zinsstrukturen kann wieder offensiver angelegt werden. Die Idee eines voll in Aktien investierten Vorsorgevermögens lässt sich mit der Sicherheitsfixierung von deutschen Anlegern kaum zusammenbringen. Es ist wirklich ein Jammer, wie gering das durchschnittliche Finanzwissen in Deutschland ist. Eine Standardisierung, die Garantien festlegt und, wenn ja, wie hoch sie sein müssen, kann hilfreich sein. Dasselbe gilt für einen staatlichen Defaultfonds, der in dieser Hinsicht Standards setzt.

Die Fokusgruppe private Altersvorsorge prüft, ob private Produkte neben einem Standardprodukt für Vorsorgezwecke anerkannt werden können. Sollten sie?

Das halte ich für erstrebenswert. Alle Akteure müssen mit ins Boot, damit es auch hinreichend attraktiv ist auf dem Markt für die Versicherungswirtschaft und andere Player wie die Fondsbranche.

Das Interview führte

BZ+
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