Wirtschaftsstrafverfahren

Mammut­prozess um Wirecard-Skandal

Am 8. Dezember beginnt der Strafprozess gegen den früheren Wirecard-Chef Markus Braun. Es handelt sich um eines der spektakulärsten Wirtschaftsstrafverfahren in der Rechtsgeschichte Deutschlands.

Mammut­prozess um Wirecard-Skandal

Markus Födisch gilt als geduldiger, besonnener Mensch. Das sind Grundtugenden, die einen für den Staat tätiger Juristen auszeichnen, um über komplexe Sachverhalte im Strafrecht ein Urteil zu fällen. Födisch ist ein erfahrener Rechtsvertreter. Der 48-Jährige befasste sich mit Steuerdelikten im Rahmen des Cum-ex-Komplexes und verurteilte Betrüger, die bei Corona-Soforthilfen der öffentlichen Hand Millionen ergaunern wollten.

Nun steht der größte Fall in seiner beruflichen Karriere an. Födisch ist Vorsitzender Richter in einem der spektakulärsten Wirtschaftsstrafprozesse der Bundesrepublik Deutschland. Am kommenden Donnerstag beginnt die Aufarbeitung des Wirecard-Bilanzbetrugsskandals vor der 4. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts München. Zweieinhalb Jahre nach dem Zusammenbruch des Zahlungsabwicklers aufgrund eines aufgedeckten Bilanzlochs in Milliardenhöhe müssen sich drei Angeklagte vor Gericht in der bayerischen Landeshauptstadt verantworten. Der prominenteste unter ihnen ist Ex-Vorstandschef und einstiger Großaktionär Markus Braun. Neben dem seit Sommer 2020 in Untersuchungshaft befindlichen 53-Jährigen sitzen Oliver Bellenhaus, der frühere Statthalter der Konzerneinheit in Dubai, sowie Stephan Freiherr von Erffa, der ehemalige Chefbuchhalter und stellvertretende Finanzchef, auf der Anklagebank.

Im September ließ das Landgericht die Anklage der Staatsanwaltschaft München vollumfänglich zur Hauptverhandlung zu. Anklage gegen den gebürtigen Wiener und die beiden anderen Beschuldigten erhoben hatte die Staatsanwaltschaft Mitte März (vgl. BZ vom 14. März). Die Strafermittler werfen dem Trio gewerbsmäßigen Bandenbetrug, Untreue, unrichtige Darstellung und Marktmanipulation in mehreren Fällen vor.

Ermittlungen dauern an

Braun bestreitet die Tatvorwürfe. Allerdings stehen nicht alle der in der Causa Beschuldigten vor Gericht. Der ehemalige Wirecard-Vorstand Jan Marsalek hält sich Medienberichten zufolge in Russland versteckt. Die Behörden in Moskau weigern sich angeblich, den 42-Jährigen an die deutsche Justiz auszuliefern. Marsalek, der ebenfalls österreichischer Staatsbürger ist, gilt neben Braun als Drahtzieher im Wirecard-Skandal. Dadurch, dass der Gesuchte sich immer noch auf der Flucht befindet, laufen die Ermittlungen im Wirecard-Komplex noch weiter.

Beim Prozess gegen Braun und die beiden anderen Personen handelt es sich um ein Mammutverfahren. Die Strafkammer setzt zunächst 100 Verhandlungstage an, die bis kurz vor Weihnachten 2023 terminiert sind. Dass der Prozess bis dahin abgeschlossen ist, wird nicht erwartet. Damit reiht sich die Hauptverhandlung ein in eine Kette von aufsehenerregenden Prozessen im deutschen Wirtschaftsstrafrecht. Die Liste spektakulärer Fälle auf diesem Feld ist lang. Dazu einige Beispiele:

1.) Der ehemalige Audi-Chef Rupert Stadler muss sich wegen der 2015 aufgeflogenen Dieselabgasmanipulationen ebenfalls vor dem Landgericht München verantworten. Der Prozess gegen den 59-Jährigen begann im September 2020. Ein Ende ist noch nicht absehbar.

2.) Vor fünf Jahren wurden im Prozess um die Pleite der Drogeriemarktkette Schlecker die Kinder des Firmengründers Anton Schlecker zu Freiheitsstrafen verurteilt. Das zuständige Landgericht Stuttgart folgte der Staatsanwaltschaft, die Lars und Meike Schlecker Insolvenzverschleppung, Untreue und Beihilfe zum Bankrott ihres Vaters vorgeworfen hatte. Im Revisionsverfahren bestätigte der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe 2019 das Urteil.

3.) Schon etwas länger zurück liegt der 2006 aufgedeckte Korruptionsskandal des Siemens-Konzerns. Hier standen gleich mehrere Manager des Vorzeigeunternehmens vor Gericht. Über Jahre waren insgesamt 1,3 Mrd. Euro in schwarze Kassen des Konzerns geflossen, der damit lukrative Aufträge zumeist in Drittländern außerhalb der EU zu sichern versuchte. Die Aufarbeitung des Skandals kostete Siemens nach eigenen Angaben 2,5 Mrd. Euro und zahlreiche Top-Manager den Posten.

Milliarden an Luftbuchungen

Den Schaden in der Causa Wirecard für die Gläubiger des früheren Dax-Konzerns beziffert die Staatsanwaltschaft München auf mindestens 3,1 Mrd. Euro. Auf Basis der Angaben eines Kronzeugen und vielfältiger Beweismittel legen die Strafermittler den Angeklagten zur Last, mit Hilfe von Luftbuchungen von 1,9 Mrd. Euro für angebliche Asien-Geschäfte das Unternehmen für Investoren und Kunden attraktiver dargestellt zu haben, „um so regelmäßig Kredite von Banken und sonstigen Investoren zu erlangen und daraus fortwährend eigene Einkünfte zu generieren“. Dabei sei den Beteiligten spätestens seit Ende 2015 klar gewesen, dass der Wirecard-Konzern mit den tatsächlichen Geschäften insgesamt Verluste machte.

In der 474 Seiten umfassenden Anklageschrift werfen die Ermittler Braun, Bellenhaus und Erffa vor, die Bilanz durch vorgetäuschte Einnahmen aus Drittpartnergeschäften in Asien und angeblichen Treuhandkonten aufgebläht zu haben, um den wahren finanziellen Zustand der Wirecard AG zu verschleiern. Tatsächlich hätten diese Geschäfte aber gar nicht existiert.

Für die Gläubiger sammelte der Wirecard-Insolvenzverwalter nach jüngstem Stand rund 1 Mrd. Euro aus der Insolvenzmasse ein.

Die Aktionäre, darunter zahlreiche Kleinanleger, als Eigentümer der pleitegegangenen börsennotierten AG werden gemäß der Rechtslage indes wohl leer ausgehen. Ihre Hoffnung, Schadenersatz zu erhalten, schwindet. Diesen Sachverhalt bestätigte dieser Tage das Landgericht München im Rahmen eines Zivilverfahrens. Denn trotz des mutmaßlichen Bilanzbetrugs gelten diese Geschädigten nicht als Gläubiger.

Dämpfer für Kleinaktionäre

Laut einem noch nicht rechtskräftigen Urteil des Gerichts können sie keine Schadenersatzansprüche beim Insolvenzverwalter geltend machen (vgl. BZ vom 23. November). Geklagt hatte die Fondsgesellschaft Union Investment. Dieses Verfahren wird voraussichtlich noch durch die Instanzen gehen und final vom BGH geklärt werden müssen. In der ersten Jahreshälfte 2020 hatten die Turbulenzen um Wirecard einen Kurssturz der Aktie ausgelöst. Nach der Pleite war das Papier faktisch nichts mehr wert. Gemessen am Kurs im März 2020, als die Wirecard-Aktie zeitweise bei 140 Euro notierte, „verloren“ die Anteilseigner insgesamt über 17 Mrd. Euro. Der Zusammenbruch des einst als Fintech gehandelten Zahlungsdienstleisters hatte für Aufsehen gesorgt. Der Finanzplatz Deutschland erlitt einen erheblichen Reputationsschaden. Die Finanzaufsicht BaFin hatte bei der Kontrolle versagt. Ihr Präsident Felix Hufeld musste später seinen Posten räumen. Nachfolger Mark Branson will die BaFin nun zu einer schlagkräftigeren Behörde umformen.

Bei der langwierigen Aufarbeitung des Falls vor der 4. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts München werden voraussichtlich Dutzende von Zeugen auftreten, darunter vermutlich auch die beiden früheren Wirecard-Vorstände Alexander von Knoop, der für das Ressort Finanzen verantwortlich zeichnete, und die einst für die Produkte zuständige Susanne Steidl. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft gehören beide nicht zu den Tatverdächtigen.

Zu hoffen bleibt, dass in der Hauptverhandlung der gewiefte Vorsitzende Richter Födisch für eine restlose juristische Aufklärung der Affäre um Wirecard sorgt.

Von Stefan Kroneck, München

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