Brasilien

Lulas Sieg als Startsignal

Brasiliens Ex-Präsident Lula hat erneut die Macht im Lande. Er ist aber auf die Unterstützung politischer Widersacher angewiesen. Europa sollte seinen Widerstand gegen das Freihandelsabkommen mit Mercosur beenden.

Lulas Sieg als Startsignal

Die Stichwahl um Brasiliens Präsidentenamt war ein Urnengang der Rekorde. Der Herausforderer Luiz Inácio Lula da Silva eroberte nur 2,1 Millionen Stimmen mehr als der amtierende Präsident Jair Bolsonaro – die engste Wahlentscheidung in der Landesgeschichte. Lula ist der erste Brasilianer, der dreimal die Präsidentschaft erobern konnte. Und Bolsonaro der erste Amtsinhaber, dem nicht die Wiederwahl gelang. 60 Millionen Brasilianer stimmten pro Lula. Noch nie hat ein Bewerber so viele Voten eingesammelt. Und: Noch nie ist ein Bewerber mit 58 Millionen Stimmen gescheitert.

Erstmals gingen mehr Wähler zur Stichwahl als zur ersten Runde. Das allein zeigt die Dramatik der Entscheidung, die das Land zu treffen hatte. Und letztlich siegte mit Lula nicht nur der Gründer der Arbeiterpartei, sondern der Kandidat der breitesten Koalition, die es gegeben hat.

Von der Kommunistischen Partei über Grüne, Sozialisten, Sozialdemokraten bis hin zum konservativen Ex-Präsidenten Fernando Henrique Cardoso reichte die breite Front hinter dem 77-Jährigen. Und aus dem Ausland bekam er offenen Zuspruch von den lateinamerikanischen Staatschefs, angeführt vom Mexikaner Andrés Manuel López Obrador, die alle sofort gratulierten, um den Sieg Lulas international zu legitimieren. Aber auch von US-Präsident Joe Biden.

Der erste Europäer, der gratulierte, ist auch Brasiliens einziger EU-Nachbar. Emmanuel Ma­cron, als Frankreichs Präsident Regent über Französisch-Guayana, begrüßte den Wahlsieg. Und das ist als deutliches Zeichen für einen Schwenk Europas zu lesen. Macron hatte 2019, mit Ländern wie Österreich und Irland, dafür gesorgt, die Ratifizierung des Freihandelsabkommens zwischen der EU und dem Mercosur zu verschleppen, nachdem Bolsonaro die Schutzmechanismen für den Amazonas-Regenwald massiv beschädigt hatte. Nun will Lula den Schutz der Wälder wiederaufnehmen und auch mit dem Kolumbianer Gustavo Petro zusammenarbeiten. Sobald das ins Werk gesetzt ist, müssen die Eu­ropäer unbedingt ihr Naserümpfen beenden und die Ratifizierung des Ab­kommens an­schieben, sonst sucht sich Südamerika andere Freunde. China, die USA, aber auch Länder wie Australien, Japan und Südkorea buhlen um Rohstoffe und Förderlizenzen. Und Russland mischt auch mit.

Zudem ist klar: Lulas Triumph bedeutet keinen Linksruck. Wie seine Amtskollegen in Chile und Kolumbien hat der PT-Gründer keine Mehrheiten im Parlament. Im Abgeordnetenhaus besetzten Lulas linke Abgeordnete nur 140 von 517 Sitzen. Um zu regieren, wird er erhebliche Kompromisse mit Parteien aus dem Zentrum und auch von Mitte-Rechts eingehen müssen. Und alle wichtigen Bundesstaaten, darunter der Koloss São Paulo, dessen Wirtschaftsleistung größer ist als jene von Argentinien, werden von Bolsonaro-treuen Gouverneuren geführt. Das erklärt, warum die Märkte im Vorfeld der Stichwahl sehr stabil blieben. Brasiliens Aktienmarkt hat, in Dollar ge­rechnet, seit Jahresanfang um 14,8% zugelegt und war einer der profitabelsten weltweit. Diese Woche könnte etwas volatil werden, bis die Anleger wissen, wer Lulas Finanzminister wird und wie Bolsonaros Fanatiker reagieren. Am Montag blockierten Lastwagenfahrer bereits wichtige Landverbindungen.

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